Tagung der Nobelpreisträger

Intelligenzia am Bodensee

Blick auf die Stadt Lindau am Bodensee
Blick auf die Stadt Lindau am Bodensee © dpa / picture alliance / Markus C. Hurek
Von Thomas Wagner  · 02.07.2014
Das Bodensee-Städtchen Lindau hat derzeit hochkarätigen Besuch: Bei einer Tagung treffen sich Nobelpreisträger aus der ganzen Welt zum fachlichen Austauch. Viele Nachwuchsforscher hoffen auf eine Begegnung mit ihren Vorbildern.
Im Europa-Saal der Inselhalle Lindau, einem Zweckbau aus den 70er-Jahren, öffnet sich wie auf Kommando eine Tür. Im Gänsemarsch laufen 34 ältere Herren nach vorne zur Bühne – wie die Stars einer Fernseh-Show. Sie tragen Namensschilder mit türkisfarbenen Bändern um den Hals. Damit sind sie die Hauptdarsteller. Denn wer Türkis trägt, hat den Nobelpreis bekommen - und stößt auf ein Maß von Verehrung, das ansonsten nur Pop-Ikonen zuteil wird.
"All diese Nobelpreisträger direkt vor einem, zum Anfassen sozusagen – das ist wie im Traum. Du liest ihre Bücher. Du studierst ihre Unterlagen. Und plötzlich stehen sie direkt vor Dir. Das ist wirklich faszinierend, vor allem dann, wenn Du selbst planst, in die großen Schuhe hineinzuwachsen."
Muhammed Quereshi, ein stämmiger junger Mann in dunkelblauem Anzug, ist aus Pakistan zur Nobelpreisträger-Tagung an den Bodensee gereist. In diesem Moment zu einem der Preisträger durchzukommen, wenigstens eine einzige Frage zu stellen – ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch wird Fabian Mohr, Doktorand der Uni Ulm, nicht aufgeben:
"Ich war einem schon sehr nahe. Ich wollte ihn nur am ersten Tag nicht belästigen. Ich hoffe, dass ich dieser Tage mit einem reden kann."
Austausch mit den Nachwuchswissenschaftler
Fabian Mohr trägt sein weißes Hemd lässig auf der Hose, erweckt mit seinem beigen Halstuch dennoch einen Hauch von Eleganz. Dass er zu denjenigen 600 Jungwissenschaftlern zählt, die aus 6000 Bewerbungen aus aller Welt ausgewählt worden sind, erfüllt ihn mit Stolz.
"Es ergibt sich hier die Möglichkeit, ein riesiges Netzwerk aufzubauen für die Zukunft, für die Forschung und für manche andere Zwecke. Und es ist wahnsinnig spannend, hier mit den Nobelpreisträgern zusammenzukommen und den einen oder anderen Tipp zu bekommen."
Die Kaffeepause ist vorbei; alle sitzen nun wieder auf ihren Plätzen im Europa-Saal. Manche haben ihre Notebooks aufgeklappt. Doch die meisten machen ihre Notizen noch per Hand, mit Kugelschreiber und Schreibblock. Es geht um die Ursache von genetisch bedingten Erkrankungen. Andere Vorträge beschäftigen sich mit Krebs- und mit der Aidsforschung.
Doch in Lindau lernen nicht nur die Nachwuchswissenschaftler von den Nobelpreisträgern. Auch umgekehrt klappt der Austausch.
"Ich bin nach wie vor in der Forschung tätig. Wenn ich nicht dauernd junge Studenten kriegen würde, ginge das nicht weiter. Es ist eine gegenseitige Verpflichtung. Und da kommt sehr viel rein von den Jungen. Auch die fühlen sich verpflichtet."
Der Schweizer Professor Kurt Wüthrich, ein freundlich lächelnder, älterer Herr mit buschigen Augenbrauen, bekam den Chemie-Nobelpreis 2002. Professor Robert Huber aus München steht neben ihm: kleine Lesebrille, schütteres Haar, Chemie-Nobelpreisträger im Jahr 1988.
"Viele Fragen wiederholen sich: Was ist geschehen nach dem Nobelpreis? Wie hat der Nobelpreis dich beeinflusst? Was hast du mit dem Geld gemacht? Und solche Fragen. Aber auch: Was sind die spannenden Gebiete, die aussichtsreichsten? Das sind spannende Diskussionen."
Die letzten Geheimnisse des Universums
Eine Gruppe indischer Studentinnen in bunten Gewändern umringt die beiden Nobelpreisträger Wüthrich und Huber. Nachdem sie fürs erste kein Autogramm ergattern, gehen sie wieder zurück in den Europa-Saal; der nächste Vortrag beginnt gleich.
Robert Huber ist derweil schon fündig geworden.
"Eine der Studentinnen, die jetzt hier ist, wird bei mir anfangen, schon im nächsten Monat."
Mal die Tür zum Vortragssaal aufmachen, mal wieder schließen – und das möglichst geräuschlos: Diesen Aushilfsjob erledigt die Lindauerin Josephine Trüfflinger in roter Uniform. Die Lindauer, so weiß sie, sind stolz darauf, dass sich auf ihrer kleinen Insel die klügsten Köpfe der ganzen Welt treffen.
"Die Welt wird auf diese Weise offen. Und das kleine Lindau wird jetzt in Asien zum Beispiel publik gemacht. Darum finde ich das jetzt so schön. Und in Australien oder Amerika. Wer weiß denn schon in Amerika, wo Lindau ist."
Und während die jungen Nachwuchsforscher keine Gelegenheit auslassen, sich an die Nobelpreisträger heranzupirschen, sehen die Lindauer die Nobelpreisträger nur dann, wenn sie vor der Inselhalle aus schmucken Limousinen aussteigen. Christine Schmid steht in einem Lebensmittelladen gegenüber, blickt bewundernd zum Tagungsort.
"Ich habe einen ganz normalen Mittelschulabschluss, habe nicht studiert, kein Abitur, gar nichts. Ich bin ganz einfach fasziniert. Und ich hoffe, dass wir die Nobelpreisträger noch länger in Lindau haben werden. Können Sie mir die Quantentheorie erklären? Oder die Stringtheorie? Ich weiß es nicht. Je tiefer wir in die Materie hineinschauen, desto weniger verstehen wir."
Und so erscheint es für viele Einheimische so, als ob für wenige Tage in ihrer Stadt die letzten Geheimnisse des Universums diskutiert werden. Und darauf sind sie stolz.