Ta-Nehisi Coates: "Zwischen mir und der Welt"

Hineingeworfen in eine Rasse

In der US-Kleinstadt Ferguson nimmt die die Polizei einen schwarzen Demonstranten fest.
In der US-Kleinstadt Ferguson nimmt die die Polizei einen schwarzen Demonstranten fest. © AFP / Michael B. Thomas
Von Eva Hepper · 01.02.2016
Nobelpreisträgerin Toni Morrison hat das jüngste Buch von Ta-Nehisi Coates als "Pflichtlektüre" bezeichnet. Am Montag erscheint "Zwischen mir und der Welt" auf Deutsch - eine bestechende Analyse des US-Rassismus.
Trayvon Martin, Michael Brown, Sandra Bland – die Liste ließe sich um viele Namen fortsetzen – starben durch US-amerikanische Polizeigewalt. Ihr Vergehen: Sie hatten nicht geblinkt beim Abbiegen, sie verhielten sich "verdächtig" oder trugen Kapuzenpullis. Ihre Gemeinsamkeit: Sie waren schwarz. Dass die amerikanische Polizei immer wieder Schwarze erschießt, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist, so schreibt Ta-Nehisi Coates, "normal für Schwarze. Ein alter Hut." Denn rassistische Gewalt sei der amerikanischen Gesellschaft eingeschrieben und gehöre zur Identität der Nation.
Mit diesen Thesen hat der 1975 in Baltimore geborene schwarze Journalist und Buchautor für Aufsehen gesorgt. Er formulierte sie 2014 in einem Zeitungsartikel, in dem er Reparationszahlungen für die Sklaverei forderte. Und er spitzte sie 2015 noch weiter zu in einem als Brief an seinen 15-jährigen Sohn gehaltenen Essay.
Coates verwebt sein Leben mit der Geschichte des Landes
Nun liegt "Zwischen mir und der Welt" auf Deutsch vor. Darin verwebt Ta-Nehesi Coates seine Vita mit der Geschichte des Landes. Sehr eindrücklich beschreibt er seine Kindheit in der von Perspektivlosigkeit und Gewalt geprägten Ghettowelt Baltimores. Das geruhsame Leben der "Menschen, die sich für weiß halten", wie Coates, eine Formulierung James Baldwins zitierend, durchgängig schreibt, habe für ihn nur im TV und in unerreichbarer Ferne existiert.
Wie ein Rettungsanker erscheint ihm später die Washingtoner Howard Universität, eine afroamerikanische Privatschule. Hier stürzt sich der junge Erwachsene auf positive schwarze Vorbilder aus Politik und Kultur. Bis er erkennt: Der weißen Geschichtsschreibung eine schwarze entgegenzusetzen, ist keine Lösung. Es sei eine gemeinsame Geschichte, die allerdings durch Verdrängung beherrscht werde.
"Zwischen mir und der Welt" beschreibt die USA als strukturell rassistisch
Der Autor beschreibt die US-amerikanische Gesellschaft 150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei als strukturell rassistisch. Die Nation glaube fest an die Existenz von Rassen, und Menschen, die "sich für weiß halten", scheuten nichts mehr als zu erkennen, dass ihr Reichtum auf der Ausbeutung schwarzer Körper beruhe. Ta-Nehisi Coates' Argumente wiegen schwer, denn er untermauert sie mit Zahlen und Fakten von der Segregation der Städte bis hin zur Benachteiligung Schwarzer etwa beim Vermögensaufbau. Dass diese Ausgrenzung vom Autor nicht nur referiert, sondern buchstäblich am eigenen Leib erfahren wird, macht die Dringlichkeit dieses Buches aus: Selten lässt sich von solchen Eindrücken in solcher Deutlichkeit lesen!
Die "Lebensfrage", wie man in den USA in einem "schwarzen Körper leben soll", wird sich, so Coates, auch den folgenden Generationen stellen. "Du bist in eine Rasse hineingeworfen worden", warnt der mittlerweile in New York lebende Autor seinen Sohn, "die den Wind immer von vorn ins Gesicht kriegt und die Hunde immer an den Fersen hat. Das gilt zwar mehr oder weniger für jedes Leben. Der Unterschied ist, dass du nicht das Privileg genießt, diese Lebenswahrheit ignorieren zu können."
Wie ein Hammer fahren solche Sätze hernieder. Sie machen die Wucht und die Schärfe dieses Buches aus und bezeugen auch die Wut seines Autors. Ta-Nehisi Coates macht sich keine Illusionen und keine Hoffnungen in seiner brillanten Analyse der amerikanischen Gesellschaft.

Ta-Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt
Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow
Hanser Verlag, München/Wien 2016
240 Seiten, 19,90 Euro

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