"Symphonic Mob"

Das Amt bebt mit Beethoven

Von Julia Kaiser  · 02.09.2014
Ein üppiges Orchester aus Profis und Laien verwandelte das Auswärtige Amt in einen Philharmoniesaal. Und obwohl die Musikerinnen und Musiker Beethovens "Ode an die Freude" nur einen Tag geprobt hatten, spielten sie ein hochemotionales Konzert.
Über 400 Menschen zwischen acht und 84 Jahren lockern ihre Bogenhand, machen Atemübungen oder lockern die Stimme. Denn gleich bringen sie Musik ins Herz des Auswärtigen Amtes in Berlin. In den Weltsaal. Auf dem Programm steht ein Ausschnitt aus Beethovens 9. Symphonie. Die "Ode an die Freude" ist für den Symphonik Mob so arrangiert, dass Profis und Laien sie zusammen spielen können.
Von Akkordeon und Blockflöte bis Sousaphon sind sogar Instrumente dabei, die normalerweise in einem Symphonieorchester nicht vorkommen – aber im Symphonic Mob toll klingen! Musiker aus allen Altersgruppen sind dabei. Arno ist 14 und wird im Symphonic Mob spontan zum Schlagwerker.
Arno, 14: "Ich spiel' sonst immer Gitarre, aber es gab hier keine Gitarrennoten, deshalb spiele ich jetzt mit meinem Freund Triangel. Das wird unterschätzt! Man denkt ja immer, da muss man nur draufhauen. Aber es gibt bestimmte Techniken, wie man den Klang aus dem Instrument herausbekommt, und von daher musste ich das erst lernen. Das ist der Profi-Spieler Hendrik, der Schlagzeug studiert hat, und der hat es mir dann erklärt".
Im Kern besteht der Symphonic Mob aus 40 Musikern des Deutschen Symphonieorchesters, die die einzelnen Stimmgruppen leiten. 400 Laien kommen heute dazu. In der Flötengruppe herrscht bereits freundschaftliche Stimmung.
Flötist, 60: "Ich hab zwei Tipps heute gekriegt, die sind wunderbar. Zum Beispiel hier, mit der F-Klappe und mit der fis-Klappe, in den höheren Lagen, das klingt viel besser! Der Gergely hat mich da total fasziniert. Ich stelle mich auch neben ihn, denn er weiß immer, wo nie Einsätze nach den langen Pausen sind." (Lacht.)" Alle Menschen werden Brüder, er ist heute mein Coach und Bruder." (Gergely lacht mit.)
"Freude, schöner Götterfunken" - ein Chor, den jeder kennt und den zu singen oder zu begleiten doch anspruchsvoll ist. Deshalb hat das Deutsche Symphonieorchester die einzelnen Stimmen sowohl für Fortgeschrittene als auch für die Hobbymusiker setzen lassen, die ihr Instrument vielleicht zwanzig Jahre nicht in der Hand hatten. Am Symphonic Mob kann man spontan mitmachen, oder mit intensiver Vorbereitung. Am Vortag gab es einen intensiven Probentag. Am Pult der Dirigent Manuel Nawri.
Dirigent Manuel Nawri: "Ich fand das ne super Idee, ich habe da keinen Moment gezögert. Ich finde das auch nicht so verrückt. Ich finde es ganz großartig, dass man versucht, so viele Leute wie möglich, auch unterschiedliche, einzuschließen. Und gerade in der klassischen Musik schließen wir ja schon immer mal wieder Leute aus. Im Orchester spielen halt nur die Leute, die im Orchester spielen und das soll auch so sein. Aber dass man bei so einer Gelegenheit mal versucht, Grenzen aufzubrechen und andere Leute mit ins Boot zu holen, finde ich sehr wichtig."
Selbst Skeptiker unter den Profimusikern blicken kurz vor dem Konzert im Auswärtigen Amt entzückt um sich.
DSO-Geiger: "Ich hätte nicht gedacht, dass das funktionieren könnte. Aber ich habe die ganze Zeit das Gefühl, wo das hier so viele sind, das ist wie Fahrradfahren. Jeder kann anscheinend musizieren, genau wie Fahrradfahren, kann auch jeder. Es läuft! Große Überraschung."
Unter den Laienmusikern wächst die Vorfreude. Der neunjährige Rafael spielt Geige.
Rafael, 9: "Wir haben ja noch das Konzert vor uns, aber die Probe war schon ganz schön aufregend. Ich fand es auf jeden Fall ganz toll, mit den DSO-Musikern zu spielen. Ich spüre dann, dass ich ganz weit vorne bin und dann möchte ich einfach lauter spielen!"
Lehrerin, 52: "Dass so viele Menschen, unabhängig vom Alter so von Musik gebunden werden! Man macht es einfach, jeder strengt sich an, jeder möchte ein schönes Erlebnis haben. Ein kulturelles Erlebnis, das grenzenlos ist!"
Für zwei Minuten schaut der Außenminister vorbei
Das Konzert dauert knapp 20 Minuten. Das Publikum, kaum halb so viele Menschen wie auf der Bühne, fordert Zugabe um Zugabe. Und dann kommt sogar der Hausherr vorbei, Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Zwei Minuten sieht das Protokoll vor, auf seiner Besuchsrunde beim Tag der Offenen Tür. Er bleibt eine Viertelstunde. Und erbittet nicht nur die Kurzversion des Beethoven-Arrangements hören zu dürfen, sondern das gesamte Stück. Auf einmal scheinen alle gemeinsam zu spüren, wie viel Trost in Beethovens Komposition stecken kann.
Zwei Mädchen, 14: "Es hat ja alles was mit Frieden zu tun. Man probiert ja jetzt auch, Frieden zu stiften. Und deshalb passt es gut hierher. – Ich finde schon, dass, wenn man hier ist, dass man das einfach weiß. Man singt für den Frieden und weiß, dass man für woanders singt, weil da schlimmer Krieg ist. Das finde ich schon wichtig, dass es einem bewusst wird."
Nachdem der letzte Ton zum fünften Mal verklungen ist, geht der Symphonic Mob auseinander – so spontan, wie er sich gefunden hat. Die Musiker gehen mit zufriedenem Lächeln: weil sie ihr Instrument wieder entdeckt haben, oder auch, weil heute in ihrem Leben in der Verbindung mit den anderen Musikern und dem Publikum etwas sehr Besonderes geschehen ist.
"Ich bin in Potsdam zur Kur und lese das in der Zeitung und dann … – Es ist einfach schön, überwältigend. Jetzt kamen eben noch zwei, auch aus der Klinik, auf mich zu und sagten: Mensch, danke für den Tipp. Die haben heute im Chor mitgesungen, waren gar nicht vorbereitet, jetzt waren sie dabei und zu Tränen gerührt. Das ist toll!"
Auch die Profimusiker des Deutschen Symphonieorchesters sind tief berührt. Der Flötist Gergely Bodoky.
"Ich hab' so etwas auch noch nie gemacht, also überhaupt mit so vielen Menschen. Das ist auch ein ganz tolles Erlebnis, das aus einer anderen Perspektive zu sehen, dass nicht auf das Hundertprozentige Ausgeschliffenste gespielt wird, sondern einfach aus Spaß an der Musik. Den sollten wir ja immer noch behalten, auch wenn wir im Orchester sitzen. Ganz leicht überkommt einen diese Professionalität, wo man die Freude an der Musik vielleicht in den Hintergrund lässt. Und hier kann man wieder Freude an Musik tanken!"