Tareq Alaows möchte Geflüchtete vertreten

"Ich werde einen starken Wahlkampf machen"

07:23 Minuten
Ein Mann im grauen Dufflecoat trägt Mundschutz, während er bei einer Demonstration einen Text vorliest.
Der 31-jährige Syrer Tareq Alaows möchte in den Bundestag. Bei einer Demonstration gegen Rassismus im Februar in Oberhausen hat unsere Reporterin ihn getroffen. © Deutschlandradio / Vivien Leue
Von Vivien Leue · 11.03.2021
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2015 ist Tareq Alaows aus Syrien geflüchtet. Nun möchte er für die Grünen in den Bundestag einziehen. Die Parteimitglieder im Wahlkreis sind überzeugt: Tareq Alaows ist ein Glücksgriff. Ihm fehlt allerdings noch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Oberhausen, Mitte Februar. Etwa einhundert Menschen stehen vor dem Hauptbahnhof und demonstrieren gegen Rassismus. Aus ihrer Mitte läuft ein junger Mann zum Mikrofon – die schwarzen Haare sind zum Dutt geformt, er trägt blaue Jeans, dunkles Hemd, einen grauen Mantel:
"Wir wollen eine Welt, in der alle Menschen die gleichen Rechte haben und in Würde und Sicherheit leben können."
Es ist Tareq Alaows, 31 Jahre alt, syrischer Flüchtling.
"Und deshalb kandidiere ich mit den Grünen hier in Oberhausen und Dinslaken als erste aus Syrien geflüchtete Person für den Bundestag. Ich kandidiere, um mit meiner Stimme die Rechte von Geflüchteten und Migrantinnen zu vertreten."
Einige der Demonstrantinnen und Demonstranten sind extra wegen ihm gekommen, dem neuen Direktkandidaten und Star ihres Wahlkreises, hier mitten im Ruhrgebiet.

Große Erwartungen - viel Rückenwind

Alaows lächelt. Im Mittelpunkt zu stehen, das ist er mittlerweile gewohnt. Seine Kandidatur hat bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Alle großen Zeitungen haben über ihn berichtet.
"Das ist schon auch ein Aufbruch, muss man sagen. Wenn man sich anguckt, wie wenig diese Menschen mit Fluchterfahrung in den Parlamenten vertreten sind", meint Annette Berger von den Grünen aus Dinslaken.
"Da ist ja auch nach wie vor noch viel Spielraum, Mitglieder mit Migrationshintergrund für die Grünen zu gewinnen."

Die Erwartungen an Tareq Alaows sind riesig – und er freut sich darüber, erzählt er kurz vor der Demo im Büro der Grünen in Oberhausen:
"Ich werde einen starken Wahlkampf machen, ich habe ein starkes politisches Programm. Und dann wird die nächste Zeit zeigen, was da passieren kann."

Kandidatur im Ruhrgebiet, Wohnort Berlin

Auch hier dreht sich alles um ihn. Ein ruhiges Gespräch ist kaum möglich: Ein Kamerateam ist da, ein Fotograf und die neuen Parteifreunde.
Tareq Alaows ist bisher ein seltener Gast in seinem neuen Wahlkreis, aktuell wohnt er noch in Berlin – dort arbeitet er für ein Projekt von Künstlern und Geflüchteten. Wer in Ruhe und allein mit ihm reden möchte, erreicht ihn deshalb am besten dort.
Am Telefon nimmt sich der 31-Jährige viel Zeit. Vor allem über seine politischen Themen möchte er sprechen, aber auf Nachfrage erzählt er auch von seinem Leben vor der Flucht. Als Sohn eines politischen Journalisten und einer Buchhändlerin studierte er zunächst Internationale Beziehungen und Jura und beteiligte sich dann auch an friedlichen Protesten gegen das Assad-Regime.
"Ich habe beim Roten Halbmond dort gearbeitet und in Kriegsgebieten geholfen und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert."
2015 spürte er, dass sich die Lage im Land – auch für ihn persönlich – zuspitzte. Also packte er ein paar Sachen und flüchtete: in 45 Tagen von Damaskus über die Balkanroute nach Deutschland. Sein erster Wohnort: eine Turnhalle in Bochum.
"Deutschland war das erste Land, in dem ich ein Gefühl von Sicherheit hatte. Es hat aber nicht lange gedauert, bis ich erschrocken war von den Lebensbedingungen der Menschen. Und ich sah ich dann die Notwendigkeit, meine politische Arbeit wieder fortzuführen."

Protestcamp vor dem Rathaus in Bochum

Es war die Zeit, als die Bearbeitung von Asylanträgen eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Währenddessen mussten Flüchtlinge in Notunterkünften bleiben, durften keinen Deutschkurs besuchen oder arbeiten. Im Frühling 2016 organisierte Alaows deshalb ein Protestcamp vor dem Rathaus in Bochum – 17 Tage lang demonstrierte er mit rund 20 anderen Geflüchteten für schnellere Asylentscheide.
"Schon als ich meine aktivistische Arbeit in Deutschland angefangen habe – nach meiner Flucht –, habe ich gemerkt, dass meine Perspektive, also die Perspektive der betroffenen Personen in der Politik fehlt."
Um mitreden zu können, übersetzte er sich das Grundgesetz und lernte dabei Deutsch.
"Ich habe mit der Stadtverwaltung gesprochen, ich habe mit den politischen Parteien vor Ort gesprochen. Und dann gab es mehrere Rückmeldungen, dass diese Beteiligten sehr zufrieden waren, dass wir uns beteiligen wollen. Dass wir nicht nur eine passive Rolle in dieser Gesellschaft einnehmen, sondern noch was anbieten können, also helfen wollen und nicht so ein Problem sein wollen, sondern ein Teil der Lösung."

2018 gründete Tareq Alaows die Bewegung "Seebrücke" mit, die sich bis heute für die Seenotrettung im Mittelmeer einsetzt. Bei all diesen Engagements merkte er: Vor Ort sind viele Menschen willens, Dinge zu verändern, Geflüchteten zu helfen und ihnen neue Perspektiven zu geben, aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die wichtigen Entscheidungen werden ganz oben in Berlin getroffen.
Ein junger Mann mit streng aus der Stirn gekämmten schwarzen Haaren und Vollbart; er trägt ein weißes Hemd, die oberen Knöpfe sind offen.
Tareq Alaows vom Koordinierungskreis der Bewegung "Seebrücke" beantwortet auf einer Pressekonferenz Fragen von Journalisten.© picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Kein Gegenkandidat bei der Nominierung

Deshalb will er jetzt in den Bundestag – und dort mitreden. Dafür ist er zur Jahreswende auf die Grünen in Oberhausen und Dinslaken zugegangen, hat seine Visionen vorgestellt.
"In Deutschland gibt es nicht erst seit 2015 geflüchtete Menschen. Und in einer funktionierenden Demokratie ist es höchste Zeit, dass diese Menschen im Parlament vertreten werden."
Die Parteimitglieder im Wahlkreis sind überzeugt: Tareq Alaows ist ein Glücksgriff für sie. In einer Region, in der Zuwanderung schon immer eine große Rolle spielte, könne er zeigen: Die Grünen haben mehr Themen als Umwelt und Ökologie. Bei seiner Nominierung im Januar gab es keinen Gegenkandidaten.
"Dass er in den Bundestag zieht, wäre für die Grünen und für den Bundestag ein Riesen-Zeichen. Das wäre echt cool", sagt Carl Markmann, Oberhausener Stadtverordneter der Grünen.
Bis dahin sind allerdings noch Hürden zu nehmen: Der Wahlkreis Oberhausen-Dinslaken ist seit Jahrzehnten fest in sozialdemokratischer Hand. Die Grünen pendeln dort zwischen fünfeinhalb und zehn Prozent. Ohne einen guten Platz auf der Landesliste wird Tareq Alaows es wahrscheinlich nicht in den Bundestag schaffen. Außerdem hat er noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie ist aber Voraussetzung, um in den Bundestag gewählt zu werden.

Eine große Portion Optimismus

Auf der Anti-Rassismus-Demo in Oberhausen erzählt Tareq Alaows, wie er beide Hürden nehmen will: Mitte April bewirbt er sich auf dem NRW-Parteitag der Grünen um einen Listenplatz und seine Staatsbürgerschaft ist bereits beantragt:
"Meine Rechtsanwältin und ich sind der Meinung, dass das in einer kurzen Zeit erteilt wird. Wir gehen davon aus, im ersten Quartal dieses Jahres. Also hoffentlich bis Anfang April oder so."
Der 31-Jährige wirkt zuversichtlich, in all seinen Aussagen steckt eine große Portion Optimismus. Und so plant er schon die nächsten Schritte: Er will jetzt in seinen Wahlkreis ziehen.
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