Tacita Dean im Kunsthaus Bregenz

Wenn Filme erblinden

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Neben den für Tacita Dean typischen Kreidezeichnungen gibt es in Bregenz auch Filme der britischen Künstlerin zu sehen © Tacita Dean, Fredrik Nilsen Studio
Von Johannes Halder · 20.10.2018
Tacita Dean ist bekannt für ihre experimentellen Filme, die sich nicht zuletzt auch mit den Vorzügen des Zelluloids gegenüber der Videotechnik beschäftigen. Das Kunsthaus Bregenz zeigt neben zwei riesigen Kreidezeichnungen drei ihrer großen Filmprojekte.
In den Bergen, ganz oben zwischen Himmel und Erde, geschehen manchmal Wunder. Es war im Winter 1689, als im Montafon, im Süden Vorarlbergs, eine verheerende Schneelawine ins Tal donnerte und hunderte von Menschen und Tieren in den Tod riss. Eine zweite Lawine begrub den Priester, der die Toten segnete, doch ein dritter Abgang legte ihn wieder frei.
Tacita Dean hat sich, angeregt von einem historischen Bericht der Katastrophe, zu einer riesigen Kreidezeichnung inspirieren lassen. Sie hängt im Erdgeschoss des Bregenzer Kunsthauses, fast 30 Quadratmeter groß. Auf schwarzem Grund stürzen aus einem mächtigen Bergmassiv gewaltige Schneemassen herab, die weißen Staubwolken bieten ein atemberaubendes Schauspiel. Schräg gegenüber hängt ein ähnliches Bild einer abbrechenden Kreideklippe.

Die Katastrophe als Allegorie

Wer Tacita Dean kennt, den wundert nicht, dass sie mit den beiden Naturkatastrophen auch eine politische Botschaft verknüpft. "Mir gefiel der allegorische Aspekt. Ich dachte dabei an das, was momentan in der globalen Politik passiert, speziell in Großbritannien mit dem Brexit, und natürlich mit den USA. Ich hoffe nur, dass eine dritte Lawine uns aus der aktuellen Lage wieder herausholt. Denn ehrlich: wir stecken ziemlich tief im Dreck", erläutert die Künstlerin.
Freilich, dem Betrachter teilt sich diese Lesart der Bilder nicht mit, sie sind ganz einfach spektakulär. In den drei Obergeschossen des Kunsthauses wird jeweils ein Film gezeigt. "Antigone", gerade mit erheblichem Aufwand fertiggestellt, dauert exakt eine Stunde. Die Handlung ist schwer durchschaubar und vielfach verwoben, es ist eine Suche nach dem Verlorenen, und das Hauptmotiv ist Blindheit. Antigone führt ihren blinden Vater Ödipus durch die Wildnis, es geht um Zeit, Vergehen und Mythos, um wechselnde Orte, Landschaft, Licht und Himmel, um Wetter, Wind und Wolken, auch um eine Sonnenfinsternis, die betörend schöne Bilder auf die Filmstreifen brennt.

Wenn der Film erblindet, ist die Künstlerin in ihrem Element

Tacita Dean hat dafür ein spezielles Verfahren entwickelt, um die einzelnen Filmkader nur teilweise oder mehrfach zu belichten. Die simultane Projektion von zwei 35-mm-Streifen auf parallelen Leinwänden mutet den Augen einiges zu. Und wenn der Film, von der Sonne belichtet, regelrecht erblindet, ist die Künstlerin in ihrem Element.
"Film wird mit Chemie gemacht, mit Licht und einer Linse. Jeder einzelne Filmkader hat eine andere reaktionsfähige Struktur. Darin liegt eine ungeheure Schönheit. So eine Emulsion besteht aus, was weiß ich, 17 oder 23 Schichten. Also, das hat Tiefe! Ich hätte "Antigone" niemals als Video machen können mit den Mehrfachbelichtungen innerhalb der einzelnen Filmkader, die so etwas wie eine Blindheit hervorrufen" sagt Dean.

Merce Cunningham tanzt den John Cage

Anrührend ist das filmische Porträt des amerikanischen Tänzers Merce Cunningham, aufgenommen 2008, ein Jahr vor seinem Tod. Der greise Tänzer sitzt bewegungslos auf einem Stuhl und mimt die drei Sätze der legendären Komposition seines Lebensgefährten John Cage: 4 Minuten 33 Sekunden absolute Stille. Auf sechs im Raum verteilten Projektionswänden sieht man unterschiedliche Perspektiven, man geht durch einen Wald von Bildern – sehr poetisch: Musik ohne Ton, Tanz ohne Bewegung.
Und schließlich "Film", so heißt ganz schlicht der Film, der im Obergeschoss gezeigt wird und den Tacita Dean vor sieben Jahren für die gigantische Turbinenhalle der Tate Modern in London entwickelt hatte – just zu einer Zeit, als in London das letzte Labor für 16-mm-Filme schloss. Der Film ist so etwas wie ein Manifest zur Rettung des analogen Films.
Dean hat die Linse vom Breit- ins Hochformat gedreht, und die Tatsache, dass die beidseitigen Perforationen des Filmstreifens sichtbarer Teil der Projektion sind, lässt die Installation wie ein stummes Selbstporträt des filmischen Mediums wirken. Mit frühen Filmtechniken, Abdeckmasken, handgefertigten Kolorierungen und anderen Manipulationen spürt sie der fotochemischen Materialität des Mediums nach. Die Bilder flackern, die Farben glimmen – eine Art Mixtape des Mediums von gut zehn Minuten Dauer.

Wenn alles offen liegt, ist das nicht immer gut

Der filmische Prozess steckt voller Überraschungen. Denn erst, wenn das belichtete Material aus dem Labor kommt, weiß Tacita Dean, was daraus geworden ist.
"Mit dem Film passieren manchmal Dinge, die ich so gar nicht beabsichtigt habe. Darin liegt ein Zauber, so schafft man Poesie. Bei der Digitaltechnik dagegen liegt alles offen, und das ist nicht immer gut. Manchmal ist es besser, wenn man den Dingen freien Lauf lässt, besonders in der Kunst", so Tacita Dean.

Tacita Dean - KUB 2018.04
Kunsthaus Bregenz
20.10.2018 - 06.01.2019

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