Tanztreffen

Mini-Gagen, aber keine Spur von Müdigkeit

Besucher stehen am 27.02.2014 vor dem Kampnagel in Hamburg vor der Eröffnung der "Tanzplattform Deutschland" mit dem Stück "Sider" der Company von William Forsythe.
Besucher vor dem Kampnagel in Hamburg vor der Eröffnung der "Tanzplattform Deutschland" am 27.02.2014 mit dem Stück "Sider" der Company von William Forsythe. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Elisabeth Nehring · 02.03.2014
Mit gewohnten Seherfahrungen zu brechen, das gelang einigen Stücken auf dem Tanztreffen im Kampnagel Hamburg. Thema waren auch die schwierigen Produktionsbedingungen aufgrund einer vernachlässigten Förderung.
Mitunter geht es sonderbar zu unter den großen Namen des zeitgenössischen Tanzes: William Forsythe lässt seine Tänzer - bekleidet mit bunten, engen Hosen, Kettenhemden und -helmen - in unverständlichem Kauderwelsch Shakespeares Hamlet rezitieren und dazu Pappschilder durch die Gegend schieben. Meg Stuart fährt Beethoven und Rachmaninow auf, um - durchaus charmant - die Ratlosigkeit ihrer Protagonisten angesichts der monumentalen Musik zur Schau zu stellen. Und V.A. Wölfl, eigentlich bildender Künstler und seit vielen Jahren der unangepasste Bilderstürmer unter den Choreografen, besticht mit Tänzern in Glitzerkostümen auf strahlend weißer Bühne, irritiert dann aber seine Zuschauer nach der Hälfte der Zeit durch verfrühtes Saallicht und Abbruch der Vorstellung.
Autorin und Kuratorin Ester Boldt hat als Jurymitglied die Auswahl der diesjährigen Tanzplattform mit zu verantworten.
"Es gab einfach Arbeiten, die konnten wir nicht von der Liste streichen, die kamen immer wieder ins Gespräch und da kann ich gerade nicht mal sagen, ob ich die besonders gut oder besonders schlecht finde, sondern ich kann einfach sagen: die haben mich sehr beschäftigt. Und auch wenn ich sehr viel gucke, sind die mir noch sehr prägnant in Erinnerung und das, denke ich, hat dann schon eine bestimmte Qualität."
Bei William Forsythe, Meg Stuart, V.A. Wölfl, aber auch Raimund Hoghe geht es – so manifestierte sich der Eindruck über vier Tage Tanzplattform – auch und vor allem darum, mit den gewohnten Seherfahrungen und -erwartungen zu brechen. Selbst wenn man schon sehr viel gesehen hat, sitzt man als Zuschauer mitunter in Vorstellungen, die sich – aufgrund ihrer Dramaturgie, ihres Umgangs mit der Zeit oder verschiedener Elemente, die nicht recht zusammenpassen wollen. Das ist einerseits überraschend und herausfordernd, andererseits zeugt das auch von einer gewissen Verschrobenheit, vielleicht sogar Müdigkeit unter denen, die aufgrund ihrer 'herausragenden künstlerischen Handschriften’ hier ausgewählt wurden.
Ästhetisch: "gepflegte Ruhe"
"Man hat ein gewisses Sättigungsniveau erreicht. Es ist so schön gepflegte Ruhe, ästhetisch, und - das ist meine Beobachtung - die letzten Jahre hat man sehr viel auf Nebenschauplätzen … Strukturbildung, Lobbyismus, Kuratieren ... Die Veranstalter sind mit Netzwerken sehr viel stärker geworden und der einzelne Künstler, die Künstlerförderung wurde in den letzten Jahren meines Erachtens vernachlässigt. Was man jetzt merkt und was man korrigieren muss."
Sigrid Gareis hat viele Jahre das Tanzquartier Wien geleitet und in Köln die Akademie der Künste der Welt ins Leben gerufen. Die Bestandsaufnahme der Expertin ist klar: die Zukunft des Tanzes muss den Künstlern gehören, nicht den Administratoren, den Institutionen und ihren Strukturen. Selbstausbeuterische Bedingungen, Minigagen und Hungerlöhne müssten einer neuen Ethik der politisch und administrativ Verantwortlichen weichen.
"Das muss man deutlich machen: ohne die Kunst und den Künstler würde es uns als Veranstalter, als Journalisten, als Kulturpolitiker gar nicht geben. Und das ist das, was meines Erachtens wieder in den Fokus gehört."
Vor allem junge Künstler sind oft horrende unterbezahlt. Denn von ihnen gibt es – seit der Schaffung verschiedener neuer Ausbildungsinstitute – einfach viel mehr, als später beschäftigt werden können. Aber Bettina Masuch, Jurymitglied der Tanzplattform und neue künstlerische Leiterin des tanzhaus’ NRW, gibt noch andere Schwierigkeiten zu bedenken.
Mittlere Generation hat es am Schwersten
"Der Nachwuchs ist im Moment nicht unser Problem, es gibt wirklich sehr guten, sehr talentierten Nachwuchs. Aber wer gerade ein wirkliches Problem hat, sind die 'midcarrer-artists', weil die auch bei allen Förderentscheidungen immer auf so eine Situation treffen, dass man denkt, ach, die kennt man doch schon und was machen die denn eigentlich gerade und wollen wir dann nicht lieber jemandem jungen eine Chance geben.
Also die haben es viel, viel schwerer, sich durchzusetzen gegen den Ansturm der jungen Talente, die da kommen, weil es anders als im Theater keinen Abfluss nach oben gibt. Das heißt, diese Leute hängen immer an denselben Förderstrukturen fest, aber diese Förderstrukturen wachsen nicht mit den Künstlern, das heißt diese Künstler müssen sich immer wieder Förderstrukturen anpassen und deswegen kann da irgendwann nichts neues mehr entstehen."
Und tatsächlich waren gerade aus diesem 'mittleren’ Feld eher wenig Choreografen auf der Tanzplattform vertreten. Immerhin sorgte der inzwischen auch nicht mehr zur ganz jungen Generation gehörende Choreograf Sebastian Matthias mit seiner Produktion Danserye, einem Gemeinschaftserlebnis für Musiker, Tänzer und Zuschauer zu Neukompositionen von Renaissancemusikstücken, für ein absolutes Highlight.
Und auch das Rahmenprogramm der Tanzplattform bewies, dass in der Breite von Müdigkeit keine Spur ist: in 'Pitchings' stellten junge Künstler ihre Arbeiten und Arbeitsansätze vor, Choreografin Antje Pfunter lud zu einem 'Archiv der Aufführungen’ und in zahlreichen Zusatzveranstaltungen präsentierte sich Hamburg als vielfältige Tanzstadt. Wer den Blick über die enge Auswahl der zehn 'besten’ oder 'interessantesten’ Inszenierungen hinaus lenkte, traf auf durchaus viel Fantasie und Nachdenklichkeit. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit ist da auf Fortsetzung zu hoffen – auf der nächsten Tanzplattform 2016 in Frankfurt.