Kalter Krieg

Der Mao-Kult der deutschen Linken

Eine goldene Statue von Mao Zedong in Shenzhen.
Eine goldene Statue von Mao Zedong in Shenzhen erinnert an den langjährigen chinesischen Staatsführer © picture alliance / dpa / Deng Fei
Sebastian Gehrig im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 09.09.2016
Vor 40 Jahren starb der chinesische Staatsführer Mao Zedong. Für viele westdeutsche Linke war er einst Lichtgestalt eines dritten Weges im Kalten Krieg. Der Historiker Sebastian Gehrig hat dazu geforscht.
"Die Attraktion Maos entsteht in einer sehr speziellen Phase des Kalten Krieges, in der westdeutsche radikale Linke nach neuen ideologischen Vorbildern gesucht haben", sagt der Historiker Sebastian Gehrig, der derzeit in Oxford forscht, im Deutschlandradio Kultur. Seit den militärischen Interventionen der Sowjetunion 1956 in Budapest und 1968 in Prag habe das sowjetische Modell stark an ideologischer Strahlkraft verloren. Deshalb sei das Vorbild der chinesischen Kulturrevolution ab 1965/66 ins Spiel gekommen, das von der Pekinger Führung auch früh im Ausland propagiert worden sei. "Damit erschien der sogenannte chinesische Weg als ein Ausweg und neuer revolutionärer Bezugspunkt im Blick vieler linker Aktivisten der Zeit."

Millionen von Toten verdrängt

Verdrängt hätten die Linken damals allerdings die katastrophale Hungerskatastrophe des Großen Sprungs nach vorne in den frühen 1960er Jahren in China, sagte Gehrig. Sie kostete zwischen 30 bis 40 Millionen Chinesen das Leben. Auch die andauernde Gewalt während der Kulturrevolution ab Mitte der 1960er Jahre blieb von den K-Gruppen in Deutschland weitgehend unbeachtet.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Während man Ostdeutsche nach 1989 stets fragte, was sie vor dem Mauerfall politisch so getan haben, und dann erwartete, dass man sich schon die Brust aufriss, wurden viele Westdeutsche, gerade Linke ihrerseits meist wortkarg, wenn es um ihre politische Vergangenheit ging. Denn mancher hatte sich da ein Vorbild gesucht, das zwar auch eine Popart-Ikone bei Andy Warhol ist, aber dennoch ein Politiker blieb, der Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Die Rede ist von Mao, heute vor 40 Jahren, am 9. September 1976 ist Mao Zedong gestorben. Warum aber um alles in der Welt haben sich westdeutsche Linke ausgerechnet ihn zur Ikone gemacht, warum war er ihr Ersatzgott? Das frage ich den Historiker Sebastian Gehrig. Er forscht derzeit in Oxford und ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Sebastian Gehrig: Einen schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Erklären Sie uns das, warum hatte Mao für westdeutsche Linke so eine Strahlkraft, vor allem ja auch für Menschen, die ihn und auch China nie gesehen und besucht haben?
Gehrig: Nun, die Attraktion Maos, wenn Sie so wollen, entsteht in einer sehr speziellen Phase des Kalten Krieges, in der westdeutsche radikale Linke nach neuen ideologischen Vorbildern gesucht haben. Vor allem seit den militärischen Interventionen der Sowjetunion in Ungarn, in 1956, und dann in der CSSR 1968 verliert das sowjetische Modell stark an ideologischer Strahlkraft. Und in diesem Moment kommt dann das Vorbild der Chinesischen Kulturrevolution ab 1965/66 ins Spiel, das von der Pekinger Führung auch früh im Ausland propagiert wird. Und damit erschien der sogenannte chinesische Weg als ein Ausweg und neuer revolutionärer Bezugspunkt im Blick vieler linker Aktivisten der Zeit.
Die chinesische Führung hat zur selben Zeiten auch mit der Idee der sogenannten drei Welten einen globalen Anspruch auf Führung der revolutionären kommunistischen Kräfte gegen die als sozialrevolutionär nun verdammte Sowjetunion erhoben, und damit erschien Maos China als dritte Alternative oder ein sogenannter dritter Weg zu den politischen Systemen der beiden Supermächte.

Die enge Beziehung der Kommune I

von Billerbeck: Wie haben sich denn nun die Linken, wenn wir mal das Spektrum aufmachen von Kommune I bis zur RAF, Mao zu eigen gemacht?
Gehrig: Zunächst, im Falle der Kommune I war es vor allem, dass Mao selektive Slogans geboten hat, mit der man sehr gut Medienöffentlichkeit für die im Entstehen begriffene Studentenbewegung in Westberlin erzeugen konnte. Man konnte gut provozieren mit diesen Slogans. Kommunenmitglieder haben dann schnell auch entdeckt, dass man nach Ostberlin in die chinesische Botschaft fahren konnte und dort kostenlos chinesische Propagandamaterialien wie die "Peking Rundschau" oder das kleine rote Buch erhalten konnte, und haben diese dann auch nach Westberlin gebracht und weiter an Interessierte verkauft.
Man könnte damit polemisch sagen, dass die Pekinger Führung zum Teil auch die Kommune in dieser Zeit finanziert hat. Neuere Forschungen, die im Moment im Entstehen sind, zeigen aber auch, dass diese indirekte, über Publikationen laufende Aneignung chinesischer Ideologie um 1968 sehr viel früher zu direkten Kontakten mit der Chinesischen Partei und chinesischen Kadern in der Bundesrepublik führte, wie wir bisher angenommen hatten.
von Billerbeck: Was von Mao haben denn die Westdeutschen Linken genutzt und was haben sie ausgeblendet bei dieser Rezeption?
Gehrig: Nun, zunächst haben Sie vor allem das revolutionäre Flair, die Andersartigkeit Maos von den frühen 60er-Jahren an für sich benutzt. Nachdem die Studentenbewegung in den späten 60er-Jahren aber zunehmend an Mobilisierungskraft in der Bundesrepublik verloren hat, formten sich dann schnell wirkliche Kadergruppen und Kaderparteien nach chinesischem Vorbild und damit startete dann eine wirkliche, intensive Beschäftigung mit der chinesischen Ideologie der Kulturrevolution. Verdrängt wurde in dieser Zeit vor allem die katastrophale Hungerkatastrophe des Großen Sprungs nach vorne in den frühen 60er-Jahren in China und die andauernde Gewalt, die Teil der Kulturrevolution selbst in China ab Mitte der 60er-Jahre war.
von Billerbeck: Bei dieser Hungerkatastrophe sind geschätzt 30 bis 40 Millionen Menschen verhungert, das ist ja eine Zahl, die muss man sich ja noch mal in Erinnerung rufen, weil man Bauern zwang, kleine Hochöfen zu betreiben statt auf ihre Felder zu gehen. Wenn Sie jetzt davon reden, über Deutschland und über Westberlin, fragt man sich natürlich: War das im deutschsprachigen Ausland anders, diese Rezeption, diese Aufnahme von Mao, also in Österreich und in der Schweiz?
Gehrig: Die Forschung hat gezeigt, dass die Aneignung relativ gleich verlaufen ist in der Bundesrepublik, der Schweiz und in Österreich. Und auch der Umgang radikaler Linker mit chinesischer Ideologie war relativ ähnlich in allen drei genannten Ländern, sowohl was die interne Organisation angeht, als auch die Ideologie, die dann öffentlich propagiert wurde.

Prägende Erfahrung für die Biografie

von Billerbeck: Ich habe es am Anfang gesagt, dass man als Ostdeutsche immer gefragt wurde nach 89, was hast du früher gemacht, dass die Westdeutschen da immer ein bisschen still blieben, sehr viele, und sehr lange. Was ist denn heute noch davon übrig, dass mancher sich da so an Mao gehängt hat? Ein Gefühl der Peinlichkeit oder wie wird darüber diskutiert?
Gehrig: Sie haben am Anfang gesagt, dass westdeutsche Linke oft sehr still wurden, wenn sie denn nachgefragt wurden. Und seit den 70er-Jahren gab es zunächst eine Phase, in der diese dritte Weltkomponente als Teil der Studentenbewegung und radikaler Subkultur der 70er-Jahre nicht wirklich besprochen wurde, und Aktivisten und Aktivistinnen haben dies auch bewusst in den 80ern und frühen 90er-Jahren verschwiegen. In den letzten Jahren haben ehemalige Mitglieder von K-Gruppen und Kaderparteien ihre persönliche Erfahrung mit diesen Gruppen oft als übertrieben ideologische Enge beschrieben, die sie dann im Endeffekt zur Abkehr von aller extremen Ideologie geführt hat.
Der jetzige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat diese Woche in einem "Spiegel"-Interview genau diesen Reflex als Beispiel zitiert, um zu betonen, dass dies für seine K-Gruppen-Erfahrung nicht politisch prägend war und damit eben auch nicht wirklich wichtig für seine Biografie gewesen sei. Ganz so einfach war es wahrscheinlich nicht. Viele ehemalige Mao-Anhänger und K-Gruppen-Mitglieder beschreiben ihren eigenen Austritt aus K-Gruppen und ihre Erfahrung in diesen Gruppen eher als biografischen Bruch und durchaus sehr prägende Erfahrung.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von Sebastian Gehrig, dem Historiker, der derzeit an der Uni Oxford forscht – "Mao und die westdeutsche Linke". Danke an Sie!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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