Syrischer Bischof Elias Toumeh

"Religion ist manipulierbar"

Orthodoxe Christen entzünden in einer Kirche in Damaskus, Syrien, Kerzen.
Orthodoxe Christen entzünden in einer Kirche in Damaskus, Syrien, Kerzen. © EPA / Youssef Badawi
Elias Toumeh im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 17.12.2017
Der griechisch-orthodoxe Bischof Elias Toumeh aus der Nähe von Homs findet, religiöse Führer sollten keine Politik machen. Wenn man Staatsbürgerschaft richtig verstehe, könnten die verschiedenen Glaubensgemeinschaften einen Reichtum darstellen – auch für Syrien.
Anne Françoise Weber: Wenn man Rassismus auf religiöse Gemeinschaften überträgt, dann ist das beste Wort dafür wohl das englische Sectarianism, was man nur schlecht ins Deutsche mit Konfessionalismus übersetzen kann. Ein Land, in dem dieser Konfessionalismus eine große Rolle spielt ist Syrien.
Dort schweigen die Waffen immer noch nicht – aber viele hoffen doch, dass der Frieden nicht mehr weit ist. Nur – was für ein Frieden wird das sein, zumal unter dem Regime Bashar al-Assads, gegen dessen Willkür Oppositionelle seit 2011 protestieren?
Wie werden Menschen, die auf unterschiedlichen Seiten gekämpft und die viel verloren haben, wieder zusammenfinden? Zumal wenn zum Teil ganz bewusst Schiiten, Alawiten, Christen oder Sunniten angegriffen wurden und Religionszugehörigkeit oft mit einer politischen Einstellung gleichgesetzt wird?
Sicherlich kommt religiösen Oberhäuptern da eine besonders wichtige Rolle zu, Menschen wie Elias Toumeh, dem griechisch-orthodoxen Bischof von Marmarita bei Homs in Syrien. Er ist einer der Teilnehmer des Programms "Friedensverantwortung der Religionen", das das Auswärtige Amt im Frühjahr mit einer großen Konferenz gestartet hat.
Vor Kurzem war Elias Toume im Rahmen eines Mediationsworkshops in Berlin. Ich konnte ihn am Rand der Veranstaltung in einem Flur des Auswärtigen Amtes sprechen und habe ihn zunächst gefragt: Religion war in Syrien zwar nicht Grundlage des Konflikts. Aber was ist die Rolle der religiösen Führer bei der Beförderung des Friedens?

Ein politischer Konflikt, kein religiöser

Elias Toumeh: Ganz bestimmt war der Konflikt in Syrien kein religiöser, sondern ein politischer Konflikt. Aber viele religiöse Akteure haben eine Rolle darin gespielt. Deswegen ist es jetzt Aufgabe dieser religiösen Führer, den Menschen den richtigen Weg zu zeigen, damit sie wieder zusammenleben können, zusammen essen und sich treffen. Sonst ist Religion Teil des Problems – und nicht der Lösung.
Weber: Sie sagen, Religion sei in einer Krise. Warum? Und was ist der Ausweg?
Toumeh: Wir haben diese Doppelzüngigkeit. Gegenüber unserer eigenen Gemeinschaft betonen wir die konfessionelle Identität und sind konservativer. Nach außen hin geben wir uns gemäßigt und offen. Ich glaube, wir müssen vor allem sehr ehrlich sein. Religion ist manipulierbar. Es kommt darauf an, wie man sie als Lebensweg interpretiert. Das brauchen wir jetzt, das ist der Ausweg aus dieser Krise der Religion.
Weber: Ist es nicht sehr schwer für religiöse Minderheiten, nicht konfessionalistisch oder sektiererisch zu sein? Schließlich wollen sie ihre Schafe zusammenhalten…
Toumeh: Es gibt kein Problem mit religiöser Identität. Sie ist gut und reichhaltig, unsere Länder können durch verschiedene religiöse Identitäten reicher werden. Das Problem liegt in der konfessionalistischen Identität, wenn wir sektiererisch und nicht religiös sind. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Konfessionalismus und religiöser Identität.

Staatsbürgerschaft statt Konfessionalismus

Weber: Und wie kann man Konfessionalismus in einem Land wie Syrien verhindern, das jetzt so zersplittert ist?
Toumeh: Konfessionalismus ist ein politisches Problem, kein religiöses. Leider hat das Scheitern der Staaten im Nahen Osten den Konfessionalismus gestärkt. Wenn der Staat nicht richtig funktioniert, wenden sich die Menschen an ihre Glaubensgemeinschaft, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn man dagegen einen erfolgreichen Staat hat, in dem sich alle als Bürger begreifen, dann müssen Kirchen und Moscheen keine politische Rolle mehr spielen, sondern sind Orte mit spirituellen und sozialen Aufgaben.
Weber: Staatsbürgerschaft wäre also das Gegenstück zu Konfessionalismus. Aber wie können Sie als religiöser Führer diese Staatsbürgerschaft stärken?
Toumeh: Wenn ich mich selbst als religiöser Führer verstehe, verbringe ich meine Zeit mit Gebet, Katechismus, Lektüre und spirituellen Aktivitäten. Dann muss ich die Politik verlassen, dafür gibt es Spezialisten. Als religiöser Führer muss ich in der zweiten Reihe stehen. Meine Aufgabe ist es, Menschen in ihrer eigenen religiösen und spirituellen Identität zu bilden. Das Problem beginnt, wenn wir eher Politiker als religiöser Führer sind.
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