Technik Trend "Life Logging"

Wenn die Mini-Kamera den Alltag protokolliert

Ein Mann trägt eine Life-Logging-Kamera: Er hat sie an sein Hemd geklemmt. Die Kamera nimmt selbstständig Bilder auf, die per GPS Ort und Zeit zugeordnet werden.
Ein Mann trägt eine Life-Logging-Kamera: Er hat sie an sein Hemd geklemmt. Die Kamera nimmt selbstständig Bilder auf, die per GPS Ort und Zeit zugeordnet werden. © JONATHAN NACKSTRAND / AFP
Marc Langheinrich im Gespräch mit Nana Brink · 13.05.2016
Eine Kamera an der Kleidung schießt permanent Bilder – als Gedächtnisstütze! Life Logging heißt das neudeutsch. Und wer ständig verzweifelt seinen Schlüssel sucht, dem könnte diese Technik helfen. Erfunden wurde sie in der Alzheimer-Forschung, erklärt Informatik-Professor Marc Langheinrich.
Bei Life Logging schießt eine Kamera permanent Bilder in unserem Alltag. Dafür werden Brillen entwickelt, aber auch winzige Kameras an einem Halsband. Viele Forscher sagen voraus, dass man sich demnächst vor allem aufgrund dieser automatischen Bilder an sein Leben erinnert.

Protokollieren des Lebens

"Life Logging ist natürlich zunächst einmal ganz generell Protokollieren des Lebens", sagte der Professor für Informatik an der Universität Lugano, Marc Langheinrich, im Deutschlandradio Kultur. Diese Technik sei zunächst in der klinischen Psychologie bei der Arbeit mit Alzheimer-Patienten aufgekommen. Das Protokollieren des Tages habe diesen Patienten dabei geholfen, sich am Abend an das zu erinnern, was sie im Laufe des Tages erlebt hatten.
Die Technik sei aber auch bei Gedächtnisschwächen praktisch, ähnlich wie ein Terminkalender im Telefon. Auf den Bildern könnten Such-Algorithmen laufen, die dann beispielsweise per Spracheingabe zeigten, wo der Schlüssel verlegt worden sei.

Wird dann unser Gedächtnis noch schwächer?

"Aber natürlich ist dann die Diskussion, wenn ich gar nichts mehr selbst erinnere, sondern alles nur noch den Computer fragen kann: Wird dann unser Gedächtnis noch schwächer?",
meinte der IT-Experte. Diese Diskussion habe es auch schon bei der Erfindung des Buchdrucks gegeben. Aber es habe sich bisher nicht bestätigt, dass man deshalb mehr vergesse. An seiner Universität in Lugano werde ein anderer Forschungsansatz verfolgt, bei dem mit Hilfe von Life Logging eine Art Gehirn-Jogging das Gedächtnis verbessern solle.

Kommerzielle Nutzung

Die neuen Halsbänder mit Kamera seien eher ein Life-Style-Modell, das es möglich mache, Bilder des eigenen Alltags über soziale Netzwerke zu teilen, sagte Langheinrich.
"Kommerziell wird das natürlich momentan vermarktet als so eine Handfree-Kamera, dass man nicht immer die Hände rausnehmen muss."
Es sei beispielsweise bei Kindergeburtstagen störend, wenn man die ganze Zeit mit einer Kamera in der Hand rumlaufe. "Das ist im Prinzip eine Applikation, die einem das abnimmt."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Alle zehn Sekunden ein Bild, egal ob vom Waschbecken beim Frühstück, bei der Arbeit, beim Joggen oder an der Wursttheke – Life Logging wird unser Leben bestimmen. So zumindest sehen es viele Wissenschaftler oder Konzerne wie Google oder Facebook. Noch mal zum Verständnis: Bei Life Logging schießt eine Kamera quasi permanent Bilder von dem, was wir tun.
Google hat dafür extra eine Brille entworfen, Samsung ist gerade mit einer Kamera am Halsband herausgekommen. Life Logging, viele Forscher prognostizieren ja, dass wir uns bald nicht mehr per Gedächtnis, sondern per Bild an unser Leben erinnern. Wirklich? Marc Langheinrich ist Informatiker an der Universität in Lugano. Ich grüße Sie!
Marc Langheinrich: Schönen guten Morgen!
Brink: Life Logging, das klingt erst mal für viele abwegig. Was ist denn jetzt schon machbar, und vor allen Dingen, wer macht es?

Auch der Schrittzähler protokolliert das Leben

Langheinrich: Life Logging ist natürlich zunächst einmal ganz generell das Protokollieren des Lebens. Wenn Sie jetzt gesagt haben, dass man da ein Bild schießt, das kann man natürlich heute schon, da macht man vielleicht ein paar weniger. Heute ist es vielleicht eher verbreitet mit den Fitness-Geräten, wie der Schrittzähler, das Pulsarmband, wo man sich ganz spezielle Teile des Lebens mitprotokolliert, zum Beispiel den abendlichen Jogginglauf.
Die Sache mit der Kamera ist original aufgekommen vor vielen Jahren im Bereich der klinischen Psychologie, wo es darum ging, dass beispielsweise Alzheimer-Patienten durch diese Kameras das Leben mitprotokollieren, damit sie sich am Abend an diesen Bildern besser daran erinnern, was am Tag passiert ist und so diesen Krankheitsverlauf ein bisschen ausbremsen.
Brink: Und wer hat heute ein Interesse daran, wer macht das?
Langheinrich: Es gibt heute – Microsoft selbst war damals ein großer Treiber hinter diesen Kameras. Inzwischen werden die, glaube ich, nicht mehr produziert von Microsoft, das machen jetzt andere, Kamerahersteller, kleinere Firmen, die sich auf Gesundheitsanwendungen spezialisiert haben. Es gibt jetzt gerade eine neue Welle von diesen kleinen Kameras. Da gibt es eine schwedische Firma, ein Startup, das eine sehr kleine, zehn Gramm schwere Kamera produziert, die man sich an den Hals hängen kann beziehungsweise ans Hemd klippen kann. Diese Sachen sind dann eher ein Lifestyle-Modell, das heißt, das kann man dann direkt mit der Smartphone-App verbinden und sieht dann im Prinzip, wie Sie erzählt haben, alle 30 Sekunden ein Foto. Und die Idee ist hier, das eher als soziale Netzwerkfunktion zu nutzen, damit ich das dann mit Freunden teilen kann, meinen Tag, und nicht mehr immer das Smartphone rausholen muss und ein Foto schieße.
Brink: Warum sollten wir das machen? Es ist ja ein Riesenunterschied, ob ich ab und an mal ein Foto schieße und auf Facebook stelle, oder ob ich das alle 30 Sekunden sozusagen bekomme.

Die App schießt Bilder - ab und zu ist auch ein schönes dabei

Langheinrich: Man muss hier wahrscheinlich unterscheiden zwischen der kommerziellen Anwendung, die man jetzt schon verkaufen kann, und der Vision des Life Loggings. Kommerziell wird das natürlich momentan vermarktet als so eine Hands-free-Camera, dass man nicht immer die Hände herausnehmen muss, das Smartphone rausholt und dann ein Foto macht. Das ist ja auch ein bisschen störend, wenn einer dauernd, sagen wir mal auf einem Kindergeburtstag, mit der Kamera rumläuft oder bei einem schönen Tag beim Picknick oder draußen immer die Kamera rausholt. Das ist im Prinzip eine Applikation, die einem das abnimmt, die einem automatisch Bilder schießt, und ab und zu ist auch mal ein schönes mit dabei. Und das kann man dann mit seinen Freunden teilen. Nicht viel anders, als wenn man jetzt schon die Kamera rausholt, ein Post macht auf Facebook. Das kann dann die Kamera automatisch für einen machen, man muss nicht dauernd sich stören. Natürlich, klinisch gesehen oder auch in der Vision, an der wir arbeiten, ist das dann die Idee, dass ich dadurch wirklich mein Gedächtnis verbessere, eben klinischen Patienten helfe, die Probleme haben mit dem Gedächtnis, aber generell auch im Trend natürlich, so eine Art elektronischen Helfer zu haben wie jetzt schon meinen Terminkalender im Telefon, der mich dann an Sachen erinnert. Und das geht dann automatisch, dass ich im Prinzip da auf diesen Bildern Suchalgorithmen laufen lasse und dann mich erinnern kann oder zumindest das Telefon fragen kann oder die Applikation fragen kann, wo habe ich denn meinen Schlüssel zuletzt gesehen, wo habe ich den denn hin verlegt, und solche Sachen.
Brink: Oder wo habe ich mein Auto geparkt, wenn ich dann aussteige. Da möchte ich jetzt aber noch mal einhaken. Das sind ja alles positive Dinge, die Sie beschrieben haben, also das Sicherinnern, weil man ein Defizit hat. Aber gibt das nicht auch eine negative Ausprägung dieses permanenten Sich-selbst-Aufzeichnens, dass wir uns sozusagen nicht mehr erinnern per Gedächtnis – das ist ja ein ganz anderes Erinnern –, sondern nur noch per Bild, also zurückscrollen sozusagen in unserer Biografie?

Eine Prothese, mit der wir unser Gedächtnis auslagern an den Computer

Langheinrich: In der Vision wird man natürlich nicht die einzelnen Bilder sich angucken wollen, da will man natürlich dann – und daran wird nämlich dann geforscht –, Algorithmen haben, automatische Programme, die mir dann beispielsweise per Spracheingabe direkt die Antwort liefern, damit ich nicht selbst da durch diese ganzen Bilder blättern muss. Das ist ja viel zu aufwendig. Aber natürlich ist dann die Diskussion, wenn ich mich gar nicht mehr selbst daran erinnere, sondern alles nur noch den Computer fragen kann, die Frage, wird dann unser Gedächtnis noch schwächer statt irgendwie stärker? Die Diskussion kommt natürlich immer auf, wenn wir neue Wege der Aufzeichnung finden. Die ist nicht neu, die war ja auch so, als die Schrift, der Buchdruck erfunden wurde, dass man immer die Angst hat, wir vergessen mehr. Hat sich bis jetzt noch nicht bewahrheitet.
Prinzipiell gibt es auch noch einen anderen Ansatz, an dem wir hier unten in Lugano forschen, dass wir sagen, wir wollen nicht nur eine Prothese haben, mit der wir unser Gedächtnis praktisch auslagern an den Computer. Wir verfolgen beispielsweise den Ansatz, dass wir mit Hilfe dieser Bilder kleine Gehirntrainings – Gehirn-Jogging gab es ja, glaube ich, mal vor ein paar Jahren so einen Trend – dass wir über den Tag hinweg auf beispielsweise einem Srceensaver oder dem Lockscreen des Telefons wiederholt Bilder des Tages einem zeigen, um so das Gedächtnis zu trainieren, damit man es eben nicht nachschlagen muss im Moment, sondern dass man dann ohne viel Arbeit ständig ein bisschen dem Gehirn sich zu erinnern hilft an den Tag.
Brink: Vielen Dank, Marc Langheinrich, Informatiker an der Universität in Lugano. Schönen Dank für das Gespräch. Und wir sprachen über den Trend des Life Loggings.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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