Angela Merkels "Wir schaffen das"

Die Drei-Worte-Slogans der Politik

Der damalige Bürgermeister von Berlin und Vorsitzende der Berliner Sozialdemokraten, Willy Brandt, während seiner Rede auf Wahlkampfveranstaltung.
"Wir schaffen es" - schon Willy Brandt hatte ein Faible für Drei-Worte-Slogans. © picture alliance/Günter Bratke
Von Arno Orzessek  · 21.10.2015
Angela Merkel war nicht die erste Politikerin, die mit drei Worten versucht hat, Menschen zu gewinnen. Ihr "Wir schaffen das" erinnert an Obamas "Yes we can". Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" ist legendär, die CDU versprach "Freiheit statt Sozialismus". Ein Rückblick.
"Wir schaffen das." Eigentlich eine Alltagsfloskel: tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert. Seit aber Angela Merkel "Wir schaffen das" auf die Flüchtlingskrise münzte, bewegen drei Worte das ganze Land und halb Europa.
Offenbar entfaltet die unscheinbare Behauptung ihre Wirkung auch - wenn nicht sogar vor allem - wegen der eingängig lapidaren Kürze. Für Slogans gilt bekanntlich: Weniger ist mehr.
Wer ist der wahre Urheber des Slogans?
Weshalb Kanzler Kohl die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wohl eine Spur zu wortreich kommentiert hat: "Wir werden es schaffen..." Der Satz ist jedenfalls nicht öffentlichen Gedächtnis haften geblieben. Stattdessen die "blühenden Landschaften" aus derselben Rede. Und nicht zuletzt seine "geistig-moralische Wende" von 1982, die als geflügeltes Wort Karriere machte, weniger als politisches Programm.
Steckt hinter Merkels "Wir schaffen das" ein politisches Programm? Das wollen wir hier nicht erörtern, stattdessen verweisen wir auf das amerikanische Original: "Yes we can" - jene suggestive Antwort, die sich der Präsidentschaftskandidat Obama im Wahlkampf 2008 auf eine Reihe selbstgestellter Fragen gab. Ob Merkel hier Urheberrechtsfragen ignoriert hat?
Bundeskanzlerin Merkel
Bundeskanzlerin Merkel sagt "Wir schaffen das." Ist das eine Alltagsfloskel oder eine mutige Vision?© dpa/picture-alliance/Marius Becker
Andererseits: "Yes, we can" ist wohl selbst abgeleitet - vom "Si, se puede" einer amerikanischen Landarbeiter-Gewerkschaft. In Deutschland hat es die SPD im Bundestagswahlkampf 2013 mit dem Solidaritäts-Slogan "Das Wir entscheidet" versucht - ein Beispiel dafür, dass nicht jeder Drei-Wort-Slogan funktioniert.
In besseren Zeiten verstand sich auch die Sozialdemokratie auf Eleganz. 1969 wurde Willy Brandts betörend unpräziser Spruch "Mehr Demokratie wagen" zur sozialdemokratischen Parole Nr. 1. Der Slogan war so gut, dass er bis heute zu Sprachspielen animiert: "Weniger Demokratie wagen" hieß 2011 ein Buch von Laszlo Trankovits. Und wenn mal wieder der Fuhrpark des Bundestages ergänzt wird, kalauert es in den sozialen Medien "Mehr Demokratie wagen" - 'Demokratie wagen' in einem Wort.
Mutige Wette auf das Unabsehbare
Die CDU plakatierte 1976 "Freiheit statt Sozialismus", 2007 konterte Oskar Lafontaine als Vorsitzender der Partei Die Linke: "Freiheit durch Sozialismus".
Das Muster bleibt stets gleich. Sobald sich ein Slogan mittels Popularität vom konkreten Kontext emanzipiert, steht jeglicher Verwandlung nichts mehr im Wege.
Die übelste Verwandlung hat der lateinische Rechtsgrundsatz suum cuique erfahren. Er geht auf Platons Gerechtigkeitslehre in der Politeia zurück und hat Johann Sebastian Bach zur Kantate "Nur jedem das Seine" angeregt. Die Nationalsozialisten aber ließen 1937 in das Tor des KZs Buchenwald genau diese Worte schmieden: "Jedem das Seine."
Merkels "Wir schaffen das" ist eine mutige Wette auf das Unabsehbare. Je weniger 'wir es schaffen', desto dunkler werden in Zukunft die Beiklänge der nun geflügelten Floskel sein.
Unwahrscheinlich erscheint dagegen, dass Merkel mit Blick auf die Flüchtlingskrise eines Tages diese drei Worte seufzen wird: "Es ist vollbracht."
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