T wie Tagebuch

    Von Jürgen Liebing · 13.05.2013
    14 Jahre, bis zu Richards Tod, führte Cosima Wagner Tagebuch. 21 Bände und fast 5000 Seiten machen es zu einem der interessantesten Tagebücher überhaupt.
    "Dieses Buch gehört meinen Kindern./Tribschen bei Luzern 1869./Siegfried ganz besonders von Mama zugeeignet."

    Diese Widmung steht am Beginn eines der wohl interessantesten Tagebücher der Kulturgeschichte, beginnend am 1. Januar 1869, endend am 12. Februar 1883, einen Tag vor dem Tod Richard Wagners.

    Verfasst hat dieses Dokument Cosima Wagner, die treue Gattin. Was Eckermann für Goethe, war Cosima für Richard.

    Aber Siegfried, der extra genannt wird, der sehnlichst erwünschte Stammhalter, der am 6. Juni 1869 geboren wird, hat diese Bücher wohl nie zu Gesicht bekommen.

    Cosima hat sie letztlich der Tochter Eva vermacht aus nie ganz geklärten Gründen. Die wiederum hatte festgelegt, dass diese Tagebücher erst 30 Jahre nach ihrem Tod geöffnet werden dürften. Nach einem Rechtsstreit mit dem Testamentsvollstrecker war es dann 1974 endlich so weit, dass dieses Dokument der Öffentlichkeit zugänglich wurde.

    "Des Nachts kamen mir wehmütige Gedanken über die Liebe; wenn der geschlechtliche Affekt nicht hineinspielt, ist sie wohl höherer Art. Doch kann ich mir nicht denken, dass eine Liebe tiefer, treuer, reiner sein kann als die meinige zu Richard."

    Das notiert Cosima am 22. März 1869. Am 26. September 1882 kann man lesen:

    "R. hatte eine sehr schlechte Nacht! ‚Warum‘, ruft er beim Aufstehen aus, ‚an einem Leben hängen, in welchem ich denen, die ich Liebe, nur Gesichter zeige.‘"

    Nicht einmal ein halbes Jahr später war Wagner Tod.

    Diese Tagebücher Cosima Wagners bestehen aus insgesamt 21 Quartheften und umfassen rund 5000 Seiten. Akribisch berichtet sie von Alltäglichkeiten, aber auch über Gefühle, referiert Gespräche mit dem Gatten und Besuchern. So ergibt sich ein sehr detailliertes Bild von Richard Wagner und dem 19. Jahrhundert insgesamt.

    Oft beginnt die Eintragung für einen Tag mit der Mitteilung darüber, wie Wagner die Nacht verbracht hat:

    "Unruhige Nacht für R., wilde Träume, rauhes Wetter."
    "R. hatte eine sehr schlechte Nacht."
    "R. ist nur ein Mal aufgestanden und ist nicht unzufrieden mit seiner Nacht."
    "R. hatte eine gute Nacht."

    Der heutige Leser kommt sich bisweilen wie ein Voyeur vor, der heimlich durch die Räume in Tribschen und Bayreuth schleicht, der sich unerkannt neben Richard und Cosima setzt und lauscht. Manchmal möchte man Einspruch erheben.

    "Gestern beim Abendbrot sprach er von einem Aufsatz in der Illustrierten Zeitung, der Elch im Kampfe mit den Wölfen und sagte, es seien ihm ganz merkwürdige Dinge aufgegangen, wie auch die heroischen Wesen in der Natur erliegen müssen, Menschen wie Tiere, bleiben tun Ratten und Mäuse – die Juden.‘"

    So am 19. Januar 1879 oder am 18. Dezember 1881:

    "Er sagt im heftigen Scherz, es sollten alle Juden in einer Aufführung des ‚Nathan‘ verbrennen."

    Cosimas Aufzeichnungen enden am 12. Februar 1882, einen Tag vor Wagners Tod:

    "Er geht an das Klavier, spielt das Klage-Thema ‚Rheingold, Rheingold‘, fügt hinzu: ‚Falsch und feig ist, was oben sich freut.‘ ‚Daß ich das damals so gewußt habe!‘ --- Wie er im Bette liegt, sagt er noch: ‚Ich bin ihnen gut, diesen untergeordneten Wesen der Tiefe, diesen sehnsüchtigen.‘"