Symposium "Jazz und Gesundheit"

Jazz auf Rezept?

Illustration mit einem Musiker, der Trompete spielt.
Unstrittig ist, dass vor allem das aktive Musizieren positiv für die Gesundheit ist. © imago / Ikon Images
Von Jan Tengeler · 21.11.2016
Musik hören ist gut. Musik selber machen noch besser. Über die positiven gesundheitlichen Effekte des Instrumentierens und Improvisierens diskutierten Teilnehmer beim Treffen der Union deutscher Jazzmusiker in Köln.
Der Konzertsaal im Kölner Stadtgarten - Austragungsort des 23. Jazzforums -verwandelte sich zumindest kurzfristig in ein Yogastudio. Denn das Thema Jazz und Gesundheit wurde nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch praktisch erfahrbar.

Mit Yoga durch den Jazzalltag

Veronika Morscher ist studierte Jazzsängerin und Yogalehrerin, für sie sind die Übungen in ihrem vielgestaltigen Arbeitsalltag von großem Wert:
"Wir müssen viel von uns geben, wenn wir auf der Bühne sind. Wir müssen immer offen sein. Er kann auch sehr viel rein, was man nicht unbedingt möchte. Das unterscheidet uns von anderen Berufsgruppen, die mit sehr viel Druck und Hektik arbeiten, wir können uns nicht verschließen."
Dass Yoga gut für die Gesundheit ist, das pfeifen die Spatzen ja schon länger von Dächern, es gilt für den Polizisten wohl genauso wie für die Bankangestellte oder eben den Musiker. Dass ein Künstler besonders konzentriert sein muss, wenn er auf die Bühne geht, auch das ist eher eine Binsenweisheit.
Warum er aber gerade jetzt das Thema Gesundheit und Jazz auf die Agenda des Forums gehoben hat, erklärt Urs Johnen, der neue Geschäftsführer der Union deutscher Jazzmusiker UDJ, so:
"Das Thema Gesundheitsprävention ist hochaktuell. Wenn von Krankenkassen Präventionsmaßnahmen für Rückenschulen gefördert werden, wieso nicht auch im Musikbereich, wo auch Verdachtsmomente bestehen, dass das reine Hören von Musik, dass das schon was verändert, weil das den Körper verändert. Wieso soll nicht auch da ein neues Auftragswesen für Jazzmusiker entstehen?"

Vor allem das Musizieren ist gesund

"Jazzmusik auf Rezept" wünscht sich Urs Johnen von der Union deutscher Jazzmusiker. Schließlich weiß man, dass es gar nicht genug Auftrittsmöglichkeiten für die vielen gut ausgebildeten Musiker gibt und wenn, dann sind die Gagen zu niedrig. Sein Vorstoß wurde kontrovers diskutiert: "wir sind Künstler und keine Therapeuten!" hieß es da unter anderem. Und was - bitte schön - solle man denn unter Jazz verstehen? Die frei improvisierte Musik, die im Moment entsteht oder ist es nicht doch eher jener umfangreiche Kanon liedhafter Stücke, die im "Great American Songbook" niedergeschrieben sind? Schnell wurde klar, dass diese Diskussion zu keinem eindeutigen Ergebnis führen würde.
Unstrittig ist dagegen die Erkenntnis, dass vor allem das aktive Musizieren positiv für die Gesundheit ist, wie die Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Ingrid Herholz, erklärt:
"Bei chronischen Schmerzen, macht Musik hören die Schmerzen erträglicher, Musikmachen noch mehr. Bei Operationen braucht man weniger Narkosemittel, also alle diese Zusammenhänge auf Blutdruck, vegetatives Nervensystem sind bekannt. Auch die Auswirkungen auf die Psyche, zum Beispiel Autismusstörungen, Depressionen, Demenz, ich könnte eine Menge Krankheiten nennen, wo es wissenschaftlich erforscht ist, dass Musik gute Auswirkungen auf die Gesundheit hat."

Der pädagogische Aspekt des Improvisierens

"Musik ist die heilende Kraft des Universums" verkündete bereits 1969 der US-amerikanische Saxofonist Albert Ayler. Aber beim UDJ-Forum zum Thema Jazz und Gesundheit wurde auch klar, dass es sehr viele Menschen gibt, die diese Art von Musik wohl eher krank machen würde: Dass sie zu unverständlich ist, um als Gesundheitsprävention für die breite Masse tauglich zu sein. Und so rückten dann neben den therapeutischen auch pädagogische Aspekte in den Mittelpunkt der Diskussion. Es wurde deutlich gemacht, wie wichtig musikalische Frühförderung ist – nicht nur für das soziale Verhalten insgesamt, sondern auch, um überhaupt für bestimmte Klänge und Strukturen in der Musik empfänglich zu werden.
Immerhin: Der Saxofonist und Musiklehrer Matthias Petzold konnte Erbauliches aus seiner pädagogischen Praxis berichten. Er improvisiere mit all seinen Schülern, egal wie gut sie ihr Instrument beherrschten:
"Die sind total erstaunt, dass die das können. Das da was rauskommt, von dem sie nicht gewusst haben, dass sie es können, dass es in ihnen drin steckt. Das stärkt das Selbstbewusstsein, das man was in die Welt setzt, was nur ihnen selber gehört, was niemand sonst tun kann, wo die Frage nach der Qualität, der objektiven Qualität sich erübrigt, weil es von ihnen ausgegangen ist."

Auf der Suche nach der eigenen Stimme

Die eigene Stimme finden und damit zu einer Form der Selbstermächtigung gelangen: das können Jazz und improvisierte Musik leisten, vielleicht besser als jede andere Kunstform. Allein die Vermittlung bleibt schwierig. Dabei scheint sie nötiger denn je, schließlich gibt es viele gut ausgebildete Jazzer in Deutschland und die wollen spielen. Der Vorschlag des UDJ-Geschäftsführers Urs Johnen, den Jazz irgendwie ans Gesundheitssystem zu koppeln, hat denn auch folgenden Hintergedanken: Wenn die Zuhörer nicht zu den Musikern kommen, dann kommen eben die Jazzer zum Hörer.
Jazz-Legende Rolf Kühn posiert bei Deutschlandradio Kultur in Berlin am 25.09.2014.
Lebender Beweis für die Nebenwirkungen des Jazz: der Klarinettist Rolf Kühn.© picture alliance / dpa / Paul Zinken
Zwar konnten nicht alle seine Argumente überzeugen, aber zum Abschluss der zweitätigen Tagung trat mit dem Klarinettisten Rolf Kühn der lebende Beweis auf die Bühne, was Musik bewirken kann. Der Mann ist 87, übt jeden Tag zwei bis drei Stunden und erfreut sich bester Gesundheit. Der Jazz halte ihn gesund, wenn er denn gut ist!
Rolf Kühn: "Und ich sage mal: Es gibt gesunden Jazz, es gibt aber auch noch ein bisschen kränklichen Jazz. Was wäre kränklicher Jazz ? Wenn er Leute nicht berührt. Er muss berühren, in irgendeiner Form."
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