Theater an der Parkaue

"Nähe wieder lernen“

10:53 Minuten
Alexander Riemenschneider und Christina Schulz lächeln in die Kamera.
Alexander Riemenschneider und Christina Schulz wollen in ihrer Intendanz das Theater diverser machen. © Philipp Jester
Von André Mumot · 16.10.2021
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Nach einem Rassismusskandal und dem Lockdown soll es am Theater an der Parkaue in Berlin wieder losgehen. Doch Intendanz, Schauspieler und Publikum müssen sich an die Begegnungen erst wieder gewöhnen. Denn es gilt, Gegensätze auszuhalten.
Es ist eines der bedeutendsten deutschsprachigen Häuser, die sich ganz dem Kinder- und Jugendtheater widmen: Das Berliner Theater an der Parkaue hat stürmische Jahre hinter sich.
Nach einem Rassismusskandal, der 2019 große Wellen in der Öffentlichkeit schlug, und einer Übergangsintendanz von Florian Stiehler beginnt nun eine Spielzeit mit neuer Intendanz des sogenannten Jungen Staatstheaters Berlin.
Die neue Doppelspitze bilden Christina Schulz und Alexander Riemenschneider: Schulz war seit 2009 Leiterin der Bundeswettbewerbe der Berliner Festspiele – dazu gehörten auch das Theatertreffen der Jugend und das Treffen junger Autorinnen und Autoren. Riemenschneider ist ein profilierter Regisseur, nicht zuletzt von Jugendstücken, und Dozent für Regie an der Theaterakademie Hamburg.

Vieles muss nachgeholt werden

Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber doch die Lockdowns, die gerade auch Kinder und Jugendliche stark betroffen haben. Für Christina Schulz ist klar, dass das Kinder- und Jugendtheater vieles aufarbeiten, auch nachholen muss.
"In der Schule gibt es natürlich im Moment – das erleben wir ja auch in unseren Familienkonstellationen und Gesprächen mit Kolleg*innen im Haus – einen Fokus auf Leistung, auf Lernstandserhebungen und all das", sagt sie. "Was aber die Pandemie auf einer psychosozialen Seite eingeschränkt hat, welche Wirkungen das mit sich bringt, das braucht ganz andere Räume."
Hier könnten ein Kinder- und Jugendtheater, wo Kinder und Jugendliche selbst aktiv werden können, sowie das gemeinsame Schauen, die Begegnung mit einem Stück, mit Gesprächen, die man nach einer Aufführung führt, total viel leisten:
"Wieder Nähe herzustellen, wieder Vertrauen zu finden, sich wieder als Gruppe neu zu definieren", so Schulz.
Die Aufgaben, die auf ihr Theater zukommen, sind dabei vielfältig, wie Alexander Riemenschneider betont: "Zum einen muss es die Themen aufgreifen, die jetzt drängen, wo wir merken, da gibt es ein Vakuum: Wie besprechen wir das, wie beschreiben wir das?"

Sehnsucht nach Nähe

Ein wichtiges Thema sei dabei ganz allgemein die Nähe, die so lange gefehlt hat – ein Begriff, auf den beide immer wieder zu sprechen kommen:
"Wir haben alle diese Sehnsucht nach Begegnung, und wir merken aber in unserem betrieblichen Alltag, auch wenn wir uns über Themen auseinandersetzen, dass das auch ein vieldeutiger, ambivalenter Begriff ist", sagt Alexander Riemenschneider.
"Wir merken, wenn wir das noch mal weiten auf einen gesellschaftlichen Blick, dass Nähe auch heißt, Gegensätze aushalten, andere Meinungen aushalten. Das haben wir verlernt und das wollen wir wieder lernen. Wir wollen auch Kindern und Jugendlichen zeigen, dass es Räume gibt, in denen man sich begegnen kann, auch wenn man verschiedene Ansichten hat, verschiedene Meinungen hat, oder auch sehr verschiedene Gefühle, Intensitäten aufeinandertreffen. Als Theatermacher*innen müssen wir das erst einmal wieder aushalten, und das muss auch unser Publikum wieder aushalten", so Riemenschneider.

Das Theater will sich öffnen

Nach dem Rassismusskandal von 2019 sieht auch das neue Leitungsduo eine besondere Verpflichtung darin, das Theater an der Parkaue möglichst divers aufzustellen. "Zum einen haben wir versucht, alle Verfahren, in denen wir neue Menschen ans Haus holen, zu öffnen. Das heißt, Vorsprechen so zu gestalten, dass wir schauen, welche Perspektiven fehlen uns denn eigentlich in unserem Ensemble und welche wünschen wir uns, und durch wen fühlen sich auch Kinder und Jugendliche repräsentiert, wenn sie zu uns ins Theater kommen", berichtet Christina Schulz.
Dies dürfe aber natürlich bei der Besetzung von Ensemblepositionen nicht aufhören. "In dem Moment, wo man beginnt, Strukturen diverser zu denken, entstehen eigentlich auch erst die Reibungspunkte und die Konflikte innerhalb der eigenen Struktur. Dass man Stellen überhaupt ausschreibt, dass man sich nicht immer nur innerhalb des eigenen Bekanntenkreises bewegt, sondern Öffnung wirklich als eine Setzung versteht."
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