The Drums: "Brutalism"

Ein Album wie eine Therapie

Jonny Pierce (The Drums) posiert auf einem Stuhl
Musiker Jonny Pierce: "Ich bin jetzt zufriedener mit dem Leben, das ich führe" © Nicholas Moore/Anti
Jonny Pierce im Gespräch mit Martin Böttcher · 02.04.2019
Mit „Let’s Go Surfing“ landeten The Drums in den Nullerjahren einen Hit. Heute sagt Sänger Jonny Pierce: "Ich könnte nie wieder einen Surf-Song schreiben". Und sieht sein neues Werk "Brutalism" als eine Art Selbsterkundung an.
Martin Böttcher: Jonny Pierce, auf dem Cover zum letzten Album, bei "Abysmal Thoughts", da haben Sie Ihren damaligen Freund an einem Turnschuh von Ihnen riechen lassen. Jetzt, beim neuen Album "Brutalism", da schnüffeln Sie selbst genussvoll an einem getragenen T-Shirt. So freizügig hätten die ersten Platten von The Drums gar nicht sein können, oder?
Jonny Pierce: Ja. Erst bei "Abysmal Thoughts" war ich es, der alle Entscheidungen treffen konnte. Vorher musste ich auf die Meinungen der anderen Bandmitglieder Rücksicht nehmen. Die hatten ganz andere Vorstellungen davon, wie wir öffentlich auftreten sollten, nämlich viel verschmitzter und unbedarfter als das, was mich eigentlich immer schon angezogen hatte.
Ich denke, dass ich generell ein bisschen extremer bin als meine ehemaligen Bandmitglieder. Ich wollte nicht "dreamy" sein. Sexualität nimmt viel Platz in meinem Leben ein. Bis zu dem Album "Abysmal Thoughts" konnte ich das aber weder visuell noch in meinen Texten ausdrücken.
Böttcher: Es scheint so, als hätten Sie sich erst auch so richtig freistrampeln müssen. Sie sind in einem tiefreligiösen Elternhaus aufgewachsen, beide Pastoren. Es heißt sogar, dass Sie mal in einer vermeintlichen Therapie waren, also eine, die Ihnen die Homosexualität austreiben sollte.

"Auf dem Album geht es eher darum, sich selbst zu entdecken"

Pierce: Ja, das stimmt. Ich glaube, dass ich mich mittlerweile einigermaßen davon emanzipiert habe. Aber es ist nicht lange her, da habe ich Verhaltensweisen an mir beobachtet, die mich an alte Muster erinnert haben.
Eigentlich weiß ich ja heute, dass es okay ist, schwul zu sein, dass das keine Krankheit ist. Aber tief in mir drin hege ich immer noch Schamgefühle und fühle eine gewisse Schuld. Und diese Gefühle stammen eben aus den ersten 19 Jahren meines Lebens. Damals hat man mir gepredigt, dass es falsch ist, schwul zu sein, dass es krank ist und eine Sünde.
Solche Gedanken bestimmen heute längst nicht mehr meinen Alltag, aber es gibt sie noch. Ein Wendepunkt in dieser Hinsicht war, als das Bandprojekt The Drums zum Soloprojekt wurde. Ich hatte auf einmal so viel Raum, um mich selbst zu erforschen. Daher waren "Absymal Thoughts" und auch jetzt das neue Album "Brutalism" fast wie eine Therapie für mich.
Besonders auf "Brutalism" stelle ich viele Fragen. Fragen, auf die ich nicht unbedingt eine Antwort habe. Auf dem Album geht es eher darum, sich selbst zu entdecken. Ich fange jetzt erst an, mich mit mir selbst zu konfrontieren.
Böttcher: Das heißt aber, Sie können jetzt noch gar nicht genau sagen, wo Sie gerade im Leben stehen? Darüber, dass Sie schwul sind, konnten oder wollten Sie ja lange nicht sprechen. Sie waren verheiratet, Sie haben sich scheiden lassen. Sie haben viel Party gemacht, und das war nicht immer gut für Sie. Aber wo sind Sie jetzt gerade?
Pierce: Wir verändern uns ja die ganze Zeit. Aber ich glaube, ich bin jetzt zufriedener mit dem Leben, das ich führe, viel mehr als früher. Ich kann jetzt akzeptieren, dass ich nicht auf alle meine Fragen eine Antwort finde. Dass mich das Leben immer wieder vor neue Herausforderungen stellen wird. Ich habe gelernt, im Moment zu leben, nicht ständig auf eine Zukunft zu warten, in der irgendwie alles gut sein wird. Und das macht mich so glücklich, so glücklich, wie ich es eben sein kann.

"Meine Liebe ist monströs"

Böttcher: Warum heißt die Platte dann nicht "Happiness", sondern "Brutalism"?
Pierce: Abgesehen davon, dass mir Brutalismus als Architekturstil gefällt … Na ja, ich war schwer verliebt, als ich das Album geschrieben habe. Ich bin für ihn nach Brüssel gezogen; ich bin dem Ruf der Liebe gefolgt. Und wenn ich jemanden liebe, dann ohne Wenn und Aber.
Meine Liebe ist monströs, extrem, unpraktisch, also alles, was man auch mit dem Brutalismus verbindet. Und ich habe diesen Typen einfach bis zur Selbstaufgabe geliebt – und wenig zurückbekommen. Das war auch brutal. Auch, wenn ich jetzt daran denke, ist das immer noch heftig. Ich bin längst noch nicht darüber hinweg.
In meiner Idealvorstellung können wir auch über solche Dinge sprechen, also aufrichtig über die unschönen Dinge sprechen. Ich bin mir sicher, dass das helfen kann. Mir und anderen. Ich möchte über Dinge sprechen, die sich brutal anfühlen oder Angst machen. Ich kann mir nicht vorstellen, noch einen zweiten Surf-Song zu schreiben. Das wäre unaufrichtig.
Böttcher: The Drums standen ja auch immer für Jugendlichkeit, für Unbeschwertheit, für Draufgängertum und Leichtigkeit. In der nächsten Minute aber auch für das komplette Gegenteil, also niedergeschlagen zu sein, zu Tode betrübt. Mit dem Alter pendelt sich das dann meistens so ein bisschen ein. Wie ist das bei Ihnen, was haben Sie für ein Verhältnis zu diesen alten Songs, wenn Sie sagen, Sie könnten nie wieder so einen Surfer-Song schreiben?

"Weit von meinem wahren Ich entfernt"

Pierce: Jeder Song, den ich rausbringe, zeigt, wo ich gerade stehe im Leben. Und als ich Songs wie "Let’s go surfing" oder "Down by the water" geschrieben habe, war ich einfach noch weit von meinem wahren Ich entfernt. Diese Songs sind bei den Leuten gut angekommen, aber sie kamen nicht aus meinem Herzen. Ich war einfach noch nicht so weit.
Ich kann schon nostalgisch werden, wenn ich mir Songs von den ersten drei Alben anhöre, aber nicht auf diese gute Art und Weise. Ich hoffe, dass ich mir die Platten irgendwann mal vorbehaltlos anhören kann. Es ist nicht so, dass ich die Songs hassen würde, aber ich fühle mich von ihnen auch nicht angesprochen.
Es gibt immer wieder Leute, die mir sagen, wie diese ersten Platte ihre Leben gerettet haben – und zwar wortwörtlich. Dass sie wegen meiner Songs keinen Suizid begangen haben. Und ich sitze da, höre mir das an, und denke: Interessant, für mich sind diese Songs gar nicht wichtig. Aber das Gute ist eben, dass die Songs anderen helfen können.
Böttcher: Können Sie trotzdem noch schätzen, was diese Alben, diese frühen Alben von den Drums Ihnen für ein Leben ermöglicht haben?

"Die Musik hat mich gerettet"

Pierce: Ja, in dieser Hinsicht bin ich absolut dankbar. Die Musik hat mich gerettet. Vor der Band wusste ich einfach nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Ich habe Schuhe verkauft. Daran ist ja nichts Schlechtes, aber das hat mich nicht ausgefüllt. Aber es war nun mal mein Leben. Ich hatte nicht mal die Hoffnung, etwas anderes zu machen. Es war irgendwie klar, dass ich als Verkäufer in einem Laden arbeiten würde.
Und dann habe ich ein paar Songs geschrieben, und sechs Monate später habe ich die ganze Welt bereist. Total verrückt. Und es muss also etwas Besonderes in diesen Songs drinstecken. Aber mir bringen sie nichts – eher im Gegenteil.
Böttcher: Was aber trotzdem auf dem neuen Album auch da ist, ist wieder dieses Gespür für Melodien, was ganz früher diese ersten Drum-Songs ja auch so ausgemacht haben. Würden Sie dem zustimmen, dass Sie vielleicht wieder mehr Spaß an Melodien haben?

"Ich werde nie mehr wieder alleine arbeiten"

Pierce: Mit dem neuen Album konnte ich eine ganze Reihe von Audiofetischen abhaken – von den 90er-Jahre Breakbeats bis zu den Drum&Bass-Elementen. Außerdem sind ein paar neue Musiker dazugekommen, wie zum Beispiel Brian, der Schlagzeuger, der seine ganz eigenen Ideen mitgebracht hat.
Ja, ich glaube, ich bin jetzt wieder verliebt in die Musik. Es gab ein paar Jahre, da konnte ich Musik echt nicht aushalten. Wenn jemand im Auto das Radio angeschaltet hat, habe ich es wieder ausgemacht.
Das ist jetzt anders. Und ich glaube, die Lösung war, mit anderen zusammen zu arbeiten. Früher habe ich alles selbst gemacht. Selbst als noch die anderen in der Band waren – eigentlich habe ich alles gemacht, in meinem Schlafzimmer. Wahrscheinlich, weil ich ihnen nicht vertraut habe.
Das hat den Spaß an der Sache verdorben. Das hat sich nach Arbeit angefühlt. Jetzt, mit den neuen Musikern, ist es anders. Ich glaube, ich werde nie mehr wieder alleine arbeiten. Ich würde verrückt werden.
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