"Taliban sind ein entscheidendes Element der DNA" von Afghanistan

Najmuddin Shaikh im Gespräch mit Peter Lange · 14.01.2012
Der frühere pakistanische Spitzenpolitiker Najmuddin Shaikh meint, dass der bevorstehende Abzug der internationalen Schutztruppe Afghanistan in eine schwierige Lage bringen wird. Die Taliban würden weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Deutschlandradio Kultur: Guten Tag, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen zu einer Premiere im Deutschlandradio Kultur. Heute beginnen wir mit einer neuen Kooperation. Gemeinsam mit dem Aspen-Institut wollen wir mehrmals im Jahr mit interessanten Gästen aus der internationalen Politik sprechen, die in unserem Sprachraum eher selten zu hören sind, und zwar immer hier im China-Club im Berliner Hotel Adlon, direkt am Brandenburger Tor.

Mein Name ist Peter Lange.

Wir freuen uns, gewissermaßen als Premierengast Pakistans Botschafter Najmuddin Shaikh begrüßen zu können. Herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind. Botschafter Shaikh war 38 Jahre lang im diplomatischen Dienst seines Heimatlandes, Botschafter in verschiedenen Ländern, auch mal für ein gutes Jahr in Deutschland. Heute ist er Politikberater in einem Think Thank in Karatschi und schreibt in mehreren Publikationen über Außenpolitik.

"Afghanistan nach 2014. Chancen und Herausforderungen" – so haben wir die Veranstaltung heute überschrieben. 2014 soll ja das Jahr werden, an dem sich die internationalen Truppen zurückziehen und die Afghanen auf sich selbst gestellt sein werden, zumindest was die politischen Strukturen und die innere Sicherheit angeht.

Botschafter Shaikh, wenn Sie an 2014 denken, überwiegt bei Ihnen da eher die Sorge oder die Erleichterung?

Najmuddin Shaikh: 2014, wie wird das sein? Ich glaube, das hängt wirklich davon ab, was bis dahin in den zwei Jahren, die uns noch bleiben, passiert bis zu dem Moment 2014. Die Entwicklungen in diesen zwei Jahren sind entscheidend, die endgültige Situation in 2014, ob es Chancen geben wird, Herausforderungen oder beides.

Wichtig ist hier vor allem der Versöhnungsprozess, die Gespräche in diesem Bereich und ob diese erfolgreich sind – ja oder nein – und in welchem Rahmen sie stattfinden.

Beispielsweise, ob die Taliban dabei sein werden, ob es nach 2014 eine amerikanische Präsenz geben wird, eine kleinere natürlich, kleinere Basen geben wird, die immer noch dort vor Ort sind und ob sie dort sind für ein Jahrzehnt oder für einen kürzeren Zeitraum, das ist natürlich ein ganz entscheidendes Element, wenn es darum geht auch zu sehen, wie sich die Versöhnungsgespräche fortentwickeln.

Deutschlandradio Kultur: Die ISAF wird sich zurückziehen, weil auch in den Herkunftsländern die Akzeptanz schwindet. Müssten die Truppen an und für sich länger bleiben?

Najmuddin Shaikh: Ich weiß natürlich, dass da die Gefühle im Westen mit Blick auf die Präsenz der ISAF-Truppen zurückgeht. Einige sagen, dass 90 % der afghanischen Volkswirtschaft, des wirtschaftlichen Bruttoinlandprodukts durch die Präsenz der ausländischen Kräfte generiert wird. Wenn nun die ausländischen Truppen gehen, wird das natürlich negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Und das wird dazu führen, dass eine große Anzahl von Menschen Arbeitsplätze verliert.

Wenn die Truppen gehen müssen, dann braucht man gut durchdachte wirtschaftliche Maßnahmen, um Arbeitsplätze zu schaffen, um die Wirtschaft weiter voranzutreiben und um auch die wirtschaftliche Aktivität zu ersetzen, die auf künstliche Art und Weise in der letzten Dekade durch die Präsenz der ausländischen Truppen geschaffen wurde, die natürlich Sicherheit brauchten für ihre Transportbewegungen, die Personal brauchten für unterschiedliche Aktivitäten.

Zweitens muss diese wirtschaftliche Aktivität natürlich auch auf Projekte ausgerichtet sein, die Arbeitskräfte schaffen können. Daher sage ich, dass dies Projekte sein sollen, die nicht kapitalintensiv sind, sondern arbeitsintensiv sind. Zum Beispiel der Bereich Bewässerung, der ganze Bereich Landwirtschaft, hier sollten Programme sein, in denen es um Lebensmittel für Arbeit geht, food for work. Je mehr Menschen in Lohn und Brot stehen, desto besser für das Land. Darum geht es.

Wir brauchen daher wirtschaftliche Aktivitäten, die generiert werden durch vorsichtige, gut durchdachte Maßnahmen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn die wirtschaftliche Entwicklung das aufholen soll oder auffangen soll, was dann fehlt, dafür haben wir nur noch zwei Jahre. Das ist sehr kurz.

Najmuddin Shaikh: Ich verstehe das so: Die Truppen ziehen sich zurück bis zum Jahre 2014. Aber in Bonn haben doch die meisten teilnehmenden Parteien gesagt, dass sie sich auch darüber hinaus noch in Afghanistan engagieren werden und die Regierung unterstützen werden. Das bedeutet, dass es zum Beispiel wirtschaftliche Hilfe weiterhin gibt. Man muss beide Aspekte beachten, wirtschaftliche Unterstützung und Schaffung von Arbeitsplätzen, damit eben nicht noch neues Leid für die schon gebeutelten Menschen geschaffen wird.

Deutschlandradio Kultur: Schauen wir auf die innenpolitische Situation in Afghanistan. Präsident Karsai wird im Grunde von den USA an der Macht gehalten. Wird er sich ohne internationale Unterstützung halten können?

Najmuddin Shaikh: Ich glaube, seine Amtszeit läuft ja im Jahre 2014 aus. Dann gibt es neue Wahlen im Jahre 2014. Wer danach an die Macht kommt, ob er es ist oder jemand anderes, nun, ich denke, das wird zum Teil auch entschieden werden von der Richtung, in die sich die nationale Versöhnung entwickelt. Wenn es nationale Versöhnung gibt, dann glaube ich, dass die Aussichten für eine Weiterentwicklung gut sind. Ich denke, dann hat er auch ganz gute Chancen, auch noch mal nächster Präsident zu werden.

Schlüsselpunkt Ihrer Frage war doch, ob Karsai nur Dank der Unterstützung aus den USA im Amt ist. Ich denke, er hat Unterstützung. Die letzten Wahlen zeigen, dass es Schwierigkeiten gab, ja. Aber wir haben doch auch gesehen, dass Abdullah Abdullah, sein Rivale, es nicht darauf angelegt hat, eine Stichwahl zu haben als feststand, dass Karsai nicht alle 50 % der Wählerstimmen hatte.

Das heißt, ich glaube, es gibt schon Unterstützung für Präsident Karsai. Zu sagen, dass er einfach nur von ausländischer Unterstützung abhängig ist, ist, glaube ich, so nicht richtig.

Deutschlandradio Kultur: Welche Rolle werden die Taliban spielen nach 2014?

Najmuddin Shaikh: Ich denke, sie werden eine Rolle spielen. Die Taliban sind wirklich ein entscheidendes Element der DNA sozusagen des Landes. Es ist das Unglück Afghanistans, das so entstanden ist. Ein ganz spezielles Element, das Paschtunenelement, die Gemeinschaft der Paschtunen in Afghanistan wurde an den Rand gedrängt, hat nicht die Bedeutung erhalten, die ihr zugestanden hätte. Es geht natürlich um Pluralität. Selbst als diese Pluralität dann ignoriert wurde und Regierungen geschaffen wurden und die Paschtunen sich absonderten, da waren selbst die Taliban nicht so sehr beliebt unter den Paschtunen.

Der UN-Vertreter Brahimi hat das Entstehen der Taliban damals die "ursprüngliche Sünde des Landes" genannt, wenn ich das richtig erinnere. Die Mehrheit der Paschtunen wird wahrscheinlich nicht die Taliban als ihre Vertreter ansehen, aber das ist ein langsamer Prozess. Und selbst, wenn dieser Prozess stattfindet, dann werden die Taliban immer noch einen Fuß innerhalb der Paschtunengesellschaft halten. Sie sind also Teil des Gewebes des Landes. Sie werden daher eine Rolle spielen auch nach 2014 in Afghanistan.

Ich denke wirklich, dieser Versöhnungsprozess ist das, worauf es ankommt. Die Taliban haben gegenwärtig ihre Ziele noch nicht aufgegeben.

Deutschlandradio Kultur: Was ist die wahrscheinlichere Option – dass die Taliban die Macht haben und andere beteiligen oder dass sie Minderheitspartner in einer wie auch immer gearteten nationalen Koalition sind?

Najmuddin Shaikh: Wie ich das sehe, können sie nicht die Galionsfigur sein. Es gibt, wie gesagt, Paschtunen, die die Taliban überhaupt gar nicht mögen und die unabhängig sein möchten, wie zum Beispiel Karsai. Es gibt die Usbeken, es gibt die Tadschien Es gibt wichtige andere Elemente, die zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen. Alle müssen vertreten sein.

Zu hoffen bleibt, dass sie im Rahmen des paschtunischen Machtanteils nur ein Teil dieser Vertretung der Paschtunen bekommen und nicht die Paschtunen insgesamt vertreten werden und dass sie dadurch natürlich eine Minorität, eine Minderheit sind und deshalb natürlich auch die Regeln beachten müssen, die für Minderheiten gelten.

Wenn alle Afghanen nun sagen, es wird Macht abgegeben, dezentralisiert in Richtung Provinzen, Bezirke, dann können sie möglicherweise mehr Macht ausüben auf dieser lokalen Ebene, aber ich glaube nicht, wenn wir über die nationale Ebene sprechen. Möglicherweise ist das Wunschdenken von mir, denn für mein Land ist es doch so entscheidend. Die Taliban sind ein entscheidendes Element der Struktur von Afghanistan. Und es ist wichtig für mein Land. Deshalb glaube ich noch immer daran, dass es eine Zusammenarbeit geben wird und dass sie natürlich letztlich weniger einflussreich werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber ich höre raus, dass für Sie schon klar ist, es wird immer bestenfalls ein föderaler Staat sein mit einer eigentlich schwachen Zentralgewalt.

Najmuddin Shaikh: Ich glaube, meine Regierung oder auch der Zivilteil der Bevölkerung oder das Militär haben sich hier noch nichts überlegt. Uns ist wirklich daran gelegen, dass wir ein friedliches, stabiles Afghanistan neben uns haben. Es geht natürlich auch um Indien, den möglichen Einfluss von Indien in Afghanistan. Damit müssen wir uns beschäftigen. Aber gegenwärtig geht es uns nur um ein friedliches, stabiles Afghanistan.

Die politische Struktur muss von den Afghanen selbst beschlossen werden. Deswegen sollten wir es ihnen überlassen. Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Afghanen zusammensetzen, dass sie sich überlegen, wie sie die Macht teilen möchten, ob sie eine föderale Struktur bevorzugen, eine Struktur wie es sie in der Verfassung gibt. Und ich höre von meinen afghanischen Freunden, dass sie auch darüber sprechen, dass dies gegenwärtig nicht der Zeitpunkt ist, um sich vom Präsidialsystem zu verabschieden.

Es gibt natürlich noch die Bezirke und die Provinzen. Das muss geklärt werden. Aber gegenwärtig brauchen wir eine starke zentrale Struktur, um die Probleme zu lösen. Das müssen die Afghanen für sich entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben Ihr eigenes Land, Pakistan, schon ins Gespräch gebracht. Das ist der andere große Player in dieser Szene. Ich denke, es gibt keinen Zweifel, es gibt kein stabiles, friedliches Afghanistan ohne auch ein stabiles Pakistan.

Man hat den Eindruck, dass die pakistanische Regierung keine effektive Kontrolle über die Grenzregion, ihre eigene Grenzregion hat. Wenn das so ist, kann sich das bis 2014 ändern?

Najmuddin Shaikh: Pakistan ist ein Akteur. Und es wird immer wieder gesagt, dass es ein dunkler Akteur ist.

Deutschlandradio Kultur: Das habe ich nicht gesagt.

Najmuddin Shaikh: Ich weiß, Sie haben das nicht gesagt. Ich habe das jetzt auch nicht Ihnen in den Mund gelegt. Aber das habe ich immer mitbekommen, dass das immer so zwischen den Zeilen mitschwingt. Was ich jedoch nicht verstehe, ist Folgendes, nämlich, die Kosten für Pakistan wegen Afghanistan.

Gegenwärtig haben wir 5 Mio. Flüchtlinge in Pakistan. Gegenwärtig haben wir keine Grenze mit Afghanistan, denn jeden Tag kommen Tausende von Afghanen ohne Reisepässe über diese Grenze. Wir rechnen mit weiteren 2 Mio. Menschen, die sich wünschen werden, eine Art von Obdach, eine Art von Lebensunterhalt zu bekommen, was sie in Afghanistan nicht finden werden. Und ein Großteil dieser Menschen wird Richtung Pakistan kommen, weil eben die Grenze noch nicht so gut geschützt ist. Das heißt, für Pakistan ist Frieden uns Stabilität in Afghanistan ganz entscheidend für unser eigenes wirtschaftliches Wohlergehen und unsere eigene Stabilität.

Heute sind wir nicht in der Lage, große Teile dieser Bereiche zu kontrollieren.
Was kann jedoch Pakistan tun, und ich denke, das müssen wir auch machen: Pakistan muss alles Mögliche probieren, um diejenigen Taliban zu überzeugen, die auf unserem Boden sind, teilzunehmen am Verhandlungsprozess und im vollen Wissen daran teilzunehmen, dass es nun die Machtteilung bedeutet.

Pakistan ist in der Lage, Obdach und Unterstützung zu geben. Ich hatte bereits gesagt, dass wir entlang der Grenze auch die ganzen Flüchtlinge haben, überall Flüchtlingslager. Abgesehen von diesen 1,7 Mio. Flüchtlingen, die dort direkt an der Grenze untergebracht sind, haben wir noch die mehr als 3,3, die in den Resten unseres Landes verteilt sind. Und wir sagen zur internationalen Staatengemeinschaft: Helft uns auch mit diesem Flüchtlingsproblem. Aber hier ist noch nichts geschehen.

Was wir der Taliban auch sagen werden, ist, dass wir begrüßen, dass es einerseits natürlich bedauerlicherweise nicht wirklich viele wirtschaftliche Chancen gibt, aber dass diese Lager auch geschlossen werden. Und je schneller wir in der Lage sind, sie zurückzubringen, desto schneller werden wir all das tun, was uns möglich ist.

Deutschlandradio Kultur: Diese große Zahl von Flüchtlingen kann sich destabilisierend auswirken. Aber ja auch sozusagen hausgemachte Instabilität. Wenn ich jetzt auf das Verhältnis der Armee und der zivilen Regierung in Pakistan schaue, wie stabil ist dieses Pakistan heute? Dieser Tage ist ein Staatssekretär im Verteidigungsministerium entlassen worden, ein pensionierter General. Das wird von der Armee offenbar als Provokation angesehen. Kann sich die zivile Regierung auf die Armee verlassen? Oder hängt sie am Tropf oder am Band dieser Armee?

Najmuddin Shaikh: Das ist eine bedauerliche Realität, die wir hier sehen, dass Pakistan sich 30 Jahre lang vom Militär regiert sah. Eine zivile Regierung hatte nicht wirklich die Chance an die Macht zu kommen. Gewählte Politiker hatten nie wirklich die Chance, dauerhaft Pakistan zu regieren. Und ich denke, im Ergebnis hatten wir auch nicht die Möglichkeit zu reifen.

Wenn Sie nun darüber sprechen, dass die Regierung inkompetent ist, ja. Aber das ist auch zum Teil begründet durch den Mangel an Erfahrung. Und dann gab es doch die Zeiten der zivilen Regierung. Das waren Bereiche in unserer Geschichte, in denen auch Politik gemacht wurde – basierend auf Dominanz. Nachdem Pakistan entstand, fühlte ich Pakistan bedroht durch einen Nachbarn, Indien, und dass deshalb Pakistan zurückkehren sollte zu Indien. Und das hat natürlich dazu geführt, dass man sehr viel investiert hat ins Militär, in die Armee.

Und es ist doch so: Wer das Geld hat, hat die Macht. Vielleicht ist das nicht so sehr schlau, wenn ich das sage, aber ich glaube, das gilt für Washington und für Islamabad. Was wir heute sehen, ist wirklich eine unglückliche Situation, auch die Diskussion, die es gibt. Ich kann jetzt nicht vorhersagen, dass morgen alles gut ist. Gegenwärtig ist es so, dass die Streitkräfte nicht darauf aus sind, die gesamte Kontrolle zu übernehmen. Ich denke, sie wollen dennoch entscheidend sein und eine Stimme haben, die gehört wird in allen Bereichen, die mit der Sicherheit zu tun haben. Aber ich hoffe dennoch, dass, wenn wir dann auch die Wahlen haben für den Senat Anfang März, 2. März genauer gesagt, dass dies der regierenden Partei mehr Zuversicht gibt, weil sie einfach eine große Mehrheit im Haus haben.

Und dann haben wir auch die Wahl im Jahr 2013. Und ich hoffe, dass die Regierung bis dahin durchhält. Und ich rechne natürlich nicht damit, dass sie nun Wunderwerke beginnt, aber dass dann zumindest mit dem Zeitpunkt der Wahlen sich die Situation verbessern wird.

Deutschlandradio Kultur: Verstehen Sie die Enttäuschung oder die Irritation der Amerikaner, dass gerade dieser langjährige Verbündete gerade Osama bin Laden über Jahre bei sich geduldet hat? Auf wessen Konto geht das? War das die Armee? Hat die Regierung das gewusst? Wie denken Sie da drüber?

Najmuddin Shaikh: Nun, da bin ich mir überhaupt gar nicht sicher. Ich weiß es nicht, ob es die Armee war oder, lassen Sie mich eine andere Phrase benutzen, ISI, das heißt, der indische Geheimdienst, ob sie dafür verantwortlich sind, ihm Unterschlupf gewährt zu haben. Ich weiß es nicht.

Bedauerlicherweise ist es so, dass wir extremistische Organisationen in unserem Land haben, die über entsprechende Ressourcen verfügen und die damit in der Lage sind, solche Zufluchtsorte zu gewährleisten. Sie agieren unabhängig. Aber ob sie komplett unabhängig waren, ob sie das so wussten und gemacht haben, weiß ich nicht.

Aber ich kann nachvollziehen, dass es in Washington Irritationen gibt. Gleichzeitig denke ich, dass es auch die Einsicht gibt in Washington, dass es mehr Alkaida-Akteure gab, die gefangen genommen wurden, die übergeben wurden, die eliminiert wurden auf die eine oder andere Art und Weise. Hier wurde einiges erreicht mit Hilfe der Zusammenarbeit mit diesem Geheimdienst, der nun angeprangert wird oder nicht angeprangert, nicht beschuldigt wird, aber zumindest verdächtigt wird, hier Unterschlupf zugelassen zu haben.

Wir haben nun einen Ausschuss, der untersucht, wie es dazu kam und wie es Osama bin Laden gelingen konnte in Abbottabad so lange Zeit zu bleiben. Der Bericht dieses Ausschusses wird höchstwahrscheinlich Ende dieses Monats oder Anfang nächsten Monats erscheinen. Und wir sollten abwarten, was sich hieraus ergibt, welche Details hier sichtbar werden, um dann zu sagen, war es ISI oder waren es andere extremistische Organisationen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir jetzt mal von Pakistan weggehen, es gibt ja andere Akteure in der Region auch, die für Afghanistan wichtig sind – nehmen wir den Iran, nehmen wir Russland, Indien haben Sie selbst erwähnt. Glauben Sie, dass es genug gemeinsame Interessen unter diesen Akteuren gibt, dass man mit Blick auf Afghanistan so etwas wie ein gemeinsames Sicherheitsnetz, eine gemeinsame Sicherheitspolitik hinbekommt?

Najmuddin Shaikh: Nun, ich denke, wenn Sie sich mit der Situation in Afghanistan beschäftigen, dann denke ich daran, dass es hier einen inneren Zirkel gibt der Afghanen und dann einen darum gelegten Zirkel, einen darum gelegten Kreis, einmal die direkten Nachbarn und dann die so genannten nahen Nachbarn.

Nun die Frage, ob dieser äußere Kreis etwas entscheiden kann, was gut ist, ob man Afghanistan alleine lassen soll oder ob etwas gesagt wird, was zu tun ist, oder man sagt, ihr müsst euch hinsetzen, ihr müsst eine Lösung finden, damit ihr friedlich und stabil seid. – Ich denke, wir sollten uns mit den unterschiedlichen Positionen in diesem Bereich beschäftigen. So glaube ich, das, was wir gegenwärtig erleben, ist, dass Russland das nördliche Distributionsnetzwerk unterstützt, einige Nachbarländer unterstützen dieses Netzwerk ja. Und wir wissen, warum dies so ist, und wir hoffen natürlich, dass dies dazu dient, Afghanistan stabiler und friedlicher zu machen.

Dann gibt es den Iran. Der Iran sagt, er ist besorgt, weil Afghanistan verantwortlich ist für all das Opium, das dazu geführt hat, dass Iran die größte Bevölkerung von Opiumabhängigen hat. 55 % des gesamten Opiums geht in den Iran. Das ist eine Hauptsorge des Irans. Aber insgesamt ist es Afghanistan und Iran gelungen, eine gute Beziehung zu halten. Ob die Beziehung so gut ist jedoch, weiterhin amerikanische Präsenz zu tolerieren, bleibt zu klären.

Die amerikanische Präsenz bedeutet das, dass sie wirklich dort sind oder dass sie letztlich nur die Zeche bezahlen für die Sicherheitskräfte, die von außen kommen? Nun, ich denke, mit dieser Art der Finanzierung haben natürlich die Amerikaner ihre ganz eigene Art der Einflussnahme.

Und dann natürlich die Beziehung zwischen den USA und dem Iran, auch das ist eine ganz große Schwierigkeit, eine Schwierigkeit, die möglicherweise dazu führt, dass Afghanistan instabil wird oder im Ungleichgewicht bleibt oder auch die USA ein Ungleichgewicht in der Situation sind, oder dazu führt, dass die USA nicht Afghanistan nutzen gegen den Iran. Aber wir haben Unterstützer, auch in Afghanistan. Und wir sagen unseren Unterstützern dort: Bleibt bei eurer Position. Kommt nach Pakistan, nicht nach Indien, aber kommt nach Pakistan.

Denn, wie ich bereits sagte, Pakistan hat verstanden, wie schwer die Kosten eines instabilen Afghanistan wiegen würden. Wir können nur stabil und friedlich sein, wenn wir ein stabiles und friedliches Afghanistan haben. Ich hoffe, dass es insgesamt dazu führt, dass auch Pakistan sicherer und stabiler wird.

Deutschlandradio Kultur: Also, ein ganz großes Feld, auf dem ganz viele Akteure unterwegs sein werden. Afghanistan nach 2014 – Chancen und Herausforderungen. Das war unsere Sendung Tacheles, das allererste Aspen-Forum aus dem China-Club im Berliner Hotel Adlon. Unser Gesprächspartner war heute Botschafter Najmuddin Shaikh. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für dieses Gespräch und Ihnen für Ihr Interesse. Am Mikrophon verabschiedet sich Peter Lange.
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