Swingerparty im Kaiserreich

18.11.2010
Am Hofe des deutschen Kaisers Wilhelm II. ging es in sexueller Hinsicht ziemlich "schmuddelig" zu. Das war allgemein bekannt. Dennoch wuchs sich ein winterlicher Gruppensex-Abend zu einem handfesten Skandal aus. Denn auch die Männer näherten sich einander an.
Dass die große Politik oft über nichtige, scheinbar unpolitische Anlässe stolpert, ist bekannt. Aber dass der Untergang des deutschen Kaiserreichs mit einer Swingerparty im Berliner Grunewald begann, dürfte den wenigsten geläufig sein.

Teilgenommen hatten daran im Januar 1891 fünfzehn adlige Damen und Herren aus den allerbesten Kreisen, einige von ihnen waren sogar enge Verwandte von Kaiser Wilhelm II. Nach einer Schlittenpartie fand sich die noble Gesellschaft im Jagdschloss Grunewald ein, mit den Hüllen fielen auch die Hemmungen, Partner wurden getauscht, Damen animierten angeblich die Herren, die sich ihrerseits einander näherten. Jedenfalls behauptete dies ein Anonymus in Briefen samt beigelegten pornografischen Fotos, die unmittelbar danach die Hofgesellschaft über den denkwürdigen Abend in Kenntnis setzten. Der Skandal war perfekt, als deren Inhalt nach und nach publik wurde: ein Triumph für die bürgerliche Presse und das Parlament, das durch Wilhelms II. Hofkamarilla oft genug außer Kraft gesetzt worden war.

Wolfgang Wippermann ist nicht der erste Historiker, der die 232 Schmuddel-Dokumente sichtete. Vor ihm wertete eine Reihe von Fachwissenschaftlern - wie der Wilhelm II.-Biograph John C.G. Röhl - den polizeilichen Aktenordner aus, der bald nach dem Geschehen im Grunewald angelegt worden war.

Wippermann aber stellt die entscheidende Frage, warum diese "schmutzigen Geschichten" über das Sexleben am Hofe Wilhelms II. so viel Aufregung hervorriefen, während allgemein bekannt war, dass manche Herren, der Kaiser inklusive, außereheliche Beziehungen unterhielten und Bordelle im Kollektiv besuchten. Dass dabei einer seiner Schwager - bei Hofe wegen seiner zahllosen Sexgeschichten nur der "Herzog-Rammler"genannt - die höchste preußische Auszeichnung, den "Schwarzen-Adler-Orden", im Bett einer Prostituierten verloren hatte, rief bestenfalls Schadenfreude hervor.
Wippermann konzentriert sich in der gut lesbaren Studie auf das Anstößige am Fall Grunewald: Es war weniger die Promiskuität, anstößig waren vielmehr weibliche Initiative, die als "mannstoll" angesehenen Damen, und die Homosexualität der Herren. Die stand unter strenger Strafe, weswegen Wilhelms Zeremonienmeister Lebebrecht von Kotze, den man als homosexuellen Partygast und anonymen Briefschreiber verdächtigte, gegen solche ehrabschneidenden Anschuldigungen keine andere Chance hatte, als sich mehrfach zu duellieren.

Kein gerichtlicher Freispruch hatte diese reinigende Wirkung. Um nicht nur seine Unschuld zu beweisen, sondern auch seine "Männlichkeit", hatte er laut adeligem Ehrenkodex nur die Wahl zwischen Mord und Tod. Obwohl per Gesetz längst verboten, animierte Wilhelm II. seine Offiziere zu den "Ehrenhändeln", was das bürgerliche Lager als kaiserlichen Rechtsbruch an den Pranger stellte - der Beginn einer Serie von aufmüpfigen Anschlägen auf die Hofkamarilla und damit das Zentrum der royalen Macht.

Eingebettet in die chronologische Darstellung sind knappe, sehr informative Exkurse unter anderem über die Geschichte des Duellwesens, die Allianz zwischen Männerbünden und Antisemitismus, die Herkunft des Ehrbegriffs. Damit schlägt Wippermann eine allerdings nicht immer gelungene Brücke in die Gegenwart. Nicht zufällig kommt er bei den "Ehrenmorden unter Mitbürgern mit Migrantenhintergrund" an. Und das ist gut.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Wolfgang Wippermann, Skandal im Jagdschloss Grunewald. Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich.
Primus-Verlag, Darmstadt 2010
168 Seiten, 19,90 Euro