Tanzend Grenzen überwinden

Von Leonie March · 27.06.2013
Jay Pather gilt als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Choreografen Südafrikas. Das National Arts Festival, das am Mittwoch in Kapstadt beginnt, trägt seine Handschrift. Es ist eine einzigartige Möglichkeit, sich einen Überblick über die zeitgenössische Kulturszene des Landes zu verschaffen.
Jay Pather liebt diese Aussicht – von seiner Wohnung im achten Stock in die Straßenschluchten der Kapstädter Innenstadt:

"Ich bin im Stadtzentrum aufgewachsen. Als Kind habe ich gern aus dem Fenster geschaut und die Menschen auf der Straße beobachtet. Als ich ein Teenager war sind wir in die Vorstadt gezogen. Das waren wohl die schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich fühlte mich wie abgekapselt."

Jay Pather’s Wohnung wirkt wie er selbst – offen, mit vielen Fenstern nach draußen, modern und trotzdem gemütlich, schick aber nicht protzig. Seit der Trennung von seinem Partner vor ein paar Jahren lebt er wieder allein. Er ist 54, sieht zehn Jahre jünger aus, kleidet sich lässig elegant, seine dunklen Haare stehen stylisch zu Berge. Er ist ein liebenswerter Workaholic.

Auf dem Esstisch liegt sein stets voller Terminkalender. Denn Jay Pather ist nicht nur Choreograph; Er leitet ein Tanzensemble, das renommierte Gordon Institut für darstellende Künste und arbeitet als Kurator. Welchen dieser Hüte er am liebsten aufhabe? Er schmunzelt:

"Am meisten liegt mir sicherlich die Choreographie am Herzen. In ihr kann ich am besten ausdrücken, wie ich die Welt sehe. Da es jedoch leider ein zu großer Luxus wäre, ausschließlich als Choreograph zu arbeiten, trage ich eben auch all diese anderen Hüte. Aber in gewisser Weise choreographiere ich auch Lehrpläne oder Festivalprogramme. Für mich steht immer der Rhythmus im Vordergrund und so fließt die Choreographie wohl in alles ein, was ich tue."

Schon als 12-Jähriger merkt Jay Pather, dass er lieber andere Tänzer dirigiert, als
selbst zu tanzen. Er wächst in einer indischstämmigen Großfamilie in der südafrikanischen Hafenstadt Durban auf. Sein Vater engagiert sich als politischer Aktivist im Freiheitskampf gegen die Apartheid und wünscht sich, dass sein Sohn einen praktischen Beruf erlernt, statt seine Zeit mit Tanzen zu vergeuden:

"Es galt nicht als anständig für einen jungen Mann, insbesondere einen dunkelhäutigen aus den Ghettos. Meine Familie beobachtete mich skeptisch; Einige Verwandte regten sich sogar richtig darüber auf, dass ich mich mit solchem Mädchenkram beschäftigte. Das tat man einfach nicht."

Nach der Schule fügt sich Jay Pather zunächst dem Druck der Familie und beginnt ein Jurastudium. Da er jedoch mehr Zeit damit verbringt, Theater-Stücke zu lesen als Paragraphen zu pauken, sattelt er nach ein paar Semestern um. Studiert Schauspiel und Englisch, schließt mit Auszeichnung ab. Aber die Kritik seiner Familie verstummt erst, als er Anfang der 80er Jahre das renommierte Fulbright-Stipendium für New York erhält.

"Mein Leben hat sich dadurch drastisch verändert. Natürlich studierte ich dort Choreografie; ein Fach, das es in Südafrika zu der Zeit an schwarzen Universitäten nicht gab. Ich besuchte jeden Kurs, sah große und kleine Produktionen und erkannte, dass mich die experimentellen besonders interessierten. Extreme Arbeiten, radikal in ihrer Ästhetik, die die Dinge grundlegend in Frage stellen. Kunst, die über Grenzen hinausgeht."

Nach seiner Rückkehr leistet Jay Pather Pionierarbeit in Südafrikas junger Tanzszene. Zu seinen Markenzeichen gehören interdisziplinäre Produktionen außerhalb der etablierten Bühnen, auf öffentlichen Plätzen oder in historischen Gebäuden. Seine Kunst soll für jeden zugänglich sein. Gemeinsam mit Musikern, Multimedia- und Performancekünstlern verwebt er klassische, traditionell afrikanische und zeitgenössische Formen zu dichten Gesamtwerken, die alle Sinne ansprechen.

"Wir haben heutzutage Zugang zu vielen unterschiedlichen Medien. Unser Bewusstsein ist dementsprechend komplex. Nur durch interdisziplinäre Arbeiten lassen sich diese verschiedenen Dimensionen ansprechen. Ein Körper in Bewegung kann beim Zuschauer eine starke körperliche Reaktion auslösen. Das künstlerische Konzept der Choreografie spricht seinen Intellekt an. Dazu kommen starke visuelle und akustische Eindrücke. Bei all dem geht es aber nicht nur darum, das Werk wahrzunehmen, sondern auch in eine andere Welt einzutauchen."

Jay Pather’s Choreografien sind visionär, ambitioniert, oft gesellschaftskritisch. Ein Anspruch, den er auch an seine Studenten hat. Sie sollen den Mut zur Avantgarde haben. Damit Südafrika nicht im Mainstream versinkt.

"We cannot deny the need for the Avantgarde to exist. It must exist. Or else we would have the next mainstream."