Testosteron und sportliche Leistung

Streit um diskriminierende Regeln im Sport

07:31 Minuten
Die Caster Semenya führt beim 1000 Meter Lauf der Frauen beim ISTAF 2018 im Olympiastadion Berlin am 02.09.2018 das Feld der Läuferinnen an.
Werden die anderen Sportlerinnen benachteiligt, wenn Caster Semenya mitläuft, oder sie, wenn man sie ausschließt oder zur Einnahme von Medikamenten zwingt? © imago images / Andreas Gora
Von Volkart Wildermuth · 02.05.2019
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Darf man eine Athletin wie Caster Semenya von Frauenwettbewerben ausschließen, weil ihre Testosteronwerte zu hoch liegen? Der Internationale Sportgerichtshof hat diese Regelung bestätigt. Doch damit ist die Debatte um Diskriminierung nicht beendet.
Leichtfüßig läuft Caster Semenya 2016 Weltjahresbestzeit in ihrer südafrikanischen Heimat. Reporter und die Menschen im Stadion sind begeistert. Im gleichen Jahr wird sie auch noch olympisches Gold gewinnen. Eigentlich Material für eine Heldengeschichte im Sport. Doch die hat jetzt ein vorläufiges Ende gefunden. Der Internationalen Sportgerichtshof hat die Regeln des Leichtathletikweltverbandes bestätigt. Danach können an den Mittelstreckenwettbewerben der Frauen nur Personen teilnehmen, deren Testosteronspiegel unter fünf Nanomol pro Liter liegt.
"Der Hauptgrund, warum wir überhaupt den Sport in Geschlechter einteilen, ist die Tatsache, dass Männer aufgrund der höheren Testosteronwerte höhere Leistungen vollbringen können.", stellt der Endokrinologe Eberhard Nieschlag vom Universitätsklinikum Münster fest.

Mehr Muskelmasse dank Testosteron

Testosteron erhöht die Muskelmasse und auch die Hämoglobinwerte. Klare Vorteile für Läufer auf der Mittelstrecke. Sowohl bei Männern, wie bei Frauen gibt es eine große Bandbreite beim Testosteronspiegel im Blut. Eine Reihe von Studie zeigt aber: 95 Prozent der Frauen liegen unter drei, 95 Prozent der Männer über sieben Nanomol pro Liter.
"Da sehen Sie also einen deutlichen Unterschied unter Männern und Frauen, trotz dieser Streubreite", sagt Eberhard Nieschlag.
Nun lassen sich nicht alle Personen eindeutig der Kategorie Mann oder Frau zuordnen. Die Ergebnisse eines Geschlechtstest bei Caster Semenya sind eigentlich vertraulich, es gibt aber als wahrscheinlich, dass sie Intersexuell ist. Es gibt intersexuelle Personen, die zwar einen männlichen Chromosomensatz haben, die aber entweder Schwierigkeiten bei der Produktion von Testosteron haben, oder kaum auf das Hormon reagieren.
"Und diese Individuen werden dann, weil in den entscheidenden Phasen der Embryogenese und der frühen Neugeborenenentwicklung nicht genügend Testosteron da ist, mit sogenannten intersexuellen Genitalien geboren und wirken eben bei der Geburt als Mädchen und werden deshalb als Mädchen registriert", erklärt Eberhard Nieschlag. "Und erst bei der Pubertät stellt sich dann auf einmal heraus, die haben keine Monatsblutung. Und dann wird man aufmerksam und man kann feststellen, dass die dann doch eine gewisse Vermännlichung haben, was sich vor allem in der sportlichen Leistung, ein entscheidender Faktor ist."
Soweit die Biologie. Der Leichtathletik Weltverband sieht in der Teilnahme intersexueller Frauen an den Frauenwettbewerben eine Diskriminierung aller anderen Sportlerinnen. In den 60er-Jahren mussten sich Athletinnen im Zweifelsfall nackt von männlichen Experten begutachten lassen, um antreten zu können. Im Vergleich dazu ist ein einfach zu prüfender Blutwert sicher ein Schritt in die richtige Richtung.

Schwierige Entscheidung für "notwendige" Diskriminierung

Der Internationale Sportgerichtshof hat sich seine Entscheidung trotzdem nicht einfach gemacht. In der Presseerklärung heißt es: "Das Gremium hält die Regulierungen für diskriminierend, aber diese Diskriminierung ist notwendig um das legitime Ziel eines fairen Wettbewerbs in der Schutzklasse der Frauen zu ermöglich."
Athletinnen wie Caster Semenya oder Dutee Chand könnten ihre höheren Werte mit Verhütungsmitteln senken, um starten zu können, sind also nicht völlig ausgeschlossen. Das allerdings hält eine Erklärung der Vereinten Nationen für unvereinbar mit internationale Menschenrechtsnormen. Auch der CAS betont, dass die Regeln nicht auf Dauer festgelegt sind, sondern im Zweifel angepasst werden müssen.
Konkret war der Gerichtshof zum Beispiel nicht davon überzeugt, dass höhere Testosteronwerte bei längeren Rennen ab 1500 Meter überhaupt einen Vorteil bieten. Auch der Sportphilosoph Frank Bockrath von der Technischen Universität Darmstadt glaubt, dass die Testosteronregelung nur eine Übergangslösung sein kann:
"Es ist ja so, dass wir im Geburtsregister seit September 2018 ja mehr als zwei Geschlechter kennen. Und insofern muss der Sport sich da ohnehin verändern da wir neben dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht eben noch die dritte Kategorie: divers. Wenn man die vorneherein ausschließen würde, wäre das schon eine Form der Diskriminierung. Im Moment nur mit Verboten zu reagieren, ist vielleicht die erste Reaktion um den Wettkampfbetrieb aufrechtzuerhalten. Aber das kann nur der erste Schritt sein. Der zweite Schritt müsste jetzt sein: Wie geht man mit dieser neuen Einteilung, wie geht man mit dieser neuen Rechtslage um?"
Der Leichtathletikweltverband schreibt in der Pressemitteilung zur Testosteron-Regelung: "Es geht um ein ausgeglichenes Startfeld und um einen aussagekräftigen Wettkampf in der Leichtathletik, in dem Erfolg auf Talent, Hingabe und hartem Training beruht und nicht auf anderen Faktoren."

Viele Talente sind angeboren

Interessant ist hier der Begriff Talent, denn dazu gehören unbestritten viele angeborene Eigenschaften. Viele Ausdauersportler haben Genvarianten, die zu höheren Hämoglobinspiegeln führen. Unter Sportlerinnen finden sich vermehrt Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom, die Testosteronwerte um vier Nanomol haben. Basketballer sind tendenziell groß, Turner eher kompakt. Diese genetischen und biologischen Vorteile werden allgemein akzeptiert. Warum also nicht das angeborene Talent von Caster Semenya?
"Es geht im Sport nicht notwendigerweise darum, immer völlige Gleichheit herzustellen bei den Wettkampf Ausgangsbedingungen", sagt Frank Bockrath. "Aber man kann natürlich Regelwerke dahingehend verändern, dass man versucht, Anpassungen vorzunehmen, wenn man Disfunktionalitäten erkennt."
Im Basketball werden kleine Menschen diskriminiert. Daran sind Sportler und Zuschauer gewöhnt, man könnte aber durchaus für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Frank Bockrath schlägt zum Beispiel vor, "dass man die Durchschnittsgröße einer Mannschaft ausrechnet und den Korb oder die Höhe des jeweiligen Körpers danach ausrichtet, welche Durchschnittsgröße eine Mannschaft hat."
Beim Boxen oder Ringen gibt es zum Beispiel Gewichtskategorien, um einheitliche Ausgangsbedingungen zu schaffen. Es wäre durchaus denkbar, im Sport Testosteronkategorien unabhängig von der Frage Frau oder Mann einzuführen. Eine solche Regelung liegt aber wohl noch weit in der Zukunft. Und so ist unklar, wie Sportlerinnen wie Caster Semenya in Zukunft abschneiden werden.
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