Tanger ohne Paul Bowles

Von Stefan May · 21.06.2011
Die Stadt ist glatt: viel spiegelndes Glas, Beton, dazwischen konzentriertes Wirtschaften. Reichlich Raum für den Blick zurück oder für Kultur und Kreativität lässt das moderne Tanger nicht. Und doch war die Hafenstadt vor wenigen Jahrzehnten Muse für den amerikanischen Schriftsteller Paul Bowles und eine Generation junger Autoren, die er groß gemacht hat.
Sie konnten Tanger aber nicht dauerhaft den Stempel ihrer Literatur aufdrücken: Mohamed Mrabet lebt heute vornehmlich als Maler außerhalb der Stadt, Mohamed Choukri ist tot, Driss ben Hamed Charhadis’Spuren haben sich in den USA verloren. Sie schrieben über den Hunger, die Not und die Armut in Tanger.

Abdeslam at-Talill, Übersetzer und Autor aus dem Tanger unserer Tage, wirkt müde: Seine Themen sind die Migration, das soziale Gefälle in der Stadt und deren Identitätsverlust. Aber wie kann eine neue Identität im Schreiben entstehen, wie kann sich Literatur dauerhaft behaupten in einem Land, wo nach wie vor die Hälfte der Menschen nicht lesen und schreiben kann?

Buchhändler, Verleger, Autoren und Intellektuelle bestimmen Rolle und Bedeutung des modernen Buches im Königreich Marokko – in der ungewissen Zeit der Umbrüche in Nordafrika.