The world chair

Von Matthias Ehlert · 22.06.2005
Kein Designer-Stück, ehr unscheinbar und billig sieht er aus, und kaum jemand schätzt seine praktischen Qualitäten. Und dennoch ist er weltweit verbreitet und von öffentlichen Plätze kaum noch wegzudenken: der Monobloc. Dass er mehr als ein banaler Plastikstuhl ist, glaubt zumindest der Monobloc-Experte Jens Thiel.
Jens Thiel hat Post bekommen. Fünfzig weiße Plastikstühle, so genannte Monoblocs. Sauber übereinander gestapelt, in Folie verschweißt. Jetzt ist er zum Zerreißen gespannt.

"Wollen wir mal sehen: Ich hab auf dem auch noch nicht gesessen. Das ist das Modell Tessina von der Firma Nadoplast - und das sitzt sich eigentlich ganz gut. Schön ist auch die Lehne hinten federt ein bisschen, aber der Rest vom Stuhl ist eigentlich sehr stabil, das ist eigentlich das, was man haben will mit einem Monobloc-Stuhl."

Thiel ist zufrieden. Er hat die Plastikstühle für einen Vortrag geordert – über: Plastikstühle. Der 34-jährige Berliner ist Experte auf diesem Gebiet. Vielleicht der größte auf der Welt.

"Es fing damit an, ein Freund von mir, der ist Fotograf, also Künstler, der kam von einer Messe zurück und sagte: Du glaubst nicht, was ich gesehen habe, da saßen ein paar Galeristen auf diesen weißen Plastikstühlen, ist das nicht komisch. Und dann fingen wir an, darüber nachzudenken, warum wir das komisch finden, dass die Leute auf diesen weißen Plastikstühlen sitzen und fanden das dann komisch, dass wir das komisch finden. "

Thiel, im Hauptberuf Unternehmensberater, fiel auf, dass es diesen Stuhl praktisch überall gibt, aber niemand ihn richtig schätzt. Und das trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten:

"Er ist stapelbar, man kann ihn also sehr Platz sparend aufbewahren. Er ist leicht, ihn auch in größerer Stückzahl zu transportieren, ist überhaupt kein Problem. Der Stuhl ist haltbar, wenn er aus dem richtigen Material gemacht ist, hält der auch mal zehn bis fünfzehn Jahre."

Außerdem ist er stabil, abwaschbar, wetterfest. Es dauert 60 Sekunden ihn zu produzieren, mehr als eine Milliarde Exemplare soll es inzwischen geben. Eine globale Erfolgsgeschichte.

"Der Monobloc-Stuhl ist "the world chair", eigentlich DER Stuhl. "

Trotz dieser offenkundigen Bedeutung war über den Monobloc fast nichts bekannt. Kein Buch ist über ihn erschienen, sein Erfinder galt als namenlos. Thiel begann zu recherchieren. Und stieß auf einen Kunststoff-Fabrikanten aus Nordfrankreich.

"Interessanterweise ist er kein Designer, sondern er sagt von sich "Je suis un bricoleur", also ich bin ein Bastler. Er hat sein Ingenieurstudium abgebrochen und hat immer Lösungen für Probleme gesucht, die er gesehen hat. Und irgendwann fiel ihm dann ein, Mensch ich stell jetzt hier seit 20 Jahren Gegenstände aus Plastik her: Warum nicht mal einen Stuhl, der nur 15 Franc kostet."

Das war im Jahre 1973. Seitdem ist seine Erfindung millionenfach kopiert worden - von Kalifornien bis Nordkorea. Thiel hat eine Website eingerichtet, auf der Monobloc-Fans aus aller Welt die fortschreitende Verbreitung dokumentieren. Zu sehen sind private Schnappschüsse nebst hochbrisantem Material aus dem Irak.

"Wenn wir hier zum Beispiel sehen, Nicolas Berg, amerikanischer Geschäftsmann, den man im vergangenen Mai enthauptet hat, nachdem er entführt worden ist, sitzt in diesem Video auf einem weißen Monobloc-Plastikstuhl, bevor er umgebracht wurde.

Und es gibt ein anderes Bild, in dem man eine dieser Folterszenen aus Abu Ghraib sieht, wie im Gang dieses Gefängnisses auch ein weißer Plastikstuhl steht. Und die Welt mag ja gerne Verschwörungstheorien und deshalb hat es tatsächlich Leute gegeben, die gesagt haben: Mensch, es war doch die CIA die Berg umgebracht hat. Was natürlich völliger Quatsch ist, weil die Stühle gibt es sicherlich auch im Irak zuhauf. "

Der weiße Plastikstuhl im Dienst der CIA? Ist das der Grund, warum der Monobloc so viele Gegner hat?

"Eigentlich findet es man ja immer gut, wenn etwas billig zu haben ist und wenn etwas funktioniert. Nur im Falle des Monobloc stellen sich dann sehr viele Leute hin und sagen: Ist mir jetzt egal, trotzdem böse. Will ich nicht haben in meinen eigenen vier Wänden oder auf meiner eigenen Terrasse will ich ihn keinesfalls sehen. "

Zugegeben, besonders schön ist der Monobloc nicht. Aber für Thiel ist das noch lange kein Grund, ihn regelrecht zu verfolgen.

"Irgendwann ist mal Leuten eingefallen, in verschiedenen Stadtverwaltungen, sie möchten keine Plastikstühle mehr sehen auf ihren Straßen, beispielsweise die Stadt Bratislava hat ihn verboten, darf auf öffentlichen Straßen nicht mehr aufgestellt werden. "

Selbst an den Stränden von Pattaya und auf dem Quedlinburger Marktplatz wollte man ihn verbieten. Natürlich ohne Erfolg. Am Ende triumphiert immer der Monobloc. Einfach, weil er so ein überragend praktisches Produkt ist, findet Thiel.

"Je länger ich über diesen Stuhl nachgedacht habe, desto mehr mochte ich ihn und inzwischen ist das wirklich eine ganz ernsthafte, tiefe Zuneigung, die ich für ihn entwickelt habe. "