Tabak, Kaffee und der Traum vom Aufstieg

Von Bettina Klein · 11.04.2011
Mehr als eineinhalb Millionen Exilkubaner leben in den USA. Eine ganze Reihe von ihnen hat es zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Jeder zweite lebt im Großraum Miami, nicht zuletzt wegen der Nähe zur Heimat, denn viele Kubaner sorgen sich um ihre Familien.
Calle Ocho, die 8. Straße in Little Havana. Noch immer d i e kubanische Vorzeigegegend für Touristen in Miami. Die Busse halten am Cafe Versailles, am Dominopark, an einer der Zigarrenmanufakturen. Kubanische Musik dringt aus den Läden.

Die Werbeschilder sind auf Spanisch geschrieben. Es ist keine wirklich feine Gegend. Nur ein paar Steinwürfe entfernt von den Wolkenkratzern in Downtown und den glitzernden Bankentürmen von Brickell dominieren die kleinen, oft nur zweistöckigen Häuser in Orange oder Pastell. Unter den Fenstern die unvermeidlichen Kästen mit der Klimaanlage. Ein kräftiger Hauch Lateinamerika weht durch die Straßen. Pepe Menendez, selbst kubanischer Flüchtling, führt im Auftrag des Historischen Museums Besucher durch Little Havanna.

"Das hier ist eine typisch kubanische ‚Botanica’. Von denen gab es früher viele in Kuba. Sie verkaufen Utensilien für die Santeria. Das ist so eine typisch kubanische Art Voodoo-Religion, gemischt mit Katholizismus."

Sklaven aus Afrika brachten im 18. und 19. Jahrhundert ihre Götter mit nach Kuba. Die Vermischung mit katholischen Ritualen half ihnen, ihre Religion dort weiter auszuüben. Die Santeria ist auch heute noch bei Kubanern in Miami beliebt.

Die Kunden gehen im Laden ein und aus. Auf den Regalen stehen Heiligenfiguren, und es gibt Obst für Opfergaben. Außerdem kleine Fläschchen mit Kräuter-Flüssigkeiten, die im Wesentlichen wie eine Art Parfum verwendet werden.

"Jede erfüllt einen bestimmten Zweck. Manche einen guten, manche einen weniger guten, zum Beispiel den, jemandem Schaden zuzufügen. Aber meistens geht es darum, dass Dich jemanden lieben soll, oder dass dein Partner dich nicht verlässt, dass du zu Geld kommst oder Macht über jemanden hast."

Verwenden die Kubaner das vielleicht auch, um Castro loszuwerden?

"Ja, auf jeden Fall, das machen sie! Manche Leute sagen, sogar Castro selbst benutzt das, um sich schützen. Aber das ist nie offiziell bestätigt worden. Doch hier in Miami, ja, sie nehmen das auch um Castro aus der Regierung weg zu bekommen."

Little Havanna ist Folklore. Es ist Klischee. Aber wie in jedem Klischee findet sich auch hier eine Portion Wahrheit. Die meisten Geschäfte und Restaurants sind nach wie vor im Besitz von Exilkubanern. Viele von ihnen treffen sich hier mit Familie und Freunden zum Essen. Andere gehen in den Dominopark, was weniger ein Park ist - eher ein Platz mit Tischen und Zelten, wo traditionell ältere kubanische Männer zusammenkommen, um Domino oder Schach zu spielen. Sie wirken verschlossen. Und das fällt auf in Amerika, wo die Menschen es gemeinhin lieben, ihre Geschichte zu erzählen und ihre persönliche Meinung kundzutun. Sie sind es einfach leid, immer und immer wieder den Amerikanern zu erklären, weshalb sie hier sind. So beschreibt es Pepe Menendez.

"Die denken die Kubaner kommen aus wirtschaftlichen Gründen. Aber das ist es nicht. Sie kommen nicht wegen fehlender Nahrungsmittel, sondern wegen des Mangels an Freiheit. Wenn man immer in der Freiheit gelebt hat, kann man das einfach nicht verstehen."

Ein paar Schritte weiter führt Angel Hernandez einen Obst- und Gemüsemarkt an der Calle Ocho. Auch hier eine Gruppe älterer kubanischer Männer, die sich bei ihm auf einen kubanischen Cafe treffen. Angel Hernandez ist 45 Jahre alt - er lebt seit 44 Jahren in den USA. Auch ihm ist eine gewisse Frustration anzumerken.

"Nichts hat sich getan. Seit Jahrzehnten erzählen wir dieselben Geschichten. Es bedarf keiner weiteren Worte mehr. Es ist wirklich sehr traurig. Wir sind eines der mächtigsten Länder der Welt und 9o Meilen entfernt herrscht seit Jahrzehnten der Kommunismus."

Kurz nach der Castro-Revolution 1959 haben die meisten kubanischen Flüchtlinge in diesem Gegend neu angefangen. Aus einem einstmals jüdischen Viertel in Miami wurde Anfang der sechziger Jahre "Little Havanna". Heute handelt es sich bei den Exilkubanern nicht mehr um eine kleine Minderheit, die sich auf einen Stadtteil beschränkt. Mit mehr als 800.000 Einwohnern stellen die Kubaner rund ein Drittel der Bevölkerung im Großraum Miami. Es gibt sie alle: Den Familienvater und den schwulen Anwalt, die erfolgreiche Sängerin und die Putzfrau, die hier "cleaning lady" heißt, und vielleicht nur diese beiden Worte Englisch spricht. Sie regieren diese Stadt und sie prägen viele Bereiche des öffentlichen Lebens. Der Historiker Paul George vom Miami Dade College:

"Der Bürgermeister von Miami, die Polizeichefs, College-Präsidenten, Bankdirektoren, Vorsitzende von Bürgergruppen, Behördenleiter, sie alle stammen aus kubanischen Familien. Wir haben noch niemals eine Einwanderergruppe in den USA erlebt, die so schnell vorwärts gekommen ist."

Eine Einwanderergruppe, die über viele Jahre hinweg besondere staatliche Unterstützung genossen hat. Bis heute sind Kubaner privilegiert, wenn sie in die USA kommen. Schon nach einem Jahr erhalten sie die Möglichkeit, US-Staatsbürger zu werden. Davon können andere nur träumen. Dabei hatten viele von ihnen ursprünglich gehofft, bald wieder nach Kuba zurück gehen zu können. Sie hielten die Ära Castro für eine kurze historische Episode.

Wie Pablo Canto und seine Familie. Pablo sitzt in seinem vollgestopften Büro in einem dieser orangefarben gestrichenen Häuser von "Little Havanna" und erzählt seine Geschichte. Er kam als Junge Anfang der sechziger Jahre hierher.

"Wir haben gedacht, wir bleiben ein paar Monate. Wir haben uns nie vorgestellt, dass wir so lange hier sein würden! Jedes Jahr sagten meine Eltern: ‚Oh, nein, nächstes Jahr, Du wirst schon sehen, dann wird alles besser sein, und wir gehen wieder zurück.’ Hey, wir sind niemals zurückgegangen...!"

Er würde noch heute gern nach Kuba zurückkehren. Dorthin, wo seine Wurzeln sind, wo er zur Schule gegangen ist. Und er wird das auch eines Tages tun. Wenn sich die Dinge in Kuba verändert haben. Aber nur noch als Tourist, sagt er.

"Kuba - ja. Ich bin in Kuba geboren. Aber das hier, das ist mein Land! Meine Kinder wurden hier geboren, ich habe für dieses Land gekämpft. Die amerikanische Flagge, das ist meine. Und ich bin stolz darauf, zu sagen, ich bin Amerikaner. Kubanischstämmiger Amerikaner - aber Amerikaner!"

Pablo Canto leitet heute das Nachbarschafts-Verstärkungsteam in "Little Havanna" Eine Einrichtung der Stadt, die sich hier, wie auch in anderen Vierteln Miamis, um mehr Sicherheit und ein besseres Zusammenleben kümmert. "Little Havanna" ist in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr zu einer Durchgangsstation geworden, mit der sich nicht mehr alle identifizieren. Das ist aus Sicht von Pablo Canto das eigentliche Problem.

"Die Leute kippen zum Beispiel einfach den Müll auf die Straße. Wenn er vor ihrem Appartementgebäude liegt, sagen sie sich: Ich bin ja in ein paar Wochen sowieso wieder weg. Was kümmert es mich. Mich macht es wütend, wie viele andere auch, dass die Leute sich nicht an die Regeln halten!"

Little Havana ist eine erste Station für Einwanderer in Miami geblieben. Aber heute kommen sie nicht mehr überwiegend aus Kuba, sondern aus ganz Lateinamerika. Aus Venezuela und Honduras, aus Kolumbien und Puerto Rico. Auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch bis heute gilt für viele: Wer es zu einem bisschen Geld gebracht hat, zieht fort in eine wohlhabendere Gegend. In benachbarte Stadtteile und Städte im Großraum Miami, wie Westchester und Kendell, South Miami - oder Coral Gables.

"Als ich zur Schule ging, habe ich meinem Freund beim Zeitungsaustragen in Coral Gables geholfen. Das war seine Art, die Familie zu unterstützen."

Manuel Cabrera ist wie Pablo Canto um die 60 Jahre alt. Er ist Arzt, Orthopäde. Auch er kam als Kind Anfang der sechziger Jahre mit seiner Familie hierher. Auch er wuchs in Little Havanna auf.

"Wir sind damals nachts oder am frühen Morgen durch diese Straßen gefahren. Ich habe diese Stille genossen, diese Schönheit. Und ich habe mir gesagt, eines Tages willst Du auch mal in Coral Gables leben."

Es ist der typische Traum eines Exilkubaners dieser Generation. Der Aufstieg von Little Havanna in eine bessere Wohngegend. Coral Gables ist eine Stadt im Großraum Miami mit traumhaften, palmengesäumten Alleen, die durch tropische Gärten führen. Elegante Villen. Ruhe.

Das legendäre Biltmore-Hotel von 1926 ragt wie ein Schloss weithin sichtbar als Wahrzeichen in den Himmel über Coral Gables. Wer hier lebt, muss es sich leisten können. Es gibt das Venetianische und das Spanische, das Normannische und das Schweizerische Viertel. Mit entsprechenden Straßennamen und Gebäuden im entsprechenden Stil. Den man nicht einfach so verändern darf.

"Sie können hier Ihr Haus nicht einfach lila streichen, und dann ist es lila. Nein. Die Leute von der Stadtverwaltung werden kommen und dafür sorgen, dass es die zur Umgebung passende Farbe erhält, weil das den Wert der ganzen Gegend erhält.."

Manuels Haus, nur wenige Straßenzüge vom Biltmore Hotel entfernt, wirkt von außen vergleichsweise schlicht. Doch innen hat er es aufwendig renovieren lassen. In der Badewanne aus Granit finden mindestens zwei Personen Platz. Die gesamte Wasseranlage ist elektronisch gesteuert. Alle Familiemitglieder können automatisch Wärme und Wasserdruck einstellen und elektronisch abspeichern. Draußen wartet der Swimmingpool, in den sich die Bewohner von der überdachten Terrasse bei der oft übergroßen Hitze flüchten können.

"Das ist mein Lieblingsplatz, der Garten hinter dem Haus und die Terrasse. Ein wunderbarer ruhiger Ort, wo man in der Hängematte den Stress des Alltags abschütteln kann. Aber auch ein toller Platz für Partys oder für den Lunch. Man kann hier nass am Tisch sitzen und gleich wieder in den Swimmingpool springen."

Manuel Cabrera hat es geschafft, wie viele Kubaner in Miami. Obwohl er das so nicht ausdrücken würde. Er besitzt eine unaufdringliche, freundliche und selbstverständliche Art, den eigenen Wohlstand zu zeigen und zu genießen.

"Ich bin Vertreter der alten Exil-Generation, aber mit progressiven Ideen. Mit meinen politischen Vorstellungen liege ich eher in der Mitte. Ich glaube nicht, dass wir Castro in irgendeiner Form helfen sollten. Ich bin nicht ein einziges Mal seit unserer Flucht in Kuba gewesen, weil ich denen keinen Cent meines Geldes geben möchte. Mit dem Kommunismus habe ich absolut nichts am Hut. Ganz gleich, wo in der Welt. Aber ich tendiere dennoch nicht so weit nach rechts, dass ich nicht mehr wüsste was richtig ist."

Politisch gesehen ist Manuel Cabrera kein typischer Vertreter seiner Generation. Beispiel: das Embargo gegen Kuba. Einer der zentralen Streitpunkte innerhalb der kubanischen Gemeinde. Viele Ältere wollen aus politischen Gründen daran festhalten. Er sieht es anders.

" Ich glaube an das, was John Lennon gesagt hat: Wie beenden wir den Kommnunismus? Mit Coca Cola, Blue Jeans und Rock’n Roll! Wenn wir uns öffnen und die Leute in Kuba sehen, was da draußen los ist, und was alles sie nicht haben können - das wird sie mehr alles andere zum Handeln bringen!"

Was sie denken, wie sie fühlen, welche politischen Einstellungen sie hegen – das hängt bei den Exilkubanern oft vom Zeitpunkt und von den Umständen ihrer Einwanderung ab. Wissenschaftler unterscheiden vor allem drei große Flüchtlingswellen. Diejenige kurz nach der Revolution. Die zweite Anfang der Achtziger Jahre, als mehr als 100.000 Kubaner im Zuge des "Mariel Boat-Lift" ihre Heimat von der Hafenstadt Mariel aus verließen. Und drittens die Flüchtlingswellen der vergangenen 15 Jahre , bei denen die Menschen aufgrund von Vereinbarungen zwischen den USA und Kuba einreisen dürfen. Jaime Suchlicki, Direktor des Instituts für Kuba-Amerika-Studien an der Universität Miami.

"Die Kubaner, die früher gekommen sind und noch direkt von der Revolution beeinflusst wurden, dass sind die Konservativeren. Die, die jetzt kommen, sind weniger an Politik interessiert, sonder eher daran, ihre Familien aus Kuba herauszuholen. Sie wollen in erster Linie ihren Familien helfen."

Daniel gehört zur jüngeren Generation. Er kam 1999 nach Miami. Uns war klar, dass es auf Kuba ein Problem mit der Freiheit, sagt er.

"Aber wir haben begriffen, dass wir hier auch Probleme bewältigen müssen. Wir mußten Arbeit finden, um die Familie zu unterstützen. Und Teil der Gesellschaft hier werden. Ein paar Jahre geraten die Sorgen in Kuba in den Hintergrund. Aber irgendwann erinnert man sich wieder daran und versucht, etwas zu tun. So kam ich zu Ojec’."

Ojec ist eine der kleineren Organisationen jüngerer Exilkubaner in Miami. Sie versteht sich als überparteiliche Bürgerbewegung, die versucht Gleichaltrige für ihre politische Arbeit in den USA zu gewinnen und gleichzeitig auch die Jugend in Kuba zu erreichen.

Die Jugend auf Kuba. Sie wird immer wieder von der Exilgemeinde genannt bei der Frage nach Hoffnung auf Veränderung. Der Dokumentarfilmregisseur Carlos Montaner durfte unlängst in Kuba drehen und hat von dort sein Werk "Grandchildren of the Cuban Revolution" mitgebracht. Es zeigt Interviews mit Jugendlichen, teils im Schutz der Nacht geführt. Junge Leute zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Dagegen geschnitten: Castro-Reden und Aufmärsche in Havanna. Manches erinnert an die Agonie in der DDR Ende der Achtziger Jahre. Wir müssen die Jugend dort ermutigen – das ist seine Botschaft.

"Nach mehr als fünf Jahrzehnten, in denen eine einzige Generation Kuba geführt hat ist es an der Zeit, dass die jüngere Generation übernimmt. Wir können uns nicht länger auf die gleichen Leute verlassen, die 1959 die Macht übernommen haben. Sie haben bewiesen, dass sie nicht zu Reformen fähig sind. Sie müssen den jungen Leute eine Chance auf Veränderung geben."
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