Täuschend ähnlich

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 13.04.2005
Kaum zu glauben, dass Jan Vermeer van Delft, dessen Bilder heute zu den Ikonen der Kunstgeschichte zählen, 200 Jahre lang völlig in Vergessenheit geraten war. Noch weniger ist zu glauben, dass mit seiner Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Wert seines Werkes ins Unermessliche zu steigen begann, Fälschungen auf den Markt kamen, denen die gesamte Kunstwelt auf den Leim ging.
Die Geschichte, die der italienische Autor Luigi Guranieri nacherzählt, ist eine Räuberpistole von besonderem Zuschnitt, unglaublich und phantastisch, aber wahr. Urheber dieses grandiosen Täuschungsmanövers ist der holländische Maler Han van Meegeren, der in der Epoche von Picasso und Matisse beharrlich im Stil des 17. Jahrhunderts malt und dafür von der Kritik beißenden Spott erntet.

Aus Trotz, Rache und natürlich auch aus Geldgier beschließt er, seine Gegner bloßzustellen und widmet sich in einem vierjährigen Trainingsprogramm dem Studium seines Lieblingsmalers Vermeer, um ihn täuschend ähnlich neu zu erfinden. Der Coup gelingt. Nach und nach kommen sechs Bilder auf den Markt, unbekannte biblische Darstellungen, die Museumsleute, Kritiker und Wissenschaftler ohne Frage als bislang unbekannte Hauptwerke des Jan Vermeer van Delft identifizieren.

Vielleicht wäre dieser Coup für immer unentdeckt geblieben, wenn sich nicht das Gemälde "Christus und die Ehebrecherin" nach dem Krieg als Prunkstück in Hermann Görings Privatsammlung wiedergefunden und die Hüter des nationalen Erbes der Niederlande auf den Plan gerufen hätte.

Spannend wie einen Kriminalroman erzählt Luigi Guarnieri mit diesem Fall, der die Kunstwelt erschüttert hat, die Atem raubende Fälschergeschichte. Der italienische Autor, der kürzlich mit einem Buch über Cesare Lambroso hervorgetreten ist, einen Anthropologen und Begründer des weltweit ersten Kriminalmuseums, breitet seine skurrile Geschichte kompetent und phantasievoll fabulierend aus. Aufgrund seiner detaillierten Fachkenntnis gelingt es ihm auch, die Malweise der Alten Meister zu beleuchten, so dass ihre Raffinesse und technischen Feinheiten ganz nebenbei einem Publikum nahe gebracht werden, das in der bildenden Kunst nicht über Vorwissen verfügt.

Anhand genau recherchierter Tatsachen legt Guarnieri mit dem abgründigen Porträt eines glücklosen Künstlers eine süffisante Studie über den abendländischen Geniegedanken vor - und ganz nebenbei eine höchst amüsant zu lesende Satire auf den Kunstbetrieb, der sich so gerne täuschen lässt, wenn dabei nur die Gesetze des Marktes und der Eitelkeiten befriedigt werden.

Luigi Guarnieri, "Das Doppelleben des Vermeer", aus dem Italienischen von Maja Pflug. Antje-Kunstmann-Verlag 2005, 224 Seiten, 18,90 Euro.