Syriens Kulturerbe

Gegen die Zerstörung und das Vergessen

Die Ruinen der alten Handels- und Königsstadt Palmyra in Syrien sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden.
Die Ruinen der alten Handels- und Königsstadt Palmyra in Syrien sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. © dpa / picture alliance / Backhaus
Issam Ballouz im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.04.2015
Deutsche Exilsyrer sichern unter Lebensgefahr das Kulturerbe in Syrien - oder sie dokumentieren Zerstörung: Das internationale Projekt "Syrian Heritage Archive" unterstützt sie. Die Kulturgüter seien identitätsstiftend für Syrer, sagt Projektmitarbeiter Issam Ballouz.
Syrer versuchen mit Kooperationspartnern ein Online-Archiv der syrischen Kulturgüter aufzubauen und sie vor Zerstörung zu bewahren oder ihre Zerstörung zu dokumentieren: Das "Syrian Heritage Archive Project", ein Gemeinschaftsprojekt vom Museum für Islamische Kunst in Berlin und vom Deutschen Archäologischen Institut, gefördert vom Außenministerium, will Kulturerbe retten und setzt dabei auf das Engagement und den Mut vieler Syrer in dem bürgerkriegszerstörten Land. Denn dokumentiert werden nicht nur Stücke in deutschen und internationalen Museen, sondern auch vor Ort, in Syrien.
Projekt-Mitarbeiter Issam Ballouz, Architekt mit syrischen Wurzeln, erklärte im Deutschland Radio Kultur, warum diese Dokumentation von Kulturgut für die Menschen in Syrien so wichtig ist - vor allem im Hinblick auf die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Ende des Bürgerkrieg:
"Es ist das einzige, was momentan diese zersplitterte Gesellschaft noch irgendwo zusammen halten könnte. Es ist ein gemeinsamer Nenner, dem sich niemand entziehen kann. Und damit könnte man natürlich auch aufbauen."
Ein Netzwerk aus mutigen Helfern
Ballouz und seine Kollegen können dafür auf ein Netzwerk von syrischen Architekten oder Archäologen zurückgreifen, die unter Lebensgefahr vor Ort Fotos von der Zerstörung machen oder versuchen Kulturgüter aktiv zu schützen - mit Sandsäcken oder indem sie kostbare Stücke einmauern.
"Man kann nur alle Hochachtung haben vor diesen Leuten – wie vor allen Leuten, die in Syrien ausharren unter den großen Gefahren, die jetzt dort sind. Das sind ganz normale Leute, die das Gefühl haben, sie können sich einmal nicht mit einer Waffe in der Hand in etwas hineinstürzen, was das Land zerstört (...). "
Es handle sich oft um Menschen, die in der Kulturgut-Region lebten und arbeiteten und dem Verlust nicht tatenlos zusehen wollten.

Interview im Wortlaut
Issam Ballouz ist Mitarbeiter beim "Syrian Heritage Archive" Project
Issam Ballouz, Mitarbeiter beim "Syrian Heritage Archive" Project, im Funkhaus © Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi
Liane von Billerbeck: Der syrische Bürgerkrieg hat viele Opfer gefordert, zehntausende Tote und Millionen Syrer, die auf der Flucht sind vor den IS-Truppen, entweder im eigenen Land oder in den Nachbarländern Jordanien, Türkei, Libanon. Aber der syrische Krieg ist auch ein Krieg gegen das Kulturerbe der Menschheit – vieles ist unwiederbringlich zerstört. Wenn wir nur an die fast völlig zerstörte Altstadt von Aleppo denken, UNESCO-Weltkulturerbe immerhin. Doch mitten in diesem Krieg versuchen Exil-Syrer mit deutschen und internationalen Partnern ein Onlinearchiv der syrischen Weltkulturgüter aufzubauen und haben Helfer, die sogar mitten im Krieg versuchen, zu retten, was da noch zu retten ist. Issam Ballouz ist Mitarbeiter beim Syrian Heritage Archive Project, einem Gemeinschaftsprojekt vom Museum für Islamische Kunst, vom Berliner Pergamon-Museum und dem Deutschen Archäologischen Institut, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. So, jetzt haben wir alle Partner genannt. Schönen guten Morgen, Issam Ballouz!
Issam Ballouz: Guten Morgen!
von Billerbeck: Sie haben syrische Wurzeln, leben aber in Deutschland, haben auch in Syrien gelebt, teilweise da studiert, und kommen also aus beiden Kulturkreisen. Nun haben Sie mit diesem Syrian Heritage Archive, machen Sie den Versuch, alle syrischen Kulturschätze weltweit zu archivieren und zusammenzutragen, was es da in Syrien gab und gibt. Wie machen Sie das? Was archivieren Sie denn da konkret?
Ballouz: Erst einmal ist es der Versuch, etwas zu archivieren, was in Deutschland sich befindet, als Allererstes, innerhalb der Museen und des Deutschen Archäologischen Instituts. Die weiteren Bestände versuchen wir, durch Netzwerkbildung auch noch zusammenzubekommen, indem wir gemeinsam wenigstens arbeiten. Was wir versuchen zusammenzufassen, ist verschiedenes Material aus archäologischen Expeditionen beziehungsweise Missionen, die in Syrien stattfanden, aus Reisen von Bauhistorikern, Geografen und anderen Beständen. Das sind Pläne, das sind Bilder, das sind Dias, das sind Zeichnungen, das sind ganz verschiedene Materialien, die wir erst einmal digitalisieren müssen, um sie dann in einer Datenbank verfügbar zu machen.
von Billerbeck: Das sind ja nun Materialien, die sind relativ leicht zu bekommen, wenn man hier in den Archiven guckt, in den Museen das alles sammelt. Das ist ja dann eher eine Sammelarbeit. Nun suchen Sie aber auch genau nach den Materialien, über die Kunstwerke, das Weltkulturerbe habe ich ja eben schon gesagt, was es in Syrien gibt. Und da herrscht Bürgerkrieg. Wie macht man denn das? Wer sind Ihre Helfer da in Syrien, die da ihr Material liefern?
Ballouz: In einem zweiten Teil des Projektes kümmern wir uns um eine Schadenskartierung und um eine Schadenserfassung beziehungsweise versuchen wir, ganz schüchtern überhaupt erst damit anzufangen, so wie viele andere auch. Und da stützen wir uns natürlich auch auf ein Netzwerk von verschiedenen Initiativen, die da auf dem Gebiet arbeiten, unter anderem auch eine Initiative, eine von vielen, die heißt Syrian Heritage for Peace. Diese Leute haben sehr gute Kontakte seit Langem mit Aktivisten, die sich noch im Lande befinden an verschiedenen Stellen. Es sind entweder Architekten oder Archäologen oder ehemalige Mitarbeiter der Antikenverwaltung, die sich teilweise noch in sogenannten befreiten Gebieten beziehungsweise in Gebieten außerhalb der Kontrolle des Staates noch befinden und die auch unter nicht unerheblichen Gefahren auch versuchen, etwas zu sichern, etwas zu dokumentieren. Und mit denen versuchen wir in Kontakt zu bleiben und auch Informationen zu bekommen von ihnen.
von Billerbeck: Zu sichern – wie müssen wir uns das vorstellen? Mauern die Kunstwerke ein, damit die nicht zerstört werden, oder was tun sie?
Ballouz: Das ist teilweise auch passiert in Aleppo. Da wurden Kunstwerke wegtransportiert, wenn es sich um transportable – ein Minwar, eine Kanzel einer Moschee wurde verpackt und wegtransportiert. Andere, ortsständige werden wahrscheinlich dann auch mit Sandsäcken, mit Einmauern gesichert gegen Splitter – natürlich nicht gegen eine Bombe, die direkt drauf fällt, aber gegen zumindest Kollateralschäden, wie man so schön sagt.
von Billerbeck: Was sind das für Menschen, die Ihnen da helfen. Man braucht ja großen Mut, um in dieser Zeit sich für Kunstwerke einzusetzen?
Ballouz: Man kann natürlich nur alle Hochachtung haben vor diesen Leuten, wie vor allen Leuten, die noch in Syrien ausharren unter den großen Gefahren, die jetzt dort sind. Das sind Leute, die – ich denke mal, das sind ganz normale Leute, die aber das Gefühl haben, sie können sich einmal nicht mit der Waffe in der Hand in etwas reinstürzen, was das Land zerstört mittlerweile. Und zum anderen sind das Leute aus diesem Gebiet, also die in diesem Kulturgutgebiet arbeiten, die sich dann sagen, wir müssen etwas tun, wir können nicht nur rumsitzen.
von Billerbeck: Nun ist das ja vermutlich nicht leicht, in einem Bürgerkrieg, wie er derzeit in Syrien herrscht, überhaupt seriös einzuschätzen, zu dokumentieren, was da alles kaputt ist oder schwer beschädigt. Kann man denn da überhaupt seriös dokumentieren oder muss man einfach nehmen, was man kriegt.
Ballouz: Sie sagen es. Man kann nicht, und ich schmunzele immer, wenn ich irgendwelche Prozentzahlen höre über das, was zerstört wurde, oder die Eindrücke, dass fast alles zerstört ist oder so uns so viel. Das können wir, je mehr wir darüber wissen, eigentlich nicht sagen. Wir wissen in der Regel so gut wie gar nichts. Wir haben einige, die über Satellitenaufnahmen versuchen, etwas zu dokumentieren, andere liefern Videoaufnahmen oder Fotos von Beständen. Aber das sind immer nur Teilansichten. Man kann, wenn man nicht eine Dokumentation direkt vor Ort hat, eigentlich noch so gut wie gar nichts Präzises sagen.
von Billerbeck: Könnte man sagen, Ihr Projekt ist auch etwas, das in die Zukunft gedacht ist. Also, angenommen, der Krieg ist irgendwann, hoffentlich bald, zu Ende – worauf hoffen Sie? Auf einen Wiederaufbau, und dann haben Sie die Pläne dafür?
Ballouz: Das wäre eine Möglichkeit. Wobei wir nicht die einzigen sind, die dann Pläne hätten. Wir würden den Syrern etwas zuarbeiten und versuchen, auch international ein Gemeinschaftsprojekt damit zu machen. Natürlich hoffen wir auf einen Wiederaufbau, so ähnlich, wie es auch schon mal früher passiert ist. Einige der Monumente und Kunst- und Kulturschätze, die wir jetzt gerade als zerstört melden müssen leider, waren schon einmal Anfang des 20. Jahrhunderts zerstört und wurden wieder aufgebaut. Das ist eher die leichtere Übung. Wofür Kulturgut und Kulturerbe auch gut ist, ist natürlich, es ist das Einzige, was momentan diese zersplitterte Gesellschaft noch irgendwo zusammenhalten könnte. Es ist ein gemeinsamer Nenner, dem sich niemand entziehen kann. Damit könnte man natürlich auch aufbauen.
von Billerbeck: Issam Ballouz vom Syrian Heritage Archive, das mit dem Islamischen Museum in Berlin und dem Deutschen Archäologischen Institut, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird, versucht, die Weltkulturschätze in Syrien zu dokumentieren und ein Onlinearchiv aufzubauen. Mehr darüber finden Sie auch im Netz unter deutschlandradiokultur.de. Danke an Sie, Herr Ballouz!
Ballouz: Schönen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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