Theater Dortmund: "Familien gegen Nazis"

Was sind 90 Nazis in einer Ecke?

05:13 Minuten
Schauspielerinnen und Schauspieler des Dortmunder Ensembles sind in einer Spielszene in "Familien gegen Nazis" zu sehen.
Was ist Fassade, was Überzeugung? Im Stück "Familien gegen Nazis" ist das nicht immer eindeutig. © Theater Dortmund / Birgit Hupfeld
Von Stefan Keim · 05.10.2019
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Das Theater Dortmund erprobt mit einer satirischen Spielshow die Möglichkeiten des politischen Theaters. Eine Familie muss effektive Maßnahmen gegen Nazis entwickeln, um für Minderheiten Geld zu sammeln. Funktioniert die Idee?
"Mein Name ist Elisabeth Brock, und ich begrüße sie recht herzlich zu unserer ersten Ausgabe von 'Familien gegen Nazis!'."
Eine Spielshow mit besonderer Stoßrichtung. Es geht darum, sich möglichst überzeugend gegen Nazis, Rechtsradikale und Rechtspopulisten zu engagieren. Die Familie Altmann - Stiefmutter, Vater, Sohn und zwei Töchter - spielt um eine Million Euro. Aber nicht gemeinsam, sondern jeder gegen jeden. Den Gewinn wollen alle für Organisationen von Minderheiten spenden. Jeder für eine andere.
"Ich werde heute gewinnen für die jüdische Gemeinde und gegen die HolocaustleugnerInnen. Anti-Antisemit sein ist nach Gegen-Nazis-Sein die zweite Bürgerpflicht in diesem Land."

An Theater gegen Rechtspopulismus mangelt es nicht

Spricht Stiefmutter Simone, die zweite Frau von Vater Thomas. Der will eine neue Initiative gründen, "Tiere gegen Nazis". Weil Tiere einem helfen, zu sich selbst zu finden. Die ältere Tochter bevorzugt die Gruppe LGBTQAI2+. Das steht für Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer Asexual Intersexual two spirits plus. Schon vor der ersten Spielrunde ist klar: "Familien gegen Nazis" ist ein satirisches Stück mit skurrilen Pointen. Regisseurin Laura N. Junghanns:
"Es ist in einem Stil geschrieben, der sehr schnell ist, der eher an amerikanische Comedyformate erinnert wie zum Beispiel 'Saturday Night Live'. Wir haben eine vermeintlich einfache Sprache, die aber über die Konstellationen, wie sie aufeinander treffen, einen tieferen Grund, der in unserer Gesellschaft ist, oder nennen wir es einen Sumpf, einen braunen Sumpf, ein bisschen näher erleuchtet."
Die Schauspieler Uwe Rohbeck, Berna Celebi, Alida Bohnen, Caroline Hanke und Max Ranft vom Theater Dortmund.
Szene aus "Familien gegen Nazis". © Theater Dortmund / Birgit Hupfeld
Über den Autor Laurence Young ist nichts bekannt. Es liegt nahe, dass es sich um ein Pseudonym handelt. Doch weder Laura N. Junghanns noch Dramaturg Dirk Baumann verraten Näheres. Dafür versichert Dirk Baumann, dass es an diesem Abend bei geprobten Aktionen auf der Bühne bleibt und das Publikum nicht mitmachen muss.
Dramaturg Dirk Baumann: "Wo wir natürlich doch mitmachen, das ist in den Haltungen. Wie stellen wir uns als Zuschauerinnen und Zuschauer gegenüber den Spielen, gegenüber den Aussagen, die in der Show formuliert werden? Und ich glaube, da muss ganz viel passieren. Denn es ist eine Satire, sie arbeitet bewusst mit Übertreibungen und Zuspitzungen. Das Stück will ganz bewusst, dass die Zuschauer reagieren."

Im rechten Winkel stehen

Im ersten Spiel namens "Drück die Wahrheit" muss Familie Altmann die Pointen schlechter Witze erraten. Eine Frage lautet: Was sind 90 Nazis in einer Ecke? Antwort: Ein rechter Winkel. Die Gags werden immer debiler. Laura N. Junghanns stellt die Frage:
"Darf man denn eigentlich lachen, oder darf man das nicht? Genau diese Grenzen, die versucht der Abend auszuloten. Wir haben auch während der Probenzeit diverse Stellen gehabt, wo wir lang diskutiert haben: Darf man das eigentlich? Kunstfreiheit, Debattenfreiheit, Meinungsfreiheit, das sind alles Themen, die dieser Abend auch behandelt."
An Projekten und Stücken über den erstarkenden Rechtspopulismus herrscht kein Mangel auf den Theaterspielplänen. Aber steckt in diesen Abenden nicht das Risiko der puren Selbstbestätigung? Weil Publikum und Ensemble meistens gleicher Meinung sind?

Die Probleme des linksliberalen Milieus

Junghanns: "Genau diese Frage greift der Abend auch auf. Was können wir als politisch Mitte-links eingestellte Menschen eigentlich machen? Und wo liegen unsere Probleme und Schwierigkeiten auch in puncto Dialog, Formulierungen. Wie sprechen wir mit Rechten? Aber die Frage sollte auch sein: Wie sprechen wir miteinander, untereinander? Wie sprechen wir über Minderheiten?"
Die Schauspielerin Lea Annou Reiners vor einer Projektion mit verschiedenen deutschen Namen.
Szene aus dem Theaterstück "Familien gegen Nazis" mit der Schauspielerin Lea Annou Reiners.© Theater Dortmund / Birgit Hupfeld
In der Familie Altmann spiegelt sich die Mitte-Links-Gesellschaft, lieb, bemüht, einem moralischen Kodex folgend. Aber auch irritierbar, verletzlich und egozentrisch. Das Stück "Familien gegen Nazis" will zeigen, wie sich die Wohlmeinenden selbst demontieren und ihrer Kraft berauben. Politisches Theater, das nicht die Welt erklären will, sondern ein Dilemma aufzeigt. Die Freiheit des Individuums ist Grundlage der Demokratie. Doch wenn sich Menschen nur noch für sich selbst und ihr kleines Umfeld interessieren, sind sie politisch machtlos. Die Familie Altmann zerstreitet sich, wenn die Moderatorin hinterlistige Fragen stellt:
"Wen würden Sie eher erschießen? Die 30-jährige weiße Künstlerin und Besitzerin von vier Katzen oder den farbigen 40-jährigen Mediziner und Vater von zwei süßen Kindern?"

Vorstellungen: 6., 13., 27. Oktober Schauspiel Dortmund Studio

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