Syrische Lehrerin Hend Al Khabbaz

Von Homs nach Fürstenwalde

05:30 Minuten
Eine Frau mit langen glatten dunklen Haaren und kariertem Hemd sitzt auf einem Sofa und lächelt in die Kamera.
"Dass ich hier als Lehrerin arbeiten kann, war meine Rettung", sagt Hend Al Khabbaz. © Deutschlandradio / Christoph Richter
Von Christoph Richter · 21.06.2021
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2015 kam Hend Al Khabbaz aus Syrien nach Deutschland. Sie lernte schnell Deutsch, absolvierte ein Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrer und unterrichtet jetzt an einer Grundschule in Brandenburg. Ein Glücksfall - für sie und die Schule.
"Good morning everyone." Es ist 10 Uhr morgens. Hend Al Khabbaz steht vor der 3. Klasse in der Sigmund-Jähn-Grundschule in der Domstadt Fürstenwalde. Der Englischunterricht kann beginnen.
Ihre Schüler heißen Anatole, Ayesha, Lara oder Umar. Eine bunt gemischte Gruppe Kinder aus verschiedensten Ländern nimmt rege am Unterricht teil. Hend Al Khabbaz ist froh und glücklich, dass sie nach ihrer Flucht aus Syrien hier vor ihrer Klasse unterrichten kann.
"Der Anfang war wirklich sehr schwierig. Jetzt kann ich sagen, dass ich gut angekommen bin. Nach fünf Jahren habe ich angefangen, das Gefühl zu haben, dass ich weiß, wie es hier funktioniert, wie der Hase hier läuft."

Brandenburg statt Belgien

Vor sechs Jahren kam die damals 31-Jährige über die Balkanroute aus der syrischen Millionenmetropole Homs nach Deutschland. Eigentlich wollte sie ursprünglich nach Belgien, landete aber zunächst im östlichen Brandenburg, dicht an der polnischen Grenze in einer Flüchtlingsunterkunft in Eisenhüttenstadt.
"Das war die schwierigste Zeit hier in Deutschland", erinnert sie sich. "Die Unterkunft, in der wir da leben sollten, war wirklich schlimm. War absoluter Horror. Dreckig."
Damals sprach Hend Al Khabbaz kein einziges Wort Deutsch, hatte keine Ahnung, was auf sie zukommt. Alles war ungewiss. Heute, sechs Jahre später, steht sie mitten im Leben, unterrichtet an der Grundschule, hat die Liebe ihres Lebens getroffen und geheiratet.
Nur: Ihre Familie, Ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre syrischen Freunde fehlen ihr sehr. Sie leben überall verstreut in 40 Ländern der Erde, niemand von ihnen in Deutschland. Große Familientreffen oder alte Freunde in großer Runde wieder treffen – all das wir es wohl nicht mehr geben, sagt sie.
"Ich glaube, dass es wir es niemals schaffen, dass wir alle in einem Land sind. Ich habe überhaupt keine Hoffnung. In unserem Land wird niemals wieder Frieden herrschen."

Täglich telefoniert sie mit ihren Eltern in Syrien

Seit ihrer Flucht hat Hend Al Khabbaz ihre Eltern, die immer noch in Syrien leben, nur einmal in einem Drittland, in Malaysia, getroffen. Wenigstens kann sie fast täglich mit ihnen telefonieren. Ihr großer Wunsch ist es, dass sie vielleicht irgendwann auch nach Deutschland nachkommen können. Der Schmerz, der Verlust der Heimat, die traumatischen Fluchterfahrungen, all das taucht immer wieder auf.
Ihr Rezept dagegen: "Ich versuche, soweit es geht, zu Hause keine Nachrichten zu hören. Ich höre von meinen Eltern, sie sind gesund und safe. Dann bin ich ruhig und alles ist gut."
Mit dem Lehrerberuf in Fürstenwalde könne sie ein Stück Normalität leben, sagt sie.
Eine Aufgabe zu haben, in neugierige Kinderaugen zu schauen, all das gebe ihr Kraft.
Ein junge Frau mit langen, glatten dunklen Haaren und mit einem kurzärmeligen grünen T-Shirt bekleidet steht in einem Klassenzimmer vor der Tafel und schaut auf ein Blatt Papier, das sie in der Hand hält.
Hend Al Khabbaz ist nicht nur Lehrerin, sondern auch Brückenbauerin.© Deutschlandradio / Christoph Richter
Hend Al Khabbaz ist Absolventin des "Refugee Teachers Program", ein brandenburgisches Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer. So konnte sie, die in schon in Syrien als Lehrerin unterrichtete, ihren erlernten Beruf weiter ausüben. Ein Glücksfall für sie, aber auch für Schulleiterin Ines Tesch von der Sigmund-Jähn-Grundschule:
"Also, was Hend in dieser Zeit geleistet hat, kann, glaub ich, keiner ermessen. Sie hat binnen drei Jahren Deutsch gelernt, die Ausbildung noch mal gemacht an der Universität Potsdam."
Ines Tesch ist froh, eine Lehrerin wie Hend Al Khabbaz im Kollegium zu haben.
"Sie ist jetzt unbefristet eingestellt, ist ein fester Bestandteil des Kollegiums. Und auch ein sehr wichtiger. Wir haben immer noch 45 syrische Kinder, die sich freuen, wenn sie mal mit jemandem in der Heimatsprache reden können, weil sie in Deutsch an ihre Grenzen kommen."

"Dass ich als Lehrerin arbeiten kann, war meine Rettung"

Hend Al Khabbaz ist mehr als eine Lehrkraft. Manchmal erzählen die Kinder vom Krieg, von Bomben und ihren Fluchterlebnissen. Sie hört ihnen einfach zu, spricht darüber mit den Kolleginnen und Kollegen, übersetzt bei Elternabenden, ist eine Brückenbauerin.
Für immer soll es Fürstenwalde aber nicht sein und auch nicht der Lehrerinnenberuf. Hend Al Khabbaz könnte sich vorstellen, vielleicht mal ein kleines Café oder Restaurant zu öffnen, irgendwo im Westen der Republik, sagt sie, "weil das Leben da ein bisschen lockerer ist als im Osten. Einfacher für die Fremden. Ja, es ist so."
Nach 45 Minuten eilt Hend Al Khabbaz aus der dritten Klasse in den nächsten Unterricht. Jetzt steht Kunst auf dem Lehrplan einer fünften Klasse.
Am Ende sagt sie noch: "Dass ich hier als Lehrerin arbeiten kann, das war meine Rettung."
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