Tanz

Drill und Arbeit im Akkord

Szene aus "Made in Bangladesh"
Szene aus "Made in Bangladesh" © Helena Waldmann / Georgia Foulkes-Taylor
Von Elisabeth Nehring · 26.11.2014
Sie hat ein Thema gefunden, das unter die Haut geht: In ihrem neuen Projekt beleuchtet Helena Waldmann mit den Mitteln des Tanzes die Arbeitsbedingungen der "garment factories" in Bangladesh.
Was steckt hinter der Aussage "Made in Bangladesh"? Dieser Frage ist Choreographin Helena Waldmann nachgegangen. Zusammen mit zwölf ausgebildeten Kathak-Tänzern und -Tänzerinnen und einem deutschen Team hat sie in den berühmt-berüchtigten Textilfabriken Bangladeschs recherchiert und die Arbeitsbedingungen, die sie dort vorfand, hat sie in ihrer Produktion "Made in Bangladesh" in Tanz umgesetzt.
Als "stock- oder fast nadelsteif" bezeichnet Choreographin Helena Waldmann den Kathak-Tanz – und damit als geeignetes Mittel für ihr Stück. Die Analogie versteht man bereits während der ersten langen Eingangsszene, in der zwölf Tänzer aufgereiht und in bunter bengalischer Kleidung ihre Füße pausenlos und in schnell wechselnden Rhythmen in den Boden stampfen; hinter ihnen ein Video, in dem die Nadeln einer Nähmaschine auf- und niederhämmern.

Drill, Akkord-Arbeit im Sekundentakt, physischer Druck – die Arbeitsbedingungen, denen Näher und Näherinnen unterliegen, ist diesen Tänzerkörpern und ihren Bewegungsmustern eingeschrieben. Kleinen, feinen Bewegungen des Nackens, Torsos oder der Handgelenke beraubt, ist dieser Kathak, den Helena Waldmann über eine Stunde als Tour de Force durchexerzieren lässt, eine skelettierte Variante der reichen nordindischen Tanztradition – und bekommt in der Reduktion etwas unerbittliches, ja fast brutales.
Analogien zum europäischen Kulturbetrieb
"Ich bin körperlich nicht stark genug für diese Arbeit. Ich erlebe Ausbeutung und Missbrauch."
Jene Sätze, Aussagen von Näherinnen und Nähern, erscheinen gelegentlich auf der Leinwand. Die Tänzerinnen verkünden dagegen ganz anderes ins Mikrophon: "Ich bin stolz, Teil der Modeindustrie zu sein – stolz, unabhängig zu sein." Auch das sind Sätze der Näherinnen und es sind genau diese nicht aufgelösten und nicht auflösbaren Ambivalenzen, die Helena Waldmann und ihr Ensemble bei den Recherchen herausgefiltert haben und nun auf der Bühne nebeneinander stellen.

Da mag die Analogie zum europäischen Kulturbetrieb mit seinen selbstausbeuterischen Strukturen, die Waldmann im dritten Teil des Abends zieht, vielleicht auf den ersten Blick übertrieben oder zumindest zugespitzt erscheinen. Doch Zitate wie: "Im letzten Jahr habe ich 60 Vorstellungen getanzt – in diesem Jahr 100. Für das gleich Geld", verweisen in aller Deutlichkeit darauf, dass auch europäische Tänzer unter höchst prekären Bedingungen ihr Geld verdienen.

"Made in Bangladesh" ist ein starkes, auch unbequemes Stück – anstrengend, nicht nur für die Tänzer, auch für den Zuschauer, aber in seiner Konsequenz und Körperlichkeit genau das richtige Mittel, den rasenden Arbeitsverhältnissen der Gegenwart künstlerisch Ausdruck zu geben.
Mehr zum Thema