Swans-Album "The Glowing Man"

Zwei Stunden brachial-schöner Schwanengesang

Gitarrist und Sänger Michael Gira der amrerikanischen Post-Punk-Band Swans bei einem Auftritt 2013 im Akvarium Klub in Budapest. Sein Kopf ist grün-rot angestrahlt, das Haar zerzaust, das Gesicht zum Schrei verzerrt.
Michael Gira ist Sänger, Gitarrist und Kopf der Swans. © picture alliance / dpa / Balazs Mohai
Von Martin Risel · 15.06.2016
Genialer Rock oder höllischer Lärm? Der Sound der Swans aus New York spaltet seit 35 Jahren die Gemüter. Überall wird gemunkelt, dass ihr neues Album "The Glowing Man" auch ihr letztes sein könnte. Martin Risel stellt das monumentale Werk vor.
Nanu, so schön? Werden die Swans zu sterbenden Schwänen - oder nur altersmilde? Manches ist jetzt fast schon Disneymusik im Vergleich zu den apokalyptisch düsteren Soundtracks aus den vergangenen 35 Jahren. Legendär ihre über die Schmerzgrenze hinaus lärmenden Konzerte.
Vor Kurzem ist ihr Songwriter, Sänger, Gitarrist, Keyboarder 62 geworden – altersgemäß schmerzhafte Konzert-Erfahrungen inzwischen auch bei Michael Gira:
"Definitiv: Die Knochen schmerzen. Nicht auf der Bühne – nur hinterher braucht man länger, um die Bandagen anzulegen."

Ein Rocker mit Falten und Narben

Das lange Leben im Rock Underground hat ihm Falten und Narben ins Gesicht gezeichnet. Aus Kaliforniern stammt Michael Gira, mit Mitte 20 geht er nach New York, gründet Anfang der 80er die Swans. Die experimentieren – unangepasst, monoton, atonal - zwischen vielen Gitarrenmusikgenres herum. Man schreibt sie der New Yorker No-Wave-Szene zu, aber sie überstehen Moden, Dekaden, Schubladen.
Fachblätter feiern die Swans als großartige Genies, kommerziell sind sie nie sonderlich erfolgreich. Logische Folge: Probleme mit Plattenfirmen und Frust über den brotlosen Status quo, 1997 das Ende.
2010 der Neustart – und jetzt das fünfte Album seitdem. Immer noch dieselben Provokationsgesten? Nein, das hört Michael Gira nicht gern:
"Ich provoziere nicht, ich mache nur Musik als hoffentlich wertvolle Erfahrung für die Leute. Dafür kommen sie, weil sie das so nirgendwo sonst erleben."

Höllische Geräuschkaskaden und Momente der Stille

Da sind sie wieder, die infernalistischen Geräuschkaskaden. Und dazwischen immer öfter mal Momente der Stille und Schönheit - sowie traditionelle Elemente aus Folk und Americana in ausufernden Kompositionen von bis zu 29 Minuten.
Aus dem Rahmen fällt ein anderer Song nicht nur wegen der Frauenstimme: Komponiert von Michael Gira für seine Frau, um ihr bei einer Traumabewältigung zu helfen. Vor ein paar Jahren wurde sie von einem Mann attackiert, der sie ins Auto zerren und entführen wollte. Nur mit Glück konnte sie entkommen:
"Den Song habe ich für sie zum Singen geschrieben, ein Tribut als heilender Akt. Das verfolgt sie seit Jahren. Eine körperliche Erfahrung, die die Chemie in deinem Kopf verändert. Wie bei Soldaten, die Tod und Gewalt erleben. Ich hab das bei ihr über Jahre beobachtet und wollte ihr durch das Singen die Gelegenheit geben, Stärke wieder zu erlangen."
Nach dem innerlich aufwühlenden Einsingen dieses Songs konnte Jennifer Gira zwei Tage lang nicht reden. Eine ähnliche Erfahrung machte sie vor Kurzem, als ihr Mann öffentlich mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert wurde - von einer Musikerin, die Michael Gira produziert hat. Es steht Aussage gegen Aussage.

Ein Album mit Abschiedsliedern

Zwei andere Kompositionen auf "The Glowing Man" sind ausdrücklich Abschiedssongs, denn: Das 14. Album der Swans ist auch das letzte, quasi eine Art Schwanengesang:
"Das ist das letzte Swans-Album mit diesen sechs Leuten, die wie meine Familie sind. Ich werde einiges verändern. Vielleicht ist das ein perverser Akt des Übermuts. Aber ich bringe mich gerne mal in eine unangenehme, verletzbare Situation und schau dann einfach was passiert. Keine Ahnung, ob's dann besser oder schwieriger wird. Aber das Gute daran ist gerade diese Ahnungslosigkeit."
Mit fast 120 Minuten ist "The Glowing Man" ein monumentales Werk voll schroffer Schönheit, rhythmischer und harmonischer Komplexität und künstlerisch genialem Geist nach dem Motto: Was wir noch zu sagen hätten ...
Michael Gira wird das demnächst auch mit neu formierten Swans tun. Außerdem schreibt der Mann Kurzgeschichten, vor 20 Jahren schon veröffentlicht: verstörende Szenerien zwischen Inzest und Identitätsverlust, Mord und mentalem Zerfall. Das ganze Drama des sterbenden Schwans halt. Klingt doch zu schön, um das nicht in Zukunft fortzusetzen:
"Ja, genau: Eines der Dinge, die ich jetzt mehr tun möchte, ist schreiben. Nur nicht im Stil wie bisher, sondern irgendwie befreiender. Aber ich werde auch weiter Musik machen – bis es musikalisch nichts mehr zu sagen gibt."

"The Glowing Man" von den Swans aus New York erscheint am Freitag als Doppel-CD oder Dreifac-Vinyl. Im Herbst kommt die Band damit zu fünf Konzerten nach Deutschland.

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