Tanja Stupar Trifunovic: "Die Uhren in Mutters Zimmer"

Weibliche Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien

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Buchcover "Die Uhren in Mutters Zimmer" von Tanja Stupar Trifunovic ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Plastisch schildert Tanja Stupar Trifunovic frühe Kindheitsszenen der Kränkung, Sprachlosigkeit und Unnahbarkeit. © Deutschlandradio / eta Verlag
Von Olga Hochweis · 31.03.2021
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"Mutter war besessen von Uhren", schreibt die Icherzählerin – obwohl sie es "jahrelang nicht eilig hatte". Tanja Stupar Trufunovics erster Roman handelt von Frauen, die traumatisiert und beschädigt scheinen. Ein schmerzerfülltes Buch.
Es gibt keinen Plot, weder Anfang noch Ende. Eine namenlose Icherzählerin erinnert sich an ihre Mutter – unchronologisch und fragmentarisch wie in einem Steinbruch aus Erinnerungsfetzen. Das Verhältnis der beiden war angespannt.
Plastisch schildert die Autorin frühe Kindheitsszenen der Kränkung, Sprachlosigkeit und Unnahbarkeit. Die Mutter war unglücklich. Wie im Wartezustand hatte sie ihr Leben an der Seite des falschen Mannes verbracht. Nach ihrem Tod kehrt die Tochter in das Dorf zurück, in dem die Eltern gelebt hatten, und ins Zimmer der Mutter mit seinen vielen Uhren.

Unerfüllte Lebensentwürfe

"Mutter war besessen von Uhren, obwohl sie es jahrelang gar nicht eilig hatte. Sie wählte die lautesten, deren Zeiger man klar vorwärts rücken hörte. Uhren, deren Geläut Tote aufgeweckt hätte, obwohl sie auch im Alter noch ausgezeichnet hörte." Im Wechsel mit den Erinnerungen an die Mutter liest man Ausschnitte eines Romans, an dem die Icherzählerin, selbst Mutter einer heranwachsenden Tochter, gerade schreibt.
Die beiden Erzählebenen sind nur durch die unterschiedlichen Personalpronomen "ich" und "sie" markiert. Atmosphärisch und inhaltlich ähneln sie sich sehr. Hier wie dort geht es um unerfüllte Lebensentwürfe, um Mutterschaft, um Depressionen. Die Protagonistin des Romans Ana hat einen längeren Klinikaufenthalt hinter sich. Verbitterung und ein anhaltendes Gefühl der Leere verbinden sie mit der Mutter der Icherzählerin.
Beide Frauen scheinen beschädigt und traumatisiert von einer patriarchalen Gesellschaft, die den Folgen der Jugoslawienkriege mit Heldennarrativen und Schweigen begegnet.

Empfindsame, stark verdichtete Sprache

"Ich kann nicht mehr davonlaufen vor diesen Frauen, die mich seit Jahren verfolgen. Mit ängstlichen, verwunderten und ein wenig kindlichen Augen, wie meine Mutter. Nichts Weises liegt darin, nur diese Verwunderung über das Leben. Als ob sie ihm in die Falle gegangen und arg von ihm getäuscht worden wäre."
"Die Uhren in Mutters Zimmer" ist Tanja Stupar Trufunovics erster Roman. Sie wurde 1977 an der dalmatischen Küste geboren und kam als Kriegsflüchtling nach Banja Luka. Diese Erfahrung grundiert das melancholische, oft geradezu schmerzerfüllte Buch. Seine empfindsame, stark verdichtete Sprache verrät die preisgekrönte Lyrikerin Trifunovic. Ihre Tätigkeit als Literaturkritikerin lässt sich aufgrund eines längeren Kapitels gegen Ende des Romans erahnen, in dem berühmte Frauenfiguren der Literatur wie Madame Bovary oder Anna Karenina wie in einem Bewusstseinsstrom ihre Lebensnot artikulieren.
Auch ein Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger wird in die komplexe Struktur des Romans hineingearbeitet, was nicht unbedingt überzeugt. Dennoch lohnt die Lektüre dieses Romans, der weibliche Erfahrungen in der postjugoslawischen Gesellschaft kunstvoll und sensibel auslotet.

Tanja Stupar Trifunovic: "Die Uhren in Mutters Zimmer"
Aus dem Serbischen übersetzt von Elvira Veselinovic
eta Verlag Berlin, 2021
168 Seiten, 16,90 Euro

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