Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Teufelsmütter Wenn Töchterseelen zerbrechen Von Rosvita Krausz Produktion: Dlf 2019 Erstsendung: Freitag, 12. Juli 2019, 20:10 Uhr Redaktion: Tina Klopp Regie: Antje Vowinckel Es sprachen: Mariel Jana Supka, Katja Hirsch, Annette Strasser, Susanne Kliemsch, Anton Andrejew Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Dorothee Paul: Es gab verschiedene Sätze. Zum einen: das was jetzt hier war, das ist nie passiert! Das streichst du sofort aus deinem Gehirn. Und wenn du was sagst, dann glaubt dir das sowieso keiner. Am besten vergisst du das sofort wieder und ich weiß nicht, ob sie es ausgesprochen hat, aber es kam eine Botschaft, wenn ich was verrate, dann zerstöre ich ja ihr Leben und dann kann es sein, dass sie sich umbringt und ich wäre ja Schuld daran. 29" O-Ton Verena Wirtz Von Anfang an waren Dinge auffällig. Schon im Kindergarten, schon beim Kinderarzt. Die Wunden waren auch auffällig. Die wurden sogar dokumentiert in meiner Kinderarzt-Akte. Der Kinderarzt hat sich an meine Mutter gewandt, Lehrer haben sich an meine Mutter gewandt. Natürlich hat sie sich dann aufgebaut: "Hach, ich weiß gar nicht was Sie meinen, ach mein Kind ist so aufgeweckt und bewegt sich so viel, das stolpert dann halt mal! Hach ja, dünne Kinder liegen bei uns in der Familie. Ja, die ist halt schüchtern. Sie konnte das sehr gut verkaufen. 32" O-Ton Janne Merseburger: Das ist immer so dieses Bild aufrecht erhalten, das ist das Allerwichtigste: die Nachbarn dürfen nichts Schlechtes denken. Das Kind muss ordentlich gekleidet sein. Das muss gut aussehen. Da darf also keiner irgendwie Verdacht schöpfen. O-Ton: Dorothee Paul Was sie formuliert hat ist: "uns geht's ja gut". "das hat dir ja alles nicht geschadet!" Heute weiß ich, doch es hat mir geschadet. Ich weiß, es hat mir geschadet, was es mit mir gemacht hat, wie es mich geprägt hat und ich glaube, das was ich hochgeholt habe. Es war irre schwer, diesen Schritt zu machen, mir selber zu glauben, weil mir in der Kindheit eingeredet wurde: das glaubt dir sowieso niemand, Kindern glaubt sowieso keiner. Wenn die Wahl gewesen wäre, glaubt man meiner Mutter oder glaubt man mir als Kind, dann ist ja klar, dass der Mutter geglaubt wird. Und ich würde genau umgekehrt sagen. T e u f e l s m ü t t e r W e n n T ö c h t e r s e e l e n z e r b r e c h e n V o n R o s v i t a K r a u s z O-Ton Dorothee Paul: Also ich hatte in der Zwischenzeit noch ein paar Erinnerungsschübe in Schmerzattacken. Und ja, die haben schon mal heftig mit meiner Mutter zu tun gehabt. Eine ganz schmerzvolle Erinnerung, die hoch gekommen ist war, dass sie mich im Alter von knapp 4 Jahren in ein Erdloch in unserem Garten gesteckt hat, dass ich da rein musste. D.h. Ich lag darin völlig regungslos in diesem Dunkel ohne dass ich wusste, wann ich da wieder rauskomme, ohne Zeitgefühl , ich glaube, ich lag auch nackt da drin und war den Tieren da, den krabbelnden ausgesetzt. Und lag da einfach nur. Erzählerin: Dorothee Paul führte bis vor drei Jahren ein normales Leben. Häuschen im Grünen. Drei wohlgeratene Kinder. Glückliche Ehe. Selbst ihren Beruf als Versicherungsmaklerin mochte sie. Aber dann kam der seelische Zusammenbruch der ältesten Tochter Katrin. Scheinbar aus heiterem Himmel wollte die Tochter ihrem Leben ein Ende setzen. Aus Liebeskummer, hieß es zunächst. Sie war 27, hatte ihr Studium hinter sich. Plötzlich fing sie an, ihr ganzes Leben in Frage zu stellen. In welche Familie war sie hinein geboren. Wer waren ihre Eltern. Wer war ihre Mutter. Auch Dorothee Paul begann, sich Fragen zu stellen. Gemeinsam mit der Tochter begab sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit. O-Ton Dorothee Paul: In den in den letzten drei Jahren hab ich mir angeguckt, mein Verhältnis zu meiner Mutter, wie sie mich geprägt hat Dass sie mich als Kind verkauft hat, sexuell an Männer verkauft hat. Und ich hätte mir vorher diese Dimension nicht vorstellen können. Erzählerin: Hol Dir therapeutische Hilfe, hatte ihr Tochter Katrin geraten. Was da auf dich zukommt, verkraftest Du nicht allein. O-Ton Dorothee Paul: Meine Tochter hatte das mal in einer Missbrauchs-Stammbaum-Arbeit dargestellt, wie viele bekannte Missbrauchssachen in der Familie drin sind. Und da ist es halt so, ich bin von meinem Vater missbraucht worden als Kind, und ich bin von meinem Bruder, der 7 Jahre älter ist auch missbraucht worden. Da war er fünfzehn, ich acht. Und von meiner Mutter bin ich auch sexuell missbraucht als kleines Kind schon. Mein Bruder hat meine Tochter sexuell missbraucht. Und das wichtigste für mich ist, diese Sachen aus diesem abgespaltenen Zustand hoch zu holen, damit man dann eine Chance hat, damit umzugehen. Akzent: O-Ton Dorothee Paul: Woran ich mich erinnern konnte war, dass ich sie schon als Säugling geschüttelt habe, dass ich sie in der Badewanne fast hätte ertrinken lassen, Ich weiß nicht wie es geendet ist. Sie ist nicht ertrunken. Aber ich weiß, dass es auch diese Situationen gab und auch das war leider noch nicht alles. Und... es fällt mir natürlich schwer, das auszusprechen, aber... ich glaube nicht, dass ich meine Tochter so missbraucht habe, wie meine Mutter mich; aber ich glaube, ich habe sie vorbereitet oder musste sie vorbereiten auf den Missbrauch durch andere. Erzählerin: Dorothee Paul ist in einem satanischen Kult aufgewachsen. Wurde abgerichtet, ein williges Opfer und eines Tages Täterin zu werden. Susanne Neumann erging es ähnlich. O-Ton Susanne Neumann: Meine Mutter hat immer gesagt, du bist dick, doof, dumm und hässlich, du bist Dreck und wenn du mit der Zunge den Dreck ablecken kannst, kannst du dankbar sein. Und so bin ich groß geworden, dass ich halt dumm in der Birne bin und dass ich eine Schande für alle bin und besser hätte man mich abgetrieben, zumindest ins Klo gespült usw. So bin ich halt tagtäglich groß geworden. Und diese Botschaften verinnerlicht man. Ich hab ganz lange sehr schlecht über mich geredet. Sehr schlecht. O-Ton Susanne Neumann: Und dann bist du halt in eine Kiste gesperrt worden und hast halt gedacht, du stirbst Oder meine Mutter hat mal mit ihrer heißen Wut mich mal fast umgebracht mit dem Kissen, bis ich wirklich schon gemerkt hab, ist vorbei, so irgendwie. Oder sie hat mich die Treppe runtergeschmissen, weil irgendein Wort wieder nicht gepasst hat, und da war's dann so, dass sie mir die Nase so zertreten hat, dass die operiert werden musste und mir den Rücken zertreten hat und in den Bauch, dass ich kaum noch Luft gekriegt hab. Und es dann hieß: "jetzt in den Keller, du weißt ja, was du angestellt hast. Denk mal nach". Und? Zack, Knall, kamen die Ohrfeigen. Und dann wurde auf den Vater gewartet abends und dann kam das Tribunal, alles was sie sich hat einfallen lassen konnten: Essensentzug und halt noch länger im Keller. Und ja, und diese Isolation hat dazu geführt, dass ich auf der einen Seite, das war fast ein bisschen verrückt, ich war auch dankbar, im Keller zu sein. Im dunklen Dreck. Weil da hatte ich meine Ruhe. Soweit war das, dass ich gemerkt habe: Gott sei Dank. Und wenn dann wieder kam, klack, klack, klack, dann kam die Angst wieder. Erzählerin: Susanne Neumann hat diverse Berufe ausgeübt; war Sprechstundenhilfe, Kindergärtnerin, Chemielaborantin, Übersetzerin. Mehr als die Hälfte ihres Lebens war sie Gefangene einer satanischen Sekte, die über ihr Leben wachte, wohin sie auch ging. Erinnerungsprotokoll von Susanne Neumann. Verfasst im Juni 2018.: Zitatorin 1: Meistens wurde ich, von der Schule kommend, mit den ersten Ohrfeigen oder kleiner Tracht Prügel empfangen. Ich wüsste ja wofür. Erstaunlicherweise mache ich bis heute "fast in die Hose", wenn ich nach Hause komme. Auch bei mir. Zuhause ist Zuhause! Als 7jähriges Schulmädchen oder als Kindergartenkind habe ich oft noch in die Hose gemacht, wenn ich nach Hause kam. Schon gab es den nächsten schlaggebenden Grund! Bis ungefähr 13 war ich Bettnässerin, und fürchtete mich, zu essen. Es ekelte mich vor allem, was in den Mund kam. Ich hatte Angst, aufs Klo zu gehen. Das wollte ich vermeiden. Ich hatte chronische Verstopfung. Irgendwie hatte ich außer den Schmerzen beim Stuhlgang furchtbare Angst, dass wirklich Ratten, Spinnen und Schlangen aus dem WC in meinen After kriechen. Das hatte ich so gelernt, dass dies bei bösen Kindern sei. Und da ich ja stets geschlagen wurde, glaubte ich ja selbst, dass ich böse sein muss. Mutter sagte auch immer, "Außen hui, innen pfui". Ich hätte eine besonders schwarze Seele, die man mir austreiben müsste. O-Ton Susanne Neumann: Meine Mutter hat dann später gesagt, dass die zwei Abtreibungsversuche nicht geklappt haben, und dass sie mir die auch übel nimmt, weil so ein Stück Scheiße immer um sich zu haben, das ist einfach schlimm. Sie hat mir nie verziehen, dass ich auf der Welt bin. Sie hat auch immer gesagt: dauernd muss ich deine Visage sehen, geh mir aus dem Weg. Du bringst mich noch ins Grab. Du bist so hässlich und du erinnerst mich, wie Scheiße du bist, so und ich glaube, dass sie davon wirklich überzeugt war. Meine Mutter war halt "dicht", vielleicht hat sie auch im Krieg, weiß ich nicht, Dinge erlebt, keine Ahnung, auf jeden Fall, die hat keine Gefühle zugelassen und wenn, hat sie auf mich rumgekloppt oder hat dann halt die Gefühle im Sadismus ausgetobt. Und sehr getrennt, die lieben Geschwister und die böse Tochter, die sie nicht wollte. Ich glaube, dass meine Mutter kreuz unglücklich war!!!! Das glaube ich mittlerweile. Ich glaube, dass sie eine genauso einsame Frau war, wie ich ein einsames Kind. Akzent: O-Ton Verena Wirtz Bis zum Ende der Mittelstufe war ich fest davon überzeugt, dass meine Mutter besessen ist. Das war für mich die einzige Möglichkeit, das zu erklären, dass eine Art von Monster da den Körper meiner Mutter besitzt. Also wenn sie mit Tieren umgegangen ist, sie hat, das ist so, wenn sie denen was Schlechtes getan hat, dann hat man in ihren Augen, so eine Lust oder Freude gesehen. Und das ist genau das, was ich gesehen hab, wenn sie mir diese Dinge angetan hat. Und so ein Mensch ist sie einfach. Erzählerin: Die Chemie-Studentin Verena Wirtz lebt in einer Wohngemeinschaft mit Kommilitonen in Bielefeld. Sie ist 25 und konnte vor Gericht durchsetzen, dass ihre Mutter, eine gutverdienende Akademikerin, bis zum Ende des Studiums Unterhalt an sie zahlen muss. Persönlichen Kontakt zu ihr lehnt Verena ab. O-Ton Verena Wirtz Das Problem bei mir ist, von manchen Dingen war viel zu viel und von anderen Dingen war viel zu wenig. Und das beschreibt es einfach. Also es war ganz wenig Sicherheit. Eigentlich gar keine. Und damit meine ich jetzt so Verlässlichkeit oder ein sicheres Elternhaus war nicht da. Ich war auch körperlich nicht sicher. Ich war nicht sicher vor Schmerzen. Ich war nicht sicher vor Hunger. Also es war zu wenig Essen. Es war zu wenig Kind sein, weil ich unglaublich viele Aufgaben zu Hause übernommen habe, und es war offensichtlich zu viel Gewalt und zu viel Verantwortung und zu viel Hass - ich kann das nur als einen ganz großen Druck beschreiben von dem ich mir auch heute gar nicht mehr vorstellen kann, wie so ein kleines Kind das ausgehalten hat. Ich habe in der Kunsttherapie mal so ein Bild gemalt, wo ich mich als Kind beschreiben sollte und das war ein kleines Kind in der Mitte und darum herum standen lauter Menschen mit Speeren, die auf das Kind zeigten. Erzählerin: Direkte Zeugen des Missbrauchs gab es nicht. Wenn Verena weinte, wurde sie in ihrem Zimmer eingesperrt und Musik auf volle Lautstärke gestellt. Eine Verwandte, der sich Verena als 14jährige anvertraute, weigerte sich einzugreifen. O-Ton Verena Wirtz Ich hab stundenlang einfach nur im Zimmer gesessen und nur geweint. Mir blieb nur schreien übrig und dann hab ich einfach geschrien. Stundenlang. Da hat sie mir gesagt, ich muss das einstellen. Für mich war völlig klar, wenn ich mir das nicht abtrainiere, dann macht sie das. Und dann hab ich mich einfach bestraft. Jedes Mal, wenn ich gemerkt hab, ich glaube, ich muss weinen, ich glaube ich werde traurig, dann habe ich mir einfach selber eine Ohrfeige gegeben. Okay besser ich mach das jetzt, als sie macht das. Dann hab ich tatsächlich irgendwann nicht mehr geweint. Und irgendwann gab's einen Tag, wo ich zu Hause in unserer Wohnung derart zusammen gebrochen bin, dass ich dann zu ihr gegangen bin und da hab ich gesagt, Mama. Mir geht's so schlecht, ich möchte sterben. Ich möchte einfach nur noch sterben. Erzählerin: Mit 17 Jahren schafft sie es, einen Termin in der Kinderpsychiatrie durchzusetzen. Es folgt ein kurzer Klinikaufenthalt wegen akuter Depression und Suizidgefahr. Aber Verenas Zustand bessert sich nicht. Die Mutter ist bei den Gesprächen stets anwesend. Erst als sich mit einer Psychiaterin ein Vier-Augen-Gespräch ergibt, kann Verena sagen, was wirklich mit ihr los ist. O-Ton Verena Wirtz Ich hab schrecklich geweint und eine Stunde lang am Stück geredet. Die Ärztin hat nur mitgeschrieben und gesagt: Du bleibst jetzt erst mal hier. Und dann bin ich in so ein Jugendheim einfach gekommen und für mich war das der Himmel auf Erden. Ganz viele Leute sagen, ach du Arme, du musstest im Heim leben! Für mich war das der schönste Ort der Welt. Da war jemand, der hat mich gefragt, wie es in der Schule war, wenn ich aus der Schule kam. Es gab Essen. Es gab so viel Essen, bis ich satt war. Die Betreuer haben mich gefragt, wie es mir geht. Natürlich haben die uns nachts dort eingesperrt. Natürlich gab's strikte Regeln, aber das war mir egal. Ich war auch dankbar dafür, dass es mal sinnvolle Regeln gab und wir wurden nachts eingesperrt, damit keiner abhaut und wir auch sicher sind und es hat auf einmal alles Sinn gemacht. Da waren Leute, die haben sich um mich gekümmert. Klar, sie mussten das machen, aber sie haben es sehr liebevoll gemacht. Akzent O-Ton Klara Sommer: Wenn ich an meine Mutter denke heute - über 20 Jahre ist es jetzt her,- dass ich sie zuletzt gesehen hab, dann denke ich an eine Frau, die sehr zerstört ist und in mir viel zerstört hat, bevor es überhaupt richtig sich entwickeln konnte. Erzählerin: Klara Sommer ist Ende dreißig. Sie mag ihren Beruf als Krankenschwester, ist beliebt bei den Patienten, sagt sie. Sie hat zwei Stiefgeschwister, die ihr immer vorgezogen wurden. O-Ton Klara Sommer: Sie hat mich viel geschlagen, mich angebrüllt, ja ist viel Gewalt passiert. Nicht nur Schläge, auch Tritte und bespucken und gegen die Wand werfen. Treppe runterschubsen, Psychoterror. Für mich war das normal. Ich kannte das nicht anders. Ich kenne meine Mutter auch nicht anders zu mir. Mit meinen Geschwistern war sie anders und mit anderen Menschen auch. Aber zu mir war sie ja immer so. Ich hab das jetzt nicht besonders, besonders, gefunden. Erzählerin: Klara Sommer in einem Text über ihre Mutter, veröffentlicht in dem Buch "Der innere Ausstieg - transgenerationale Gewalt überwinden" von Michaela Huber, 2018 erschienen bei Books on demand. (2018 Books on Demand GmbH) Zitatorin 2: Der Blick meiner Mutter ist weich und schwammig, aber eisenhart im Kern, ihr Mund auf einer Seite verächtlich hochgezogen. Ihre Augen sehen mich an, ich suche darin, ich suche und suche. Ich kann es nicht ändern. Was ich fühle ist Liebe. Es ist ganz warm. Ich verstehe nicht, dass ich nicht ankommen werde. Sie wird mich nicht aufnehmen. Nicht in ihren Blick- und nicht in ihr Herz. (Michaela Huber "Der innere Ausstieg". (2018 Books on Demand GmbH) O-Ton Klara Sommer: Sie war oder ist eine sehr schöne Frau fand ich, schlank, blond sieht mir ziemlich ähnlich und für mich hatte sie eine sehr warme Ausstrahlung verrückterweise. Ist halt meine Mutter. Oder ich hab die phantasiert oder mich dahin gewünscht. Aber ich hatte immer die Vorstellung oder das Gefühl, dass sie eigentlich ein lieber Mensch ist, sehr warm ist und es eben nur mit mir nicht sein kann. Dass ich das sozusagen auslöse, dass sie so wird. So aggressiv. Und das ist wahrscheinlich z.T. auch richtig. Erzählerin: Die Augenzeugin Doris Hellmich gab 2009 in einem Brief an das Versorgungsamt zu Protokoll: Zitatorin 3: Als Klara ca. 18 Monate alt war, bemerkten wir erstmals, dass Klara schreckliche Angst vor ihrer Mutter haben musste. Sie brauchte ihre Tochter nur anzusehen, da begann das Kind zu zittern und verkroch sich. Klara Sommer war ein sehr intelligentes, liebebedürftiges, sehr eingeschüchtertes und schreckhaftes Kind. Sie taute erst auf, wenn ihre Mutter nicht in der Nähe war. O-Ton Klara Sommer: Also Essenssituationen waren so, dass ich allein essen musste meistens, weil meine Mutter den Anblick nicht ertragen konnte; dass ich mit am Tisch sitze, hat sie gesagt, es wird ihr schlecht, wenn sie mich sieht, kann sie nicht essen. Und dann war das eben so, dass ich am Tisch saß und vor mir das Essen hatte und meine Mutter hinter mir, und dass ich natürlich immer alles aufessen musste, egal ob es mir geschmeckt hat oder nicht und immer die Angst im Nacken förmlich nicht zu wissen, haut sie mich jetzt gleich oder nicht und dass ich auch wusste, ich darf nicht zu laut kauen, ich darf nicht zu laut schlucken, ich darf nicht aus Versehen schmatzen und jedes Geräusch, das ich mache, hätte sie dazu verleiten können, mir eine reinzuhauen oder mich mit dem Kopf auf den Teller zu knallen. Erzählerin: Klara Sommer in einem Text an ihre Therapeutin: Zitatorin 2: Ich habe nicht gefragt, warum sie mich nicht liebt. Ich wusste ja warum: weil man das nicht kann. Ich bin ein Unglück für den, dem ich passiere, ekelhaft und widerwärtig - wenn sogar die eigene Mutter, die doch naturgemäß ihre Kinder lieben MUSS, das nicht kann, obwohl sie sich so anstrengt es zu können, es auszuhalten, es durchzuhalten, dass ich da bin. Einmal singsangte sie in einem sehr betrunkenen Zustand zu mir hin: "Ich will dich lieben, ich will es wirklich, aber dich kann man nur abartig finden. Ich hasse dich wie ich noch nie in meinem Leben etwas gehasst habe." Michaela Huber "Der innere Ausstieg". (2018 Books on Demand GmbH) O-Ton Klara Sommer: Ich kenne sie nicht anders, als dass sie Alkoholikerin war und immerzu betrunken und eigentlich auch nur zu ertragen war, wenn sie betrunken war. Dann war's nicht ganz so schlimm. Je weniger sie getrunken hatte, umso aggressiver war sie. Und umso unberechenbarer auch. Zitatorin 2: Meine Mutter war knapp 18, als ich mich ankündigte. Sie war da schon krank, trank (und trinkt) seit sie 12, 13, 14 war, wenn man den Geschichten im Ort glaubt. Sie war das zweitälteste von vier Kindern einer strengen, die Familie "mafiös" zusammenhaltenden Mutter und eines prügelnden Alkoholiker-Vaters. Der hat mir als ich so drei Jahre alt war gezeigt, was ein von Männern zu benutzendes Kind können sollte, deshalb habe ich ihn als Grundsteinleger für den Ekel im Verdacht, den meine Mutter für mich empfand. Lese-Buch von Michaela Huber "Der innere Ausstieg". (2018 Books on Demand GmbH) O-Ton Klara Sommer: Also sie hat meinen Stiefvater und mich überrascht dabei, wie er sich an mir vergangen hat und war dann sehr wütend auf mich! Er ist dann rausgegangen und sie hat mich beschimpft und bespuckt. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass ihr klar geworden ist, dass ich so was erlebe, da war ich ja schon etwas älter, als das mit dem Stiefvater passiert ist aber sie wusste schon als ich ganz klein war, dass ihr Vater sich an mir vergangen hat und da hat sie, da gab es ein Gespräch, da war ich 5, da war ich dabei, als sie mit meinem Opa geredet hat darüber und gesagt hat, dass sie weiß, dass ich das will, dass er da aber nicht mitmachen darf dabei. Weil ihm das keiner glauben wird, dass es meine Schuld ist. Aber sie weiß das. Z: Z 1' O-Ton Klara Sommer: Ich glaube dass die ganze Familie Bescheid wusste, soweit ich weiß, hat mir das mit 3 oder 4 Jahren meine Oma väterlicherseits erzählt, dass sie das rausgefunden hat, weil ich mich so verändert hatte, dann hat sie solange an mir gezogen, bis ich ihr erzählt habe, was da passiert im Garten mit dem Opa und sie hat das dann meiner Mutter und meinem Vater erzählt und dann gab es einen Familienrat. Und ich habe keinen Grund anzuzweifeln, was diese Großeltern mir erzählen, mein Vater hat das auch erzählt, dass es den Familienrat gab und dass darüber gesprochen wurde und beschlossen wurde, dass keine Polizei eingeschaltet wird, dass man es in der Familie lässt, dass es einfach nicht mehr vorkommt ab jetzt und ich ja noch so klein bin, dass ich das vergessen werde. Akzent: O-Ton Klara Sommer: Und jetzt muss ich kurz überlegen, ob ich das erzählen will, aber...es gehört dazu, meine Mutter musste ja irgendwie ihre Alkoholsucht finanzieren und hat bevor ich in die Schule kam damit angefangen mich wegzugeben an Männer, damit sie Geld bekommt dafür. Z 20" Akzent: O-Ton Susanne Neumann: Mein Stiefvater hat gesagt: jetzt gehörst du mir! Ich darf jetzt mit dir alles machen. So fing das an mit dem sexuellen Missbrauch. Oft war es so, da hab ich ja auch schon Schlafstörungen gehabt, dass ich angepinkelt worden bin, ins Gesicht gepinkelt worden bin, das war so sein Erkennungszeichen. Hallo meine Prinzessin, ich bin da. Du bist meine Prinzessin, wehe du sagst was, dann kommst du wieder ins Heim. Usw. O-Ton Susanne Neumann: In der Wohnung fand nur der sexuelle Missbrauch durch meinen Stiefvater statt und zu den anderen bin ich gebracht worden. Von meinen Eltern dann halt hingefahren worden. Von meinen Eltern dann halt hingebracht worden. Und das ging ja international. Ich war in mehreren anderen Ländern. Erzählerin: Susanne Neumann in ihrem Erinnerungsprotokoll: Zitatorin 1: Mit verbundenen Augen wurde ich in einem schwarzen Taxi abgeholt und zu den Zielorten gefahren. Ich weiß, dass ich in South-on-Sea, Bath, in Bristol, Dublin (wenn ich mich richtig erinnere) und in Londonderry, in Amsterdam, Rotterdam, Venedig, Wien, Zürich, in den deutschen Großstädten tätig war. Oft wurde ich in den Sommerferien von Geschäftsleuten in verschiedensten Fortbewegungsmitteln (Zug, Auto, Flugzeug) mitgenommen zu Konferenzen, sozusagen als "Pausenfüller" oder abends als "Nachtisch". O-Ton Susanne Neumann: Es gab ja auch von allen Kunden, es gab ja auch welche, die mir mal ein bisschen Geld gegeben haben. Heimlich. Und manchmal hat's auch geklappt heimlich das zu verstecken. Ich muss ja noch klein gewesen sein, weil ich gedacht habe, davon fahre ich dann nach Amerika, also ich kann noch nicht so erwachsen gewesen sein, oder jugendlich. Ich hab gedacht, von dem was ich spare, hau ich ab nach Amerika und dann bin ich weg. Hat natürlich nicht geklappt. Erzählerin: Klara Sommer gelang die Flucht mit 17. Als wäre es ein Tag wie jeder andere, packte sie das Pausenbrot in die Schultasche, verließ die Wohnung in Richtung Schule - und machte sich dann per Anhalter auf den Weg zu ihrem Vater. O-Ton Klara Sommer: Das letzte Mal richtig gesprochen haben wir zwei Tage nachdem ich abgehauen war. Da hatte ihr die Polizei die Telefonnummer gegeben wo ich war und dann hat sie da angerufen und hat erst geweint und gesagt, dass ich doch bitte nach Hause kommen soll, dass wir über alles reden können und dass meine Geschwister mich vermissen würden und dass alles anders wird und hat dann meine Geschwister ans Telefon geholt und als ich dann gesagt hab, trotzdem, ich komme nicht zurück, ich hatte einfach viel zu viel Angst. Ich wusste ja was passieren würde in Wirklichkeit, dann ist sie wütend geworden und hat mich beschimpft und am Ende noch behauptet, dass mein Stiefvater gerade vom Balkon gesprungen wäre. Akzent: O-Ton Dorothee Paul: Die Erinnerung kündigt sich an mit Schmerzen. Manchmal, dass ich morgens aufwache mit Schmerzen. Und ja es sind heftige Kopfschmerzen, die sind in der Regel auch einseitig und ich weiß dann auch ganz klar, um welche Person es geht, dass da zu der Schmerzattacke, die da anfing, dass da meine Mutter dazu gehört und dass eine abgespaltene Situation, dass die hochkommen will, ich weiß aber nicht welche. Und dann tauchen Bilder auf, dann tauchen Sätze auf, die sie gesagt hat, gemischt mit Gefühlen oder Körperreaktionen. Aber Auslöser ist dieser Schmerz, da kann ich nichts anderes machen als abzuwarten, ob und was dann hochkommt an Erinnerung. O-Ton Janne Merseburger: Angefangen hat bei mir alles mit unerträglichen Rückenschmerzen, die immer schlimmer wurden. Mir konnte keiner helfen. Heute weiß ich, dass meine Bandscheibe, alles soweit okay ist. Das Problem sind die Verspannungen, die muskulären Verspannungen. Und dann kriegte ich noch die Diagnose mit meinem Kiefer, ich habe eine Zahnspange, die ich Tag und Nacht tragen muss, ich hab mir auf der linken Seite einen Zahn zerbissen beim Pressen. Also diese ganzen Dinge sind immer noch so schwer belastend für mich nach fünf Jahren Therapie, dass ich extrem knirsche. Und ich knirsche so stark, dass die Verspannungen bis hinten in die Brustwirbelsäule gehen und den linken Arm. Erzählerin: Janne Merseburger, 48, ist Presse-Fotografin. Um die Schmerzen zu lindern, suchte sie zunächst Hilfe bei einem Orthopäden. Erst als ihre Schmerzen einfach kein Ende nahmen, auch regelmäßige Physiotherapien keine Linderung verschafften, schaute sie sich nach Alternativen um. Und fand eine Psychotherapeutin, die für ihre Schmerzen ganz andere Ursachen fand. O-Ton Janne Merseburger: Ich hab wenige Erinnerungen gehabt, Meine Eltern haben sich früh getrennt...z.B. an eine Kneipe, in die mein Vater mich damals mitgenommen hat als kleines Kind, ich war 2. Meine Eltern haben sich getrennt. . Mein Vater war Alkoholiker, meine erste Erinnerung ist, dass mein Vater meiner Mutter das Geschirr auf dem Rücken zerschlägt. Die Möbel fliegen durch die Wohnung, pure Gewalt, Türe eintreten, nur solche Geschichten. Ich bin... jetzt hab ich den Faden verloren. Diese Geschichte in dieser Kneipe - ich wusste immer, in dieser Kneipe ist was passiert und mit der Therapie kam die Erinnerung. Ich hatte mit meiner Mutter mal eine Diskussion, der Frauenarzt hat gesagt, Sie haben die klassischen Merkmale für Missbrauch. Kann das sein bei Ihnen. Und da hab ich damals meine Mutter gefragt, und die ist total ausgeflippt. Die hat gesagt, nein, das kann nicht sein. Da war das Thema wieder vom Tisch. Erzählerin: Janne Merseburger leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung. Tatsächlich hatte sie schon lange verschiedene Stimmen in sich wahrgenommen. Auch kindliche Stimmen. Der amerikanische Psychiater Prof. David Spiegel aus Stanford schreibt im sogenannten MSD Manual über dieses Krankheitsbil Zitator: Die dissoziative Identitätsstörung tritt normalerweise bei Personen auf, die in der Kindheit überwältigender Belastung oder einem überwältigenden Trauma ausgesetzt waren. In den USA, Kanada und Europa wurden ca. 90 Prozent der Betroffenen als Kinder schwer misshandelt (körperlich, sexuell oder emotional) oder vernachlässigt. (ANGABE INTERNET https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/psychische-gesundheitsstörungen/dissoziative-störungen) O-Ton Janne Merseburger: Ich hab früher schon Stimmen gehört und heute weiß ich natürlich, wer mit mir redet, dass es meine Anteile sind. Ich nenne sie kleine Anteile. Dann bin ich zu meiner Therapeutin, da gab's die wöchentlichen Sitzungen dann schwappte das hoch in meinem Kopf. In Träumen auch. Ich hab diese ganzen Sachen relativ schnell erinnert. Akzent O-Ton Janne Merseburger: Das Schlimmste, an das ich mich dann heute stückweise erinnere, ich bin verkauft worden in sog. Schwarze Ringe. Ich bin abgeholt worden, mit dem Auto weggebracht worden in solche sag ich mal Zeremonien gepackt worden als Kind, wo Menschen getötet wurden, wo Tiere getötet worden sind. Also ich weiß von irgendwelchen Körperteilen, die vergraben wurden, Tierteile, viel Blut, Vergewaltigungen, so ein Opfertisch in der Mitte, schwarze Kutten. Irgendwelche perversen Spiele, um dann die Kinder einzuschüchtern, bist du dran, bist du nicht dran, wirst du getötet. Überlebst du. Erzählerin: Auch Susanne Neumann war Opfer eines Satanskults. Zitatorin 1: Wenn du von Geburt an in solchen kriminellen Kreisen wie der Satanskult ja einer ist, bist, dann glaubst Du alles, was Dir eingeschärft wird. Also dass du ein Stück Scheiße bist, dass du Glück hast, dass du auf immer und ewig dienen darfst, um dir dein verwirktes Lebensrecht zurück zu holen. Du glaubst, dass aber auch jede Strafe gerecht ist und richtig. Du weißt, dass du nicht richtig bist und dir deshalb das normale gute Leben nicht zusteht. Das waren die Botschaften, die Kultprogramme, die meine ersten 35 Lebensjahre ausmachten. Es hat sehr lange gedauert zu begreifen, dass man mich nicht nur sexuell missbraucht hat, sondern vorrangig emotional. 35 Jahre lang. O-Ton Janne Merseburger: Ich hab ein Bild immer in einem Abbruchhaus, irgendwo außerhalb, ich hab auch versucht, das zu finden. Ich find das nicht. Ich bin dahin gefahren worden, ohne dass ich was aus dem Fenster sehen konnte. Ich weiß nicht, ob mir was über den Kopf gezogen wurde. Ich wurde auch sehr viel unter Drogen gesetzt. Da gibt's auch Erinnerungen, dass ich mich nicht bewegen kann, dass ich mich nicht wehren kann. Und zurück wurde ich dann immer zu einer Sinti und Roma Familie, zu einem Lager gebracht, wo ich wieder so ein bisschen aufgepäppelt wurde. O-Ton: Dorothee Paul: Was ich so in Erinnerung hab ist, dass es sowas wie einen Altar gab in der Mitte, dass eben die Männer drum rum eben solche braunen Kutten anhatten und dass es wenig Licht gab und ja dass mich das schon an Kirche erinnert hat , dass ich auch glaube, das ebenso wie in der Kirche Weihrauch eingesetzt wurde, und dass das Ganze in eine Zeremonie verpackt wurde, wo es eben auch einen bestimmten Ablauf gab mit Gesang und aber auch Sprache, so ein Wechsel, der mir schon vertraut war über die normale Kirche... Es waren gleichaltrige Kinder, Jungen und Mädchen mit dabei, alle um die acht. O-Ton Janne Merseburger: Hoch kam besonders in dieser Kneipe, dass ich in dieser Kneipe verkauft wurde, also meine Erinnerung, die ich noch die ganze Zeit präsent hatte ist, dass ich als Kleinstkind bei meinem Vater am Tisch stehe, der volltrunken war, am Tisch saß mit mehreren Männern, da waren auch nur Männer in dieser Kneipe, eine fiese Spelunke und ich ziehe immer an seinem Arm und er reagiert nicht, weil er so betrunken ist, weil er nicht mehr reagieren kann. Ich bin in dieses Herrenklo geschleppt worden von irgendwelchen Männern, die ich auch nicht mehr identifizieren könnte. Ich weiß nur, dass die mich gehalten haben und versucht haben, mich als Kleinkind zu vergewaltigen, was natürlich nicht möglich war ergonomisch und mich weggezerrt haben und das ist nicht einmal gewesen. Mehrfach hat das stattgefunden. O-Ton Susanne Neumann: Ich bin immer davon ausgegangen, ich spinne. Sagen wir mal so, wenn ich missbraucht worden bin, war das bei mir so von der Seele: ich hab was mitgekriegt und nachher war's weg! Also hab ich's wohl geträumt! Ich weiß zwar nicht, wie ich es geträumt habe, ich schlaf doch kaum, es gab so viel, dass ich es mir selber nicht glauben konnte. Und dadurch, dass die immer gesagt haben: du bist so doof und du bist ein Lügner, und du verdrehst alles usw. Ich hab all das geglaubt, was die mir eingeredet haben. Und ich wusste ja nicht, was mit mir los war. Ich wusste es ja nicht. Weil alles was passiert ist, war immer sofort weg. Auch das geschlagen werden. Ich bin geschlagen worden: weg. Ich bin fast tot getreten worden. In dem Moment wusste ich es, aber dann war es weg. Und wenn ich blau geschlagen war, hab ich es vor den Schulkindern in der Sporthalle versteckt, weil keiner sehen sollte, was für ein Stück Scheiße ich bin. Wie schlimm ich bin. So hab ich halt gedacht. O-Ton Dorothee Paul: Es gab verschiedene Sätze. Zum einen: das was jetzt hier war, das ist nie passiert! Das streichst du am besten sofort aus deinem Gehirn. O-Ton Janne Merseburger: Ich denke manchmal heute noch, ist das wirklich alles so passiert oder? Wenn ich aber meine Schmerzen nehme und meine kleinen Anteile, was die mir flüstern, dann denke ich, das ist so passiert. Das ist nicht ersponnen und erlogen. Ich glaube auch nicht, dass sich jemand freiwillig so was ausdenkt, weil es so furchtbar und entsetzlich ist. O-Ton Dorothee Paul: Es kam eine Botschaft, wenn ich was verrate, dann zerstöre ich ihr Leben und dann kann es sein, dass sie sich umbringt und ich wäre ja Schuld daran. O-Ton Susanne Neumann: Es war Kinderhandel, es war rituelle Gewalt. Erzählerin: Susanne Neumann in ihrem Erinnerungsprotokoll: Zitatorin 1: Folgende Ereignisse und Übergriffe, wurden genutzt, um mich zu ängstigen und damit "mundtot" bzw. schweigsam zu halten: Anlässe waren regelmäßig wiederkehrende Daten ("Halloween" (30.10.), die "Walpurgisnacht" (30.4.), Weihnachten (24.12.), Ostern, Pfingsten, die Winter- und Sommersonnenwende (21.6. bzw. 21.12., ebenso 21.3. und 21.9.), Hitlers Geburtstag, die Geburtstage der Betroffenen oder der Täter/innen, speziell bei mir der 13. Geburtstag), die in Kontexten ritueller Gewalt von wichtiger Bedeutung sind, geschah u.a. dies:. Ich wurde mit verbundenen Augen an den Füßen an Seilen am umgedrehten Kreuz (Satanskult) aufgehängt, hin- und her geschwungen. O-Ton Susanne Neumann: Ganz bekannt ist Externsteine. Das ist in der Nähe von Detmold. Unten ist die Gruft und da wirst du dann gefoltert. Im Namen des Satans. Du wirst mal umgedreht, du wirst mal aufgehängt. Du wirst von Hunden missbraucht, du wirst programmiert und all so was. O-Ton: Dorothee Paul 1440 Was sie formuliert hat ist: uns geht's ja gut. Und immer wieder das Gute betont. "Das hat dir ja alles nicht geschadet"! O-Ton Susanne Neumann: Das war z.B. auch so was, dass sie mich nachts aus dem Bett geholt haben: komm mal mit. Und dann musste ich sehen, wie eine Frau elend verreckt ist. Der haben sie Gift gegeben. Dann hieß es immer, dass sie eine Verräterin ist. Weil sie wollte da weg. Auf jeden Fall wurde sie umgebracht. Mein Stiefvater und meine Mutter waren dabei. Und dann hieß es zu mir: gucke es dir an. Gucke es dir an. Das passiert dir. Ich hab das öfter mal gesehen. Und damit halten sie einen. Das hat gesessen. Das hat gesessen! Das kann ich Ihnen sagen. Und meine Mutter war auch mit dabei. Die hat da auch mit gequält. Die haben ja diese schwarzen Kutten teilweise an, und keine sticht so in die Ohren wie sie. Keiner guckt wie sie. Du konntest ja dann nur die Augen sehen. Und ich glaube, dass sie manches aus diesem Kult zu Hause weiter gemacht hat. Weil sie wusste, dass sie mich damit einfach quälen kann. Erzählerin: Susanne Neumann in ihrem Erinnerungsprotokoll: Zitatorin 1: Auf einem "Opferstein" liegend, wurde ich oft mit verbundenen Augen gequält. Manchmal fragte man mich Sachen oder man testete meine "Leidempfindlichkeit". Wenn ich nicht entsprechend antwortete oder leider doch zuckte oder Aua sagte, wurde ich mit Elektroschocks, spitzen Nadeln, Eis oder heißen Geräten gequält. Ebenfalls für Programmierungen (ich glaube, man sagt auch Mind-Control dazu) wurde man gern in entweder sehr dunklen Räumen eingesperrt, über eine lange Zeit, (konnte schon mal ein Wochenende sein) und/oder dann auch in extrem hellen Räumen, wo es dich vor Helligkeit total geblendet hat. Akzent: O-Ton Dorothee Paul: Also was ich in den letzten Monaten hoch geholt habe, da ging es um rituellen Missbrauch bei mir, meine Mutter hat im Prinzip den Kontakt hergestellt zu dem katholischen Pfarrer und zu dieser Zeit mit ungefähr 8 Jahren gab's quasi so eine Parallelwelt, die dieser Pfarrer geführt hat. Da hab ich mich auch erlebt in einer Szene, in so einem kultmäßigen Rahmen, wo eben auch Leute nicht zu erkennen waren, weil sie irgendwelche Kutten oder so getragen haben, wo man mich als 8 jähriges Mädchen zur Täterin gemacht hat, zumindest mir suggeriert hat, dass ich Täterin bin. Ich musste ein anderes Mädchen töten, ich weiß nicht, ob es inszeniert war, oder ob es wirklich war, aber in mir fühlte es sich halt über 45 Jahre so an, dass ich das gemacht habe. Erzählerin: Auch Dorothee Paul leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung. Der amerikanische Psychiater Prof David Spiegel über die Gedächtnislücken, ein typisches Merkmal dieses Leidens: Zitator: Gedächtnislücken in Bezug auf vergangene persönliche Ereignisse; zum Beispiel können sich die Betroffenen nicht an bestimmte Zeiträume in ihrer Kindheit oder Jugend erinnern. Gedächtnislücken in Bezug auf aktuelle alltägliche Ereignisse und sicher erworbene Fähigkeiten: Die Betroffenen vergessen beispielsweise vorübergehend, wie ein Computer bedient wird. Entdecken von Hinweisen darauf, dass sie irgendetwas getan haben, ohne sich daran zu erinnern. O-Ton Dorothee Paul: Man hatte mich da gefangen gehalten in einer ganz abgelegenen Kirche, die hab ich letztens auch gesehen, es gibt da ein Dachfenster, ein schräges Fenster, wo man nicht wirklich rausgucken kann, sondern nur einen grauen Himmel sehen kann, und auch da wurde ganz viel manipuliert: wenn ich wegrenne, da würde mir sowieso keiner helfen, da versteht mich keiner, du wirst verhungern, verdursten, du hast eh kein Geld, dir wird keiner helfen, keiner glauben, im Gegenteil. Ja, dann hab ich mich halt selber gefragt, wie bin ich denn rausgekommen, wieso bin ich nicht getötet worden. Und ich glaube tatsächlich, dass ich halt versprechen musste, mein erstes Kind herzugeben. Zur Verfügung zu stellen. Akzent: O-Ton Janne Merseburger: Das ist immer so dieses Bild aufrecht erhalten, das ist das Allerwichtigste: die Nachbarn dürfen nichts Schlechtes denken. Das Kind muss ordentlich gekleidet sein. Das muss gut aussehen. Da darf also keiner irgendwie Verdacht schöpfen. Akzent: O-Ton Dorothee Paul Als ich meine Tochter weg bringen musste, das war abends, hab ich sie mit dem Auto weggebracht, inzwischen weiß ich auch, wo ich sie hin gebracht habe, das war mit dem Auto ca. 25 Minuten. Da hab ich sie abgegeben, ich habe dann im Auto gewartet, irgendwann hab ich sie wieder gekriegt und bin mit ihr zurück gefahren, da war sie klein, da war sie noch Säugling, Kleinkind. Z 33" Akzent: O-Ton Verena Wirtz Manchmal wenn ich jetzt so ganz schlechte Tage habe, würde ich sagen, ich hab das eigentlich gar nicht überlebt. Es ist einfach nur mein Körper übrig geblieben, weil selbst meine Behandler waren davon überzeugt, dass ich niemals lieben kann. Weil ich Liebe nicht gelernt habe, dass ich niemals enge Beziehungen haben kann, dass ich niemals Menschen vertrauen kann. Das ist etwas, was ich bis heute merke. Da ist nur ganz viel Angst und Angst vor Menschen und Angst vor Nähe. Ich wünschte, das könnte ich so auslöschen. Ich denke häufig, die ersten Lebensjahre waren so grausam, ich möchte jetzt Ruhe haben, und es ist so ungerecht, dass das Leid immer noch weitergeht. Dass man noch so ein großes Handicap jetzt hat. Und es ist sehr mühselig, an diesen psychischen Symptomen etwas zu verändern. Z 56 O-Ton Klara Sommer: Ich habe mich noch nie selber sehr gemocht und egal wie viel ich therapeutisch arbeite und wie viel ich lerne und wie viel ich verstehe, warum ich so geworden bin, bleibt es doch immer ein ziemlich schneller Weg aus einem sich hart erarbeiteten Selbstbewusstsein zurück zum Selbsthass Irgendwie als hätte ich das nicht verdient. Als wäre es so eine universelle Wahrheit, dass man mich nicht mögen kann. Z 33 Erzählerin: Klara Sommer an ihre Therapeutin: Zitatorin 2: Meine Mutter hat gemacht, dass ich 11 Jahre Therapie brauchte, um heute zu sagen: Mein Leben ist so zerstört, dass ich keinen Anfang finden kann, auf den ich mich retten könnte. Wenn ich versuche, einen Boden zu finden, auf dem ich sicher stehen und ein Fundament bauen kann, oder irgendein Ende unter mir, auf das ich so lange Substanz schaufeln könnte bis ich einen Boden merke, dann ist da einfach nichts. Lese-Buch von Michaela Huber "Der innere Ausstieg". (2018 Books on Demand GmbH) O-Ton Klara Sommer: Ich habe das Gefühl, keinen gesunden Kern zu haben und wenn ich einen suche, irgendeinen Kern, dann finde ich nur Hass. Auf mich selber. Auf die Tatsache, dass ich geboren wurde, obwohl ich nicht hätte sein sollen. O-Ton Susanne Neumann: Ich hab 3 Suizidversuche gemacht. Aber es ist ja immer das Unbewusste, ich meine, wenn man vor einer Prüfung so viele Tabletten nimmt, dass man nicht...muss man ja damit rechnen, dass man gefunden wird. Es war doch so halbherzig. Ich wollte ja immer nur weg... O-Ton Klara Sommer: Der erste, den ich erinnere, da war ich in der dritten Klasse. Also ungefähr neun. Da hab ich versucht, mich zu erhängen. Ich weiß nicht, was vorher passiert war, auf jeden Fall hab ich mich schrecklich gefühlt und wollte aufhören, vorhanden zu sein und hab von meinem Bademantel den Gürtel genommen und bin damit auf den Dachboden in dem Haus gegangen und hab versucht, mich aufzuhängen. Später hab ich noch ein paarmal irgendwo oben gestanden auf irgendwelchen Fenstersimsen oder Balkonbrüstungen und es dann doch nicht gemacht. Bahnhöfe fand ich auch sehr anziehend, zum Glück fand ich immer die Vorstellung schrecklich, dass der Lockführer das dann direkt mit bekommt. O-Ton Verena Wirtz: Ich weiß noch einmal als Teenager, da wollte ich mich dann vor den Zug legen. Auf jeden Fall bin ich los gegangen und zu diesem Bahnübergang und ich wollte halt, damit ich den Zug nicht höre, laut Musik hören, damit ich keine Angst kriege und halt aufspringe und das dann doch nicht mache und da habe ich gesagt, du machst einfach die Musik so laut, dass du den Zug nicht hörst, dann musst du einfach nur da liegen bleiben. Dann hast Du es gleich geschafft. Ich hab halt einfach auf zufällige Wiedergabe gedrückt und es kam "I feel good" der Song. Und ich hab dann gedacht: Scheiße, du kannst dich jetzt nicht dazu umbringen. Ich hör jetzt einfach mal das Lied zu Ende. Das war eigentlich immer ein Song, den ich immer gehört habe, wenn es mir sehr schlecht ging, um mich wieder aufzubauen. Und so habe ich das dann immer wieder aufgeschoben und immer wieder gedacht, vielleicht wird's ja nochmal besser. Und ich muss sagen, bisschen war da auch so eine Wut, dass ich gedacht habe, wenn ich mich jetzt einfach umbringe, dann ist es für meine Mutter die größte Errungenschaft. Dann wird sie für den Rest des Lebens sagen: ich bin die arme Mutter, deren psychisch kranke Tochter sich umgebracht hat. Und das wäre wieder wso eine Karte, die sie ausspielen kann und so blöd das klingt, ich lebe lieber leidend weiter, als ihr diesen Schachzug zu ermöglichen. Da gab's Momente, wo ich gedacht hab: ne, ich gönne ihr das jetzt nicht. Also da war ich noch trotzig oder wütend genug zu sagen: ne, das schenke ich dir jetzt nicht! Möchte ich nicht. Ja - und so ist es dann immer irgendwie weiter gegangen. O-Ton Janne Merseburger: Ihre große Schuld ist, dass sie mir nicht geholfen hat, ich glaube, dass sie die Augen zugemacht hat. Ich glaube ihr nicht mehr, dass sie nichts gewusst hat. Wenn sie früher gehandelt hätte, wäre mir wahrscheinlich sehr viel Leid erspart gewesen. O-Ton Janne Merseburger: Ich hatte eine große Wut und ich hatte Hass auf sie, aber es geht eigentlich immer weiter weg. Ich lass das auch los, weil ich will auch nicht behaftet sein mit Wut und Hass. Ich kann das sowieso nicht mehr ändern. O-Ton Susanne Neumann: und nachdem ich das geschafft habe da auszusteigen, ich hab auch einen neuen Namen angenommen und es ist mir auch geholfen worden, dass ich eine Schutzwohnung bekommen habe, dass das Standesamt eine Sperre hat, damit das nicht weiter getragen wird. Seitdem ist Ruhe und das war erst mal ungewöhnlich, weil ich als erwachsener Mensch noch geschlagen worden bin und ich es ja nicht anders kannte. Und ich musste aussteigen aus dem Kult, wenn ich am Leben bleiben will. Dann hab ich gemerkt, okay, überleben brauche ich wohl jetzt nicht mehr. Aber wie lebt man. Und dann hab ich gemerkt, dass meine ganzen Ängste, davon noch lange nicht weggegangen sind. Und jetzt ist es so, dass ich eine Angst nach der anderen abtrage Ja, das tut weh. Manche Emotionen tun weh. Aber man stirbt halt nicht davon. Man stirbt nicht davon. Sie machen lebendig. 23