Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

Keine Jury ist so hart wie Twitter

Die deutsche Autorin Nora Gomringer.
Nora Gomringer: Autoren sind eigentlich "relativ unsozial" © Johannes Puch/ORF/dpa
Nora Gomringer im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 30.06.2016
Das Wettlesen in Klagenfurt ist für die Autoren mit Sicherheit nicht einfach. Doch das Urteil der Jury sei längst nicht so hart wie das der sozialen Medien, meint die Lyrikerin und Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015, Nora Gomringer.
Die Lyrikerin und Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015, Nora Gomringer, hält das Urteil der sozialen Medien für viel härter als das der Jury in Klagenfurt.
Im Deutschlandradio Kultur sprach Gomringer von einer "unglaublichen Menge an Meldungen" in den sozialen Medien und "so viel Meinung" über einen "kurzen Auftritt". "Entweder hört man hin, oder man versucht wirklich bewusst, wegzuhören", sagte sie: "Aber es ist laut!"

Die Website des Siegers muss tipptopp sein

Auch ihre Kollegen sieht Gomringer kritisch. Sie halte Autoren "eigentlich für relativ unsozial". Und sei dann immer wieder erstaunt, "dass es manchmal doch zusammengeht". "Nicht immer hört man einander zu", sagte Gomringer.
Für den künftigen Gewinner hat die Lyrikerin ein paar Ratschläge. So dürfe im Verlag keiner "die nächsten drei Monate in den Urlaub gehen". Der Sieger müsse zudem dafür sorgen, dass seine Internetseite auf dem besten Stand sei. "Und er muss sehr gute Bilder von sich im Netz haben – sonst werden die grässlichsten von ihm die ganze Zeit weiter publiziert."
Gomringer sagte, die Stirn aufritzen müsse sich in Klagenfurt niemand mehr. Sie habe sich vor ihrem Auftritt auch überlegt, was das Tragischste sei, das sie auf der Bühne tun könne. Da sei ihr dann Penthesilea eingefallen und sie habe gedacht: "Nein, das mache ich nicht!" So habe sie das getan, was sie gut könne: "Einem Text eine Stimme geben."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es ist ein runder Geburtstag in Klagenfurt: Zum 40. Mal finden sie statt, die Tage der deutschsprachigen Literatur, der nach Ingeborg Bachmann benannte Wettbewerb. Gestern die große Eröffnung, am Sonntag dann der Abschluss mit der Verkündung des diesjährigen Preisträgers. Wir wollen uns in die Klagenfurter Welten begeben mit einer Frau, die sie kennengelernt hat als Teilnehmerin und als Preisträgerin, die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015 Nora Gomringer, Lyrikerin und Leiterin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Guten Morgen, Frau Gomringer!
Nora Gomringer: Hallo, guten Morgen!
Frenzel: Sie haben gestern auf Facebook Folgendes gepostet, Zitat: "Klagenfurt, Bachmann, los geht’s! Letztes Jahr um die Zeit Schweiß auf der Stirn, nicht wissen, was man da als Text im Gepäck hatte, Bombe oder Bombon, ewige Zugfahrt." – Ich höre mal auf mit dem Zitat, Frau Gomringer, eine lange Zugfahrt, die sich gelohnt hatte, oder?
Gomringer: Damals ja, ich war ganz überrascht, ja. Ich hatte aber wirklich keine Ahnung, ob das, was ich mit da im Gepäck hatte, ob das reichen würde, ob das gefallen würde oder was das auslösen würde.
Frenzel: Es hat ja offenbar gereicht, es hat was ausgelöst. Wenn Sie sich zurückdenken, was haben Sie erlebt, was macht diese Literaturtage so besonders?

"Ich bin ans Grab von Frau Bachmann gegangen"

Gomringer: Ich glaube, das ist für wirklich jeden Autor eine eigene Erfahrung. Ich habe gerade letztens mit Guy Helminger gesprochen, Guy Helminger fand es wunderbar, mit den Kolleginnen und Kollegen die Tage über auch einfach dann die Ruhe nach dem Sturm ausklingen zu lassen, nachts lange zu sitzen und zu trinken. Ich fand das alles furchtbar, ich bin überhaupt kein Mensch, der so viel Socializing dann vor allem nach der Arbeit – und ich habe es als ein Arbeitswochenende empfunden – da so genießt. Und für mich war das schwierig. Und es gibt auch so eine Art sozialen Druck, denn man geht ja erst zu den Lesungen, dann geht man schwimmen. Und das war alles irgendwie …
Frenzel: Das klingt aber eigentlich nicht schlecht!
Gomringer: Ja, wer das mag, so generell sich voreinander ausziehen, findet das super, aber ich entblöße mich wesentlich lieber auf der Bühne so quasi als dann so mit den anderen. Ich fand das ganz seltsam. Aber ich habe dann auch versucht, Dinge zu tun, die normale Klagenfurter tun würden. Ich bin ans Grab von Frau Bachmann gegangen, ich bin ins Kino gegangen, ich wollte Menschen in Klagenfurt sehen und erleben. Und ich bin sehr froh, ich bin im Nachhinein noch mal eingeladen worden nach Klagenfurt und mir ist jetzt die Poetik-Dozentur angetragen worden von dort und ich werde immer wieder mal dort hingehen, um diese Verbindung aufzubauen.
Ich meine, dieser Betrieb, in dem wir uns befinden, der Literaturbetrieb war bisher sehr gut zu mir, selbst die ganze Häme und Schelte nach dem Bachmann-Preis, die ja zum Glück auch von großem Lob ein bisschen überdeckt wurde, das alles hat das nicht so angreifen können, aber mich ein bisschen.
Frenzel: Das hat gestern bei der Eröffnungsrede Burkhard Spinnen aufgenommen, diesen Mythos, Klagenfurt würde Autoren vernichten. Und er hat das dann umgedreht, er hat gesagt: Das ist nicht Klagenfurt, das ist das Feuilleton, das das danach macht. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Gomringer: Das Feuilleton und natürlich die unglaubliche Menge an Meldungen in den sozialen Medien. Also, es waren über 1800 Meldungen und handschriftlich geschrieben habe ich auch irre viele Briefe bekommen. Es passiert dann so viel Meinung über diesen kurz gesehenen Auftritt und diese Meinung wird also von allen kundgetan, das ist schon erstaunlich, ja.
Frenzel: Ja, Sie haben dieses schöne Bild gerade gebracht, voreinander ausziehen dann, um baden zu gehen, aber eben auch auf der Bühne, wo Sie sagen, das macht Ihnen nicht so viel aus. Das ist halt auch schon Klagenfurt, dass man sich wirklich, ja, also performance-artig sehr gut präsentieren muss?
Gomringer: Ja, man geht ja nicht ins Fernsehen, um ungesehen zu bleiben. Also, man muss sich schon bewusst machen, dass man sich da hinsetzt und … Das viel härtere Urteil fällt nicht durch die Jury, sondern eben wirklich durch die sozialen Medien und durch alle Stimmen, dieses Buzzing of Voices, das sich daran anschließt. Und entweder hört man hin oder man versucht, wirklich bewusst wegzuhören. Aber es ist laut.
Frenzel: Aber das bedeutet ja auch, dass die Performance schon über den Erfolg der Literatur ganz massiv mitentscheidet?

"Zeigen, wie die eigene Geschichte im Mund liegt"

Gomringer: In dem Fall ja, es ist ein Fernsehformat. Klar, man muss das schon irgendwie ein bisschen … Man muss vor allem also sich zeigen, was man kann und wie die eigene Geschichte im Mund liegt. Und …
Frenzel: Man muss sich nicht mehr unbedingt die Stirn aufritzen.
Gomringer: Nein, das … Ich habe auch überlegt, was wäre denn das Tragischste, was ich tun könnte, und dann habe ich an Penthesilea gedacht und habe gedacht, nein, das mache ich nicht. Ich habe immer das getan, was ich vermeine, gut zu können: Einem Text eine Stimme geben, und mehrere dazu, ja.
Frenzel: Aber Klagenfurt ist dann also wirklich eine Präsentationsplattform in erster Linie, oder würden Sie sagen, der Austausch mit anderen führt auch dazu, dass man sich literarisch weiterentwickelt, daraus was mitnehmen kann?
Gomringer: Ich habe insofern was mitgenommen, dass ich beobachten konnte, wie sich Kolleginnen und Kollegen in diesem Umfeld verhalten. Textlich habe ich nur zwischendrin gedacht, ach ja, okay, also, wenn so viel geht, dann darf ich vielleicht auch irgendwann über die Idee eines Romans nachdenken. Aber bisher gibt es nicht so viele Geschichten, von denen ich meine, sie müssten mit längerem Atem erzählt werden. Und schon gar nicht mit meinem längeren Atem. Also, der Austausch unter den Autoren …, ich halte Autoren eigentlich für relativ unsozial und bin dann eigentlich immer wieder erstaunt, dass es manchmal doch zusammengeht. Nicht immer hört man einander zu. Also, viele von den Autoren – was auch völlig verständlich ist, weil alle so angespannt sind – gehen auch bewusst nicht zu den Lesungen der anderen und ertragen das nicht. So ist eher die Stimmung, dass man eben vier Tage da so aufeinanderhockt und denkt: Hoffentlich ist es bald vorbei!
Frenzel: Haben Sie eine Ahnung, eine Empfehlung für den diesjährigen Preisträger?
Gomringer: Er hätte sich vorbereiten müssen, insofern … Ich habe meine großen Feenberatungssprüche bereits auch schon gepostet, eine lange Liste von Ratschlägen, die ich dem zukünftigen Gewinner gebe. Diese Präparationen hätten im Vorfeld laufen müssen, und zwar, der Verlag muss sich wappnen. Kein Mensch darf da in den Urlaub gehen die nächsten drei Monate ab dem Moment des Siegeszeitpunktes. Dann hätte der jeweilige Sieger auch auf jeden Fall ganz klar vor Augen haben müssen, dass seine Webpage auf dem besten Stand ist. Und er muss sehr gute Bilder von sich im Netz haben, weil, sonst werden die grässlichsten von ihm die ganze Zeit weiter publiziert!
Frenzel: Frau Gomringer, Sie haben auf jeden Fall eine sehr wunderbare Website.
Gomringer: Vielen Dank!
Frenzel: Für mich ist jetzt die Frage: Haben Sie das erst danach gemacht oder waren Sie vorbereitet?
Gomringer: Nein, ich habe die ja schon seit Jahren, davon lebe ich!
Frenzel: Alles klar. Nora Gomringer, die Preisträgerin des Bachmann-Preises 2015 über den diesjährigen Bachmann-Wettbewerb. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit!
Gomringer: Sehr gern, machen Sie es gut, Herr Frenzel, tschüss!
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