The Flaming Lips: "Oczy Mlody"

Herrlich durchgeknalltes Konzert-Epos

Der Sänger der Flaming Lips, Wayne Coyne, bei einem Auftritt
Der Sänger der Flaming Lips, Wayne Coyne, bei einem Auftritt © dpa picture alliance/ Steve C. Mitchell
Von Marcel Anders · 11.01.2017
Die "Flaming Lips" sind bekannt für abenteuerlichen Sound und schrille Bühnenshows. Auch ihr 15. Album "Oczy Mlody" steht in dieser Tradition. Herausgekommen ist ein skurriles Werk über die Welt von Reichen, die sich ihre eigene Realität errichten. Mit Einhörnern und endlosen Partys.
Wayne Coyne verfolgt seit dem 16. Lebensjahr eine regelrechte Mission. Damals jobbte er in einem Restaurant in Oklahoma, wurde überfallen, mit einer Schusswaffe bedroht und hatte eine regelrechte Erleuchtung.
"Ausgeraubt zu werden und sich sicher zu sein, dass man stirbt - was dann aber nicht passiert ist - hat bewirkt, dass ich all meine Unsicherheiten und alle Ängste vor dem Versagen schlagartig überwunden habe. Nach dem Motto: 'Wenn ich Musik mache und keinem gefällt sie, ist mir das egal. Einfach, weil ich lebe - und nur noch tue, was mir gefällt.'"
Eine Philosophie, die Wayne Coyne seit exakt 40 Jahren verfolgt. Und die ihn - als Künstler wie Mensch - weit gebracht hat. Denn der Mann mit dem weißgrauen Locken, den Glitzersternen im Gesicht und den Smiley-Buttons am Revers, lebt in einem Gesamtkunstwerk aus Musik, Film, Malerei und Performance-Art. Unterschiedliche Medien, die sich gegenseitig befruchten. Wobei der Schwerpunkt ganz klar auf Optik und Präsentation liegt - nach einem berühmten Vorbild.
"Wenn man sich alte Fotos und Videos von Peter Gabriel aus seiner Zeit bei Genesis anschaut, dann verkleidet er sich da als Blume, die sich permanent verändert. Das hat dafür gesorgt, dass ich die Band schon mochte, ehe ich nur einen Ton von ihr gehört habe. Es war sein Charisma, das ich wahnsinnig cool fand. Und so geht es vielen Leuten: Sie fühlen sich nicht so sehr vom Klang eines Künstlers angezogen, sondern von seiner Persönlichkeit und seinem Aussehen. Das ist das Entscheidende."

"Oczy Mlody": Skurrile Vision über künstliche Welten

Gute Musik ist für Wayne Coyne wie ein Kinofilm, der alle Sinne in Beschlag nimmt. Das gilt auch für "Oczy Mlody", ein herrlich durchgeknalltes Konzept-Epos über die Welt der Reichen und Berühmten, die schon heute in abgeschotteten Promi-Parks residieren - und irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, ihre eigene Realität errichten werden. Mit Einhörnern, endlosen Partys und Drogen, die über Nacht schlank und hübsch machen:
"Die Menschen werden bald so verdammt reich sein, dass sie sich nicht mehr mit ein paar Milliarden Dollar, geschweige mit der echten Welt zufrieden geben. Sie werden ihre eigene Realität bauen. Und dann könnte man zum Beispiel fünf oder sechs Jahre im Mittelalter verbringen, wo alles detailgetreu nachgebaut ist. Also in einer schwer bewachten, künstlichen Welt. Und wenn man irgendwann genug davon hat, wechselt man halt in eine andere Fantasie."
Eine skurrile Vision, die Wayne Coyne genauso skurril umsetzt. Mit einem abenteuerlichen Sound, der die verzerrten Beats von angesagten HipHopern wie ASAP Rocky neben liquide Psychedelia aus den 60s stellt - mit Anleihen bei Brian Wilson, den Beatles und Peter, Paul & Mary. Ein Brückenschlag zwischen den Generationen, zwischen den Wurzeln der Bandmitglieder und dem musikalischen Hier und Jetzt. Aber auch ein Ansatz, der seinesgleichen sucht - weil er allein auf weiter Flur steht:
"Wir versuchen, im Vibe der Sixties zu schwimmen - aber nicht wie Peter, Paul & Mary zu klingen. Ich will die Sehnsucht, die in diesen Stücken steckt, mit einer modernen Produktion vermitteln. Deshalb ist das Album so emotional und melodisch. Wir kreieren zwar einen neuen Sound, aber wer sich mit Musik auskennt, weiß, dass er Elemente von den Beatles und Neil Young enthält. Es geht nur darum, wie man ihn anlegt."

Elektrische Einhörner Teil der Flaming Lips-Tournee

Dass er den normalen Hörer mit so viel Musikhistorie gnadenlos überfordert, das Risiko geht Wayne Coyne gerne ein. Schließlich kommen die Flaming Lips ohne Hits aus. Sie bedienen ein treues Publikum mit spektakulären Konzerten und obskuren Tonträgern - seien es Cover-Alben, Projekte mit Miley Cyrus, Veröffentlichungen auf farbigem Vinyl oder USB-Stick in Gummibärchen-Masse: Die Welt dieser Überzeugungstäter ist schrill, bunt und kreativ. Wovon auch "The King´s Mouth" zeugt. Eine Installation aus einem gigantischen, begehbaren Pappmasche-Kopf mit atmosphärischen Klängen, wechselnden Farben und Lichteffekten, die aktuell im amerikanischen Baltimore zu bewundern ist:
"Das Programm, das wir für Baltimore entwickelt haben, dauert 31 Minuten. Und die Tatsache, dass man sich in der Installation hinlegt, ist der Trick an der Sache. Würde man nur da sitzen und auf einen Bildschirm starren, wäre man nicht so bei der Sache. Aber durch das Liegen ist man derart entspannt, dass man sich weder bewegen, zum Handy greifen oder aufstehen will. Und dann kann man die Leute viel besser mit Musik, Dynamik und Effekten überraschen."
Das Spiel mit der Auffassungsgabe möchte Wayne Coyne noch einige Zeit fortsetzen. Schließlich kommen auf der nächsten Tournee elektrische Einhörner zum Einsatz und für den Sommer plant er ein wahnwitziges Film-Projekt: "Pink Floyd in Pompeji" - neu eingespielt von den Flaming Lips in einem Amphitheater in Oklahoma. Eine Mischung aus Genialität und Freakshow, die Wayne für nichts und niemanden aufgeben würde.
"Ich kenne viele Leute, die schon ganz früh sichere Jobs haben wollten. Und die uns für verrückt hielten. Aber die sicheren Jobs sind verschwunden. Wie beim Präsidenten einer Versicherungsgesellschaft in Boston, der ein riesiges Haus besaß, in dem wir oft übernachtet haben. Als das weg war, wusste er nicht, was er machen sollte. Aber die Flaming Lips sind noch da. Was zeigt: Auf Nummer sicher gehen, ist auch nicht sicher. Es ist nur ein anderer Weg."
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