Tagebau

Deckelung der Erneuerbaren

Von Axel Flemming · 11.12.2013
Brandenburg ist Energieland, das heißt, es setzt weiter auf Braunkohle. Die rot-rote Landesregierung begründet das mit den Arbeitsplätzen in der Lausitz. Protest gibt es von Umweltschützern und von Dorfbewohnern, die der Kohle weichen müssen, wie im kleinen Ort Atterwasch.
Beim "Gottesdienst für die Erhaltung der Schöpfung" ist die evangelische Dorfkirche zu Atterwasch gut gefüllt. Die knapp 250 Einwohner des kleinen Dorfes in der Nähe von Guben an der polnischen Grenze beziehen die Worte der Bibel auf ihre Situation; sie wollen ihren Ort bewahren, aber nicht nur den. Denn bedroht sind auch die Gemeinden in der Nachbarschaft: Kerkwitz, Proschim und Grabko; bedroht von den Plänen des Energiekonzerns Vattenfall, der den Tagebau Jänschwalde Nord gerne dorthin ausweiten möchte. Monika Schulz-Höpfner wohnt seit 1982 in Atterwasch:
"Und natürlich, wir leben von der Braunkohle schon über viele Jahrzehnte, man kann sagen Jahrhunderte, aber ich denke es wärt nichts ewig!"
Dass CDU/CSU und SPD in Berlin auch über die Energiewende geredet haben, hielt die Abgeordnete der CDU im Landtag Brandenburg anfangs für eine Chance, allerdings noch vor den Verhandlungen über eine große Koalition:
"Ich glaube umso besser ist es, dass wir auch heute bundesweit hier zusammen kommen, um ein Signal nach Berlin zu senden: Vergesst uns bitte nicht. Wir sind auch noch da und wir möchten bitte hier in unserer Region a) dass die Region erhalten bleibt und b) dass die Menschen wieder in Ruhe ihr Leben leben können."
Die Hoffnung sollte sich so nicht bestätigen. Im Vertragstext zur schwarz-roten Koalition heißt es zwar:
"Wir streben für die Zeit nach 2015 Nachhaltigkeitsziele an, die auf breitenwirksames, inklusives, ressourcenschonendes und kohlenstoffarmes Wachstum ausgelegt sind." Allerdings bedeutet das mitnichten die Abkehr von fossilen Brennstoffen.
Das wird deutlich in dem Satz: "Auch die Braunkohle spielt nach wie vor eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsstruktur." Zunächst einmal werden die Erneuerbaren gedeckelt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke:
"Die Energiewende musste sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt werden, weil selbst, wenn wir die Obergrenze erreichen, im Jahr 2035 sind es dann 60-65 Prozent erneuerbare Energien im Netz, dann heißt das am Ende, dass immer noch 35-40 Prozent konventionelle Energieträger im Netz sein müssen, um eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu gewährleisten."
Abbaggerung bedeutet auch Umsiedlung
Der SPD-Politiker gehörte bei den Verhandlungen zur großen Koalition in Berlin der Arbeitsgruppe Energie an wie auch seine Kollegin aus Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft. Die schrieb in den Vertragstext: "Die konventionellen Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) als Teil des nationalen Energiemixes sind auf absehbare Zeit unverzichtbar."
Ein Ausstiegsszenario sieht anders aus.
Ein Ausstiegszenario könnte es höchstens für Monika Schulz-Höpfner werden. Ihre Partei setzte sie zur Landtagswahl im September 2014 auf den nahezu aussichtslosen Listenplatz 33. Bislang stellt die CDU 19 Abgeordnete im Parlament in Potsdam.
"Ich werde sehr gern auf meine persönliche Betroffenheit reduziert. Ich bin in der Politik aber nicht angetreten wegen persönlichen Befindlichkeiten, sondern um Politik zu gestalten. Und es ist meine beinharte Meinung, dass es nicht mehr notwendig ist, tatsächlich solchen Frevel an Natur und Umwelt und vor allen Dingen natürlich an den Menschen zu vollziehen, dass man hier die ganze Erde umdreht, um die Kohle rauszuholen, um ordentlich Profit zu machen."

Die Abbaggerung von Atterwasch ist noch Zukunftsmusik. Konkreter wird es dagegen schon südlich von Cottbus. Vattenfall will dort weitere 1900 Hektar abbaggern, um von 2027 bis 2042 Braunkohle für seine Kraftwerke zu gewinnen - über 200 Millionen Tonnen. Daraus würden bei der Verbrennung auch über 200 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 freigesetzt. 810 Menschen sind dieser Planung im Weg und müssten aus Proschim, Lindenfeld und Welzow umgesiedelt werden.
Zerstörte Windräder in einem Wagen mit Braunkohle auf einer Demonstration gegen die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd.
Protest gegen die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd.© picture alliance / dpa
"Also Umgang mit der Braunkohle heißt ja auch Umgang miteinander. Und wir sind immer gesprächsbereit. Wir gehen auf die Leute zu und wir versuchen natürlich auch ins Gespräch zu kommen. So ist das eben heute in unserer Demokratie: Wir müssen im Gespräch bleiben und wir müssen uns auch mit den Themen auseinandersetzen, intensiver auseinandersetzen, aber respektvoll auseinandersetzen."
... sagt Uwe Grosser, Vorstand Bergbau der Vattenfall Europe Mining AG. Zurzeit läuft in Cottbus die Erörterung des Planentwurfs zum Tagebau Welzow-Süd II. Dabei geht es um die Frage, ob und in welcher Form der Braunkohleplan für Vattenfalls weiteren Tagebau genehmigt wird.
"Wir befinden uns in einem Spannungsfeld. Die Braunkohle prägt die Landschaft, wie die Menschen in der Lausitz. Vattenfall greift mit seiner Tätigkeit in die gewachsenen Strukturen der Lausitz ein. Klar ist auch, die einheimische Braunkohle bietet Wirtschaftskraft und soziale Stabilität in der Lausitz. Für eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung gewinnt sie eher noch an Bedeutung."
Mängel im Planentwurf
Im vergangenen Jahr sind in einer ersten Erörterung Mängel im Planentwurf festgestellt worden, die eine Überarbeitung nötig machten. Greenpeace hat nun ein wasserwirtschaftliches Gutachten vorgestellt, das ein weiteres Mal schwerwiegende Mängel aufzeigt. Es bemängelt, dass der Antragsteller den Nachweis schuldig bleibt, dass der weitere Abbau keine größeren Schäden verursacht. Denn der Abfall beim Braunkohletagebau - auf einen Teil Kohle kommen nach Greenpeace-Angaben etwa sieben Teile Abraum - dieser Abfall hat es in sich: er enthält Schwefel und Eisen. Das rostet beim Kontakt mit Luft und wird wasserlöslich.
Das führt schon jetzt zu großen Problemen: die nach dem Ende des Tagebaus entstehenden Restlochseen sind sauer; und schlimmer noch: Vor dem touristischen Kleinod Spreewald sind die Fließgewässer schon jetzt ocker bis braun gefärbt. Als Gegenmaßnahme wäre eine Kalkung möglich, aber teuer. Uwe Grosser von Vattenfall:
"Sie wissen ja, wie das mit Studien und Gutachten ist: Es gibt so viele Gutachten pro und contra, und jede Studie muss natürlich auch bewertet werden. Wir bilden seit dem 1.4.1994, seit dem Tag, wo wir privatisiert worden sind, Rückstellungen. Und alles, was wir heute tun was unseren Bergbau betrifft, dafür stehen wir ein."
Greenpeace-Rechtsexperten sehen den ganzen Braunkohleplan weiter als rechtswidrig an. Sollte er als Verordnung des Landes verabschiedet werden, wollen sie vermutlich gerichtlich dagegen vorgehen. Anike Peters, Energieexpertin von Greenpeace:
"Unser Fazit aus diesem neuen Wassergutachten ist erstens: der geplante Tagebau Welzow Süd II wird die Probleme Verockerung und Versauerung weiter verschärfen. Zweitens: Technische Gegenmaßnahmen sind möglich, werden aber von der Planungsbehörde nicht vorgeschrieben. Und drittens: der Entwurf für den Braunkohleplan ist mangelhaft und widerspricht dem EU-Recht. Deshalb fordert Greenpeace die Landesregierung auf, den neuen Tagebau Welzow Süd somit nicht zu genehmigen!"
Noch einmal zurück nach Atterwasch. Dort veranstalten die Einwohner jedes Jahr zum Reformationstag ein Dorffest: "Für Heimat und Zukunft." Bauernbund, Vertreter verschiedener Parteien und Bürgerinitiativen treffen sich dort. Vernetzung ist wichtig, sagt Axel Kruschat, Landesgeschäftsführer des BUND:
"Also ich denke, der Tag hat eine große Bedeutung, schlicht und ergreifend, weil man mal deutlich macht, wie viele Leute eigentlich ein gemeinsames Interesse daran haben, dass diese Tagebaupolitik, so wie sie jetzt ist, beendet wird."
Glaube an die Vernunft des Menschen
Diesmal blickten sie deshalb über den Tellerrand der Lausitz hinaus und luden neben Gästen aus Nordrhein-Westfalen auch Sachsen ein. Dort droht der Braunkohle-Tagebau Nochten II. Der Schlossermeister Thilo Kraneis wohnt seit 31 Jahren im sächsischen Pödelwitz. Er hat mit seinen Freunden vereinbart, das Dorf unter keinen Umständen verlassen zu wollen, denn er weiß, was Verlust der Heimat heißt:
"Ich habe im Nachbarort gewohnt, der also vor 31 Jahren weggebaggert wurde, bin in einem anderen Nachbarort zur Schule gegangen, der inzwischen auch weggebaggert ist, meine Frau stammt aus Heuersdorf, ist vielleicht dem einen oder andern ein Begriff, durch die Umsiedlung von dieser Kirche, in dieser Kirche habe ich geheiratet, diesen Ort gibt's auch nicht mehr."
Die Dorfkirche in Atterwasch gibt es - noch. An den Bäumen davor hängt etwas trotzig ein Transparent, das auf das Jahr 2044 hinweist: dann würde der Ort 750 Jahre alt. Axel Kruschat:
"Ich glaube an die Vernunft der Menschen; und deswegen denke ich, dass Atterwasch diesen Geburtstag erleben wird."
Und wenn nicht oder danach doch die Bagger kommen? Monika Schulz-Höpfner:
"Ich befürchte mal, über so lange Zeiträume werden sich Entwicklungen vollziehen, die das überhaupt nicht mehr rechtfertigen. Und irgendwann wird man dann sagen: Wir brauchen euch gar nicht mehr. Und das wäre das Schlimmste, was den Dörfern passieren kann. Ich bin der Auffassung, man sollte die Dörfer nicht mehr antasten, weil es ist einfach Frevel an der Schöpfung."
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