Tankred Dorst mit 91 gestorben

Mit Theater auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Tankred Dorst galt als einer der produktivsten Autoren seiner Zunft.
Tankred Dorst galt als einer der produktivsten Autoren seiner Zunft. © dpa / picture alliance
Von Hartmut Krug · 01.06.2017
Tankred Dorst, einer der meistgespielten Autoren des deutschen Gegenwartstheaters, ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Gespielt von allen großen Bühnen, inszeniert von den führenden Regisseuren, blieb er immer neugierig aufs Theater und das Leben.
"Ich bin Parzival. Jeder Mensch auf der Welt hat doch schon von Parzival gehört. Jeder weiß, wie er um sich schlägt. Ich bin Parzival. Ich bin ein Ritter."
So auftrumpfend stand der gewalttätige Gott- und Sinnsucher Parzival, der viele Autoren angeregt hat, bei Tankred Dorst im Jahr 2014 auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Der Dramatiker Dorst hatte sich mit dieser mythischen Figur immer wieder aufs Neue auf Sinnsuche begeben. Nach der Uraufführung im Jahr 1987 am Hamburger Thalia Theater durch Robert Wilson hat er seinen "Parzival" kräftig überarbeitet.
Dorst war mit seinen Stücken auf allen großen und kleinen, nicht nur deutschsprachigen Bühnen zu Hause. Auf der Bühne beantwortete er keine Fragen, sondern stellte Fragen. "Wie soll man leben" war die Grundfrage, die sich durch alle seiner bald fünfzig Stücke zieht. Was ihn zum Schreiben bewegte, beschrieb Dorst so:
"Es ist die nie zu klärende Frage: Wozu sind wir da, 'Was sollen wir tun'. So heißt ja auch eins von meinen Stücken, in Anlehnung an ein russisches Stück. (...) Das Stück besteht darin, dass ein guter Mensch (...) nicht lebensfähig ist, (...) alles was er tut, geht schief und schlägt ins Gegenteil um."

Ersten Erfolg mit "Die Panne"

Tankred Dorst, geboren am 19. Dezember 1924 im thüringischen Sonneberg als Sohn eines Fabrikanten, wurde von der Schulbank weg in den Zweiten Weltkrieg geschickt. Nach Gefangenschaft in den USA und England holte er das Abitur nach und studierte in Bamberg und München Germanistik und Kunstgeschichte. In München schrieb er für eine Marionettenbühne seine ersten Theaterstücke, sechs an der Zahl. 1958 gewann er mit einem Stückentwurf einen Mannheimer Wettbewerb und erlebte zugleich mit dem Einakter "Die Panne", einer bis heute in aller Welt gespielten Parabel über den Konflikt zwischen Geschäft und Moral, 1960 in Lübeck sein Debüt als Dramatiker.
Von da an hat Dorst unermüdlich für das Theater geschrieben, fast 50 Stücke umfasst sein Werk. Die von realen Figuren wie Toller, Sand, Heine, D’ Annunzio oder Hamsun handeln, sich aber auch mit Fantasiefiguren auseinandersetzen wie "Korbes" nach den Gebrüdern Grimm , "Karlos" oder "Herr Paul" mit dem Motto "Wer lebt, stört". Immer meinte er unsere Gegenwart, selbst wenn ein Drama in mythologischer Vorzeit spielte. Und immer zeigte er Figuren, die zwar letztlich böse sein können, aber vom Autor weder verurteilt noch psychologisch erklärt werden:
"Ich habe mich immer geärgert, dass einem immer eine Moral abverlangt wurde. Den Personen eine Moral, und zwar eine politische Moral. Das kam natürlich auch von Brecht. Das wollte ich eigentlich nicht, weil mir schien das Leben rätselhaft."

Stücke ohne psychologischen oder politischen Erklärungen

Dorsts Werkausgabe bei Suhrkamp umfasst immerhin acht Bände. Dabei fand er sogar neben dem Schreiben noch Zeit, um im Theater wie beim Film selbst zu inszenieren. Er übersetzte und bearbeitete Werke von Molière, Diderot und Fallada, er verfasste Opernlibretti, schrieb Kinderstücke und Hörspiele, war Mitglied vieler Akademien und sichtete jahrzehntelang für die von ihm 1992 mitbegründete Bonner Biennale "Neue Stücke aus Europa", die später in Wiesbaden stattfand.
Der Schriftsteller Tankred Dorst, der all dies seit 1970 gemeinsam mit seiner Frau Ursula Ehlers betrieb und seitdem auch ihren Namen mit unter seine Theaterwerke setzte, kam stets bewusst ohne psychologische oder explizit politische Erklärungen aus. Immerhin behandelten seine Schauspiele, auch die historischen, die großen Themen des 20. Jahrhunderts: Krieg, Gewalt und Sinnsuche. Folgerichtig inszenierte Dorst 2006 Wagners "Ring des Nibelungen" in Bayreuth. Mit dessen Themenkomplex hatte er sich zuvor schon auf ganz eigene Art in "Merlin oder das wüste Land" und in seinem "Parzival" beschäftigt.
Regie führt Sabine Auf der Heyde. Die Premiere fand am 21.01.2012 statt.
Auf der Bühne des Deutschen Nationaltheaters Weimar wird eine Szene des Schauspiels "Merlin oder Das wüste Land" von Tankred Dorst geprobt. Foto: Martin Schutt/lth© picture alliance / dpa / Martin Schutt
Viele große Regisseure wie Peter Palitzsch, Dieter Dorn, Wilfried Minks und Peter Zadek haben Dorsts Stücke an den großen Bühnen Deutschlands und Europas inszeniert. In einem seiner letzten Dramen, uraufgeführt 2007 in Hannover unter dem Titel "Ich bin nur vorübergehend hier" lässt Dorst 15 alte Leute in einem Niemandsland umherirren:
"Wie heißen Sie?"
"I used to be a dancer."
"Trotzdem werden Sie doch einen Namen haben."
"Ich habe auch einen Namen."
"Aber der Name ist falsch."
"Ach so."
"In äußerster Verzweiflung."

Gespür für die Sehnsüchte der Menschen

Der große und sprachmächtige Dramatiker Tankred Dorst war ein kritischer Sinnsucher, der hinter die Verzweiflung und Gewalt von Menschen schaute und dahinter ihre tieferen Sehnsüchte entdeckte. Er war weder Postdramatiker noch ein Autor des reinen Realismus. Dorst gab seinen Figuren mit ihren kräftigen und poetischen Konturen stets auch eine sinnbildliche Realität. Seine Stücke, die vor allem im vergangenen Jahrhundert viel gespielt wurden, sind mit ihrer Frage "Wie soll man leben" bis heute aktuell geblieben.
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