Tayari Jones: "Das zweitbeste Leben"

Mein Vater, der Bigamist

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Das Buchcover "Das zweitbeste Leben" von Tayari Jones ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Mit "Das zweitbeste Leben" setzt die US-amerikanische Schriftstellerin Tayari Jones dem Georgia der 1980er-Jahre ein Denkmal. © Arche Verlag / Deutschlandradio
Von Rainer Moritz · 25.07.2020
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Zwei Ehen, zwei Töchter: In „Das zweitbeste Leben“ von Tayari Jones versucht James Witherspoon verzweifelt seinen beiden Mädchen ein guter Vater zu sein - und sie dabei voneinander fernzuhalten. Was wird passieren, wenn sein Geheimnis auffliegt?
Wenn das kein vielversprechender Romanauftakt ist!

"Mein Vater, James Witherspoon, ist ein Bigamist" – so setzt Tayari Jones’ "Das zweitbeste Leben" ein und markiert damit einen Spannungsbogen, der sich über die folgenden knapp 350 Seiten spannt. Im Original erschien das Buch bereits 2011 und wird nun auf Deutsch nachgereicht, nachdem Jones 2018 mit ihrem sowohl von Oprah Winfrey als auch von Barack Obama gepriesenen vierten Roman "An American Marriage" (dt.: "In guten wie in schlechten Zeiten") der Durchbruch gelang.

Zwei Ehen und zwei gleichaltrige Töchter

Viele der Qualitäten, die dieses Buch auszeichneten, finden sich bereits in "Das zweitbeste Leben", damit beginnend, dass der Einstieg die Leserinnen und Leser bewusst auf eine falsche Fährte führt.
Denn James Witherspoon, ein "gelassener Mann", ist kein amoralischer Schürzenjäger. 1958 heiratet er als blutjunger Mann notgedrungen die 14-jährige Laverne, die er in einer alkoholreichen Nacht schwängerte. Zehn Jahre später lernt er in einem Kaufhaus die schöne Gwen(dolyn) kennen, vermag ihr nicht zu widerstehen und stolpert gewissermaßen in seine zweite, jedoch heimliche Ehe und beginnt eine Doppelleben zu führen.

Verzweifelter Versuch, guter Vater zu sein

Dabei fügt es sich, dass James mit beiden Frauen fast gleichzeitig jeweils ein Mädchen bekommt – Gwens Tochter Dana und Lavernes Tochter Chaurisse –, aus deren Perspektiven die beiden Romanteile erzählt werden. Die Ausgangskonstellation ist, wie Dana sich erinnert, so eindeutig wie kompliziert:

"Ich wusste von Chaurisse, sie hingegen nicht von mir. Meine Mutter wusste von Laverne, aber Laverne glaubte, ein ganz normales Leben zu führen. Diese grundlegende Tatsache war uns immer präsent."

Verzweifelt versucht James, der alles daransetzt, beiden Mädchen ein guter Vater zu sein, seine Kinder voneinander fernzuhalten. Das gibt dem Roman eine gewisse Eindimensionalität, denn von den ersten Seiten an ist klar, dass James’ Geheimnis irgendwann auffliegt und die Mädchen mit der verstörenden, quälenden Wahrheit konfrontiert werden. Darauf läuft alles hinaus, und natürlich erfüllt der Roman diese Erwartungen, endet in einem Showdown, der in James’ Doppelhaushalten keinen Stein auf dem anderen lässt.

Offener und versteckter Rassismus

Die 1970 in Atlanta geborene Jones ist mit allen Wassern des amerikanischen Creative Writing gewaschen und hat doch keinen Roman aus der Retorte geschrieben. Sie setzt dem Georgia der 1980er-Jahre ein Denkmal, erzählt von der Einsamkeit zweier Teenager, vom Durchhaltewillen ihrer Mütter und legt den mal offenen, mal versteckten Rassismus bloß, den ihre schwarzen Protagonisten auszuhalten haben. Es gelingen Tayari Jones dabei viele eindrückliche Szenen – etwa wenn sie beschreibt, wie James voller Stolz mit seinem Freund Raleigh eine kleine Limousinenfirma gründet, um nicht weiter als angestellter Chauffeur Weiße kutschieren zu müssen. Und mit Gespür für Atmosphäre schildert sie Lavernes kunterbunten Schönheitssalon, in dem die Methoden, krauses Haar glatt zu bürsten, besonders nachgefragt sind.

Vielleicht ist "An American Marriage" ein härteres, stringenteres Buch, doch "Das zweitbeste Leben" ist allemal so eigenständig, dass es eine vielschichtige Lektüre beschert.

Tayari Jones: Das zweitbeste Leben
Aus dem amerikanischen Englisch von Britt Somann-Jung
Arche, Zürich/Hamburg 2020
349 Seiten, 22 Euro

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