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Im Krieg zerstörtes Haus in Mostar (Bosnien-Herzegowina)
Im Krieg zerstörtes Haus in Mostar (Bosnien-Herzegowina) © dpa / picture alliance / Jerzy Dabrowski
Von Christiane Habermalz · 11.06.2014
Ein Jahr lang ist der Regisseur Hans-Werner Kroesinger auf den Spuren des Weltkriegs durch Südosteuropa gereist. Am Berliner Theater Hebbel am Ufer untersucht er das "Schlachtfeld Erinnerung".
"Überall herrscht vollkommenste Sicherheit, und selbst in Gegenden, die früher zu den verrufensten gehörten, kann heute jedermann unbewaffnet und ohne Bedeckung die einsamsten Wege verfolgen..."
Die Schauspieler Lajos Talamonti und Armin Wieser zitieren aus einem deutschen Reiseführer über Bosnien und Herzegowina von 1910, der die guten Zustände im Land preist, seit es 1872 von der österreichischen-ungarischen Armee besetzt wurde.
„... und auf den Hauptruten bereits mit jenem Comfort umgeben, den der europäische Reisende gewohnt ist."
Und aus einem Sprachführer, der nur den Imperativ kennt:
"Halte das Pferd! Das Pferd. Pferd! Trage das! Das. Trage das! Nossi? So kurz, ja?"
Vier Nationen, vier verschiedene Sichtweisen auf den ersten Weltkrieg. Vier Schauspieler, aus Österreich, Deutschland, Belgrad und Sarajewo geben den Erinnerungen an den Krieg ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Sprache. Ein Jahr lang sind Regisseur Hans-Werner Kroesinger und seine Frau, die Filmemacherin Regine Dura, auf den Spuren der Erinnerung durch Südosteuropa gereist. Das Material, das sie nun auf die Bühne bringen, das aus Rückblicken, Splittern, Dokumenten, Dialogen besteht, scheint unerschöpflich. Denn gedeutet wurde immer, zu allen Zeiten, je nach nationalen Bedürfnissen, bis heute.
Kroesinger: "Wir haben gesagt, es ist wichtig, dass auch unterschiedliche Sprachen präsent sind, das heißt, es wird Serbisch gesprochen, es wird bosnisch gesprochen, es wird englisch gesprochen, es wird Deutsch gesprochen. Die Übersetzungen sind eingebaut in das Stück, Simultanübersetzungen. Sie werden die Auslassungen merken, es geht darum, dass wir uns ein Bild von Geschichte zusammensetzen, das viele Lücken aufweist. Und wenn es uns gelingt, dann sind die Lücken an den richtigen Stellen, Dass Sie Lust bekommen, diese Lücken zu befragen und es neu zusammenzusetzen und es neu zu montieren."
Der erste Weltkrieg steht nicht als isoliertes Ereignis auf der Bühne, sondern eingebettet in viele nationale Kontexte. Und dass die Geschichte des großen Krieges, der "Jahrhundertkatastrophe" für Westeuropa, in Istanbul oder auf dem Balkan ganz anders fortgeschrieben und erinnert wird, das war eine überraschende Erfahrung für das Team, erzählt Kroesinger. Wer dem einen sein Held und Freiheitskämpfer, ist dem anderen ein Terrorist.
"Blut fließt in Strömen über seine Lippen und formt den mächtigen Ruf Serbiens Freiheit. Todeszucken zerbricht den gemarterten Körper, mit letzter Kraft schickt er wie auf Schwanenflügeln seine letzten Worte. Ich überlasse meine Rache dem serbischen Volk."
"Wer ist das, dieser Bogdan Serajetsch?
– Serajetsch? Sofort verhaften. Verhaften!"
Nationale Gewissheiten fallen in sich zusammen
Schlachtfeld Erinnerung – Wahrheiten gibt es an diesem Abend nur zusammen mit den Wahrheiten der Anderen. Nationale Gewissheiten werden aufgebaut und fallen schon im nächsten Moment wieder in sich zusammen. In Deutschland, sagt Kroesinger, wurde die Erinnerung an den ersten Weltkrieg fast komplett vom Zweiten Weltkrieg überschrieben. In Belgrad und Sarajewo sei die Erinnerungskultur gespalten – bis heute. Am deutlichsten wird das am Beispiel Gavrilo Princips, des Attentäters von Sarajewo. In Serbien ist erst vor kurzem ein neues Denkmal für ihn eingeweiht worden. Bosnien dagegen sieht in ihm einen serbischen Kriminellen. Für die Frage nach der Kriegsschuld gab es aber noch ganze andere Theorien – 3000 verschiedene allein bis 1939, sagt Kroesinger.
"Schweijk, Sarajewo das haben die Serben gemacht.
– Da irren Sie sich aber sehr, das waren die Türken mit ihrem Bosnien und Herzegowina. Die Türken haben damals im Zwölferjahr den Krieg mit Serbien, Bulgarien und Griechenland verloren, da haben sie wollen, dass Österreich ihnen hilft, und das haben wir nicht getan, und jetzt hams uns den Franz Ferdinand erschossen!"
Multiperspektivisch ist auch das ansonsten karge Bühnenbild im Hebbel am Ufer. In der Mitte, auf Leinwand ein stereoskopisches Bild, in 3D, aus leicht versetzten Perspektiven aufgenommen. Es zeigt einen Baum nach Granatenbeschuss, eine alte Aufnahme für den Schulunterricht. Regine Duras Vater, ein Geschichtslehrer, hat es noch im Unterricht verwendet. Darum herum tobt das Schlachtgetümmel der Erinnerung.
"Das Bombardement von Belgrad... Idylle im Krieg...der erste Schuss, im Laufschritt Marsch Marsch, die Brücke gesprengt. Die Donaumonitoren greifen ein. Die ungarische Artillerie protzt ab... Granaten auf den Kalemegdan. Schluss der Vorstellung. Die ersten Helden."
Informationen des Theaters Hebbel am Ufer zu "Schlachtfeld Erinnerung"