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Gründung der NATO vor 70 Jahren
Zwischen Bündnisverteidigung und Auslandseinsätzen

Die NATO sollte die Amerikaner in Europa drin, die Sowjets draußen und die Deutschen klein halten. Auf diese Kurzformel brachte es der erste Generalsekretär des Militärbündnisses. Am 4. April 1949 wurde die NATO in Washington gegründet. Bald zeigte sich, dass es ihr vorerst vor allem um ein Ziel ging.

Von Matthias Bertsch | 04.04.2019
    Flagge der NATO
    1955 wurde die Bundesrepublik in die North Atlantic Treaty Organization (NATO) aufgenommen, wenige Tage später gründeten die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten den Warschauer Pakt (dpa / Daniel Naupold)
    Harry Truman: "Dieser Vertrag ist ein einfaches Dokument und die Staaten, die es unterschreiben, stimmen nach den friedlichen Grundsätzen der Vereinten Nationen darin überein, die freundschaftlichen Beziehungen untereinander und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erhalten, zusammenzustehen, wann immer das Territorium oder die Unabhängigkeit eines von ihnen verletzt wird, und sich gegenseitig zu Hilfe zu kommen, wenn einer von ihnen angegriffen werden sollte."
    Als der Nordatlantikpakt am 4. April 1949 in Washington unterzeichnet wurde, verlor US-Präsident Harry Truman kein Wort darüber, gegen wen das neue Bündnis, zu dem sich die USA, Kanada, Großbritannien und neun weitere europäische Staaten zusammengeschlossen hatten, gerichtet war. Der erste Generalsekretär des Bündnisses, Lord Ismay, war weniger diplomatisch. Von ihm stammt die Kurzform: Die NATO soll die Amerikaner in Europa drin, die Sowjets draußen und die Deutschen klein halten. Doch spätestens seit der Truman-Doktrin von 1947 war klar, dass es der NATO vor allem um ein Ziel ging: den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen – auch mit Hilfe Westdeutschlands, so Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
    "1949 wurde die Bundesrepublik gegründet, bekam in weiten Teilen ihre außenpolitische Souveränität zurück, und dann sehr zügig begann ja auch die Debatte um eine Wiederbewaffnung, aber gleichzeitig war allen Beteiligten klar, insbesondere den westlichen Alliierten, Wiederbewaffnung, eine Remilitarisierung der Bundesrepublik wäre nur in einem multilateralen Rahmen möglich, um ein Erstarken des Nationalismus zu verhindern, und diesen multilateralen Rahmen, den bot halt die NATO."
    Wettrüsten zwischen Ost und West
    1955 wurde die Bundesrepublik in die NATO aufgenommen, wenige Tage später gründeten die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten den Warschauer Pakt. Das Wettrüsten zwischen Ost und West bestimmte die Politik, und es war gut, dass die NATO nicht nachgab, betont Kaim. Auch die in Deutschland so umstrittene Nachrüstung im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses 1979 sei wichtig gewesen:
    "Ohne die Nachrüstung wäre so etwas wie Abrüstung oder Abrüstungskontrolle wenige Jahre später gar nicht möglich gewesen. Also Härte und Dialogbereitschaft haben bei der NATO immer zusammengehört, und dementsprechend hat die NATO keinen ganz unwichtigen Beitrag geleistet eben auch zum Zerfallsprozess der Sowjetunion beziehungsweise des Warschauer Paktes."
    Nach Ende des Kalten Krieges schien die NATO zunächst ihre Daseinsberechtigung verloren zu haben. Doch an die Stelle der Bündnis- und Landesverteidigung traten bald Auslandseinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen. Das Bündnis müsse eingreifen, wenn Menschenrechte massiv bedroht seien, machte Bundeskanzler Gerhard Schröder im April 1999 im Bundestag deutlich: 50 Jahre nach ihrer Gründung führte die NATO zum ersten Mal Krieg in Europa - im Kosovo. Schröder:
    "Schon um ihrer Glaubwürdigkeit als Wertegemeinschaft willen war die NATO gezwungen, die Massenvertreibung und den Massenmord im Kosovo, dagegen vorzugehen und an dieser Situation hat sich nichts geändert: Die Allianz musste und muss deutlich machen, dass sie nicht bereit ist, es hinzunehmen, dass ein Teil Europas in Unterdrückung und Barbarei zurückfällt."
    Bislang einzige Ausrufung des Bündnisfalles - nach 9/11
    Und dennoch war der Kosovo-Einsatz fragwürdig. Markus Kaim:
    "Es hat zwar einen ganze Reihe von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gegeben, die die Kriegsparteien zu Kooperationen aufgerufen haben, mit Zwangsmaßnahmen gemäß VN-Charta gedroht haben, aber die letztliche Autorisierung eines Militärschlags durch die NATO ist nicht erfolgt. Von daher ist das Vorgehen der NATO eben völkerrechtswidrig gewesen. Und erst im Nachhinein ist die Truppenpräsenz, die so genannte KFOR-Mission der NATO, vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatiert worden."
    Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York rief der NATO-Rat zum ersten und bislang einzigen Mal den Bündnisfall aus. Wenig später begann der ISAF-Einsatz in Afghanistan - allerdings im Auftrag der Vereinten Nationen. Doch seit Russland vor fünf Jahren die Krim annektierte, wird wieder verstärkt über den ursprünglichen Auftrag des Bündnisses diskutiert - vor allem in den baltischen und osteuropäischen Staaten, die vor 15 und 20 Jahren Mitglied der NATO wurden. Kaim:
    "Der Pendelschwung geht zurück zu Bündnis- und Landesverteidigung, und mein Eindruck ist, dass viele diese Bedeutung der NATO, die ein wenig verschüttet gewesen ist, jetzt erst wieder entdecken. Und man kann natürlich die NATO kritisieren. Man müsste nur die Frage stellen, welche Organisation denn diese Funktion der Bündnis- und Landesverteidigung ausreichend sicherstellen könnte? Und eine, auf die wir immer schauen, ist die Europäische Union, und die ist weit davon entfernt, das gewährleisten zu können."
    Eines allerdings kann die NATO definitiv nicht sein: ein Ersatz für die Vereinten Nationen.