Susanne Röckel: "Der Vogelgott"

Die große Frage nach Gut und Böse

Vögel fliegen vor Wolken. Davor das Buchcover.
Gräueltaten reihen sich an rätselhafte Vorfälle: Die Teilgeschichten in Susanne Röckels "Der Vogelgott" verzahnen sich ineinander. © Verlag Jung und Jung / Unsplash / Ethan Weil
Von Katharina Borchardt · 26.09.2018
Spannend, düster und rätselhaft: In "Der Vogelgott" beschreibt Susanne Röckel multiperspektivisch die Konfrontation der Protagonisten mit dem Teufel – fleischgeworden in der Figur des Vogels.
Alle jagen dem Vogel Greif nach: zuerst der Lehrer Konrad Weyde und später auch seine drei Kinder Thedor, Dora und Lorenz. Der Greif ist ein mächtiges Vogelwesen, das man nur noch aus Märchen oder anderen vormodernen Angsttexten kennt. Für die Weydes aber ist er sehr real, wie Susanne Röckel in ihrem neuen Roman "Vogelgott" auf atembenehmend düstere Weise beschreibt.

Vogelmord mit Folgen

Er beginnt mit einem Bericht von Konrad Weyde selbst. Als Hobby-Ornithologe ist er immer auf der Suche nach neuen Stücken für seine Sammlung. Als er in einem weit entfernten Dorf einen mächtigen Vogel ausmacht, steigt er ihm nach. Später wird das mächtige Wesen einen Ehrenplatz in der väterlichen Glasvitrine einnehmen. Ein Vogelmord als familiärer Sündenfall: Fortan kommen die Weydes von diesem Tier nicht mehr los. Und das will etwas heißen, denn "der Vogel Greif ist der Teufel", weiß Sohn Lorenz, oder zumindest ein Abgesandter des Teufels, der als modrig riechender, stark behaarter Verführer selbst im Laufe des Romans mehrfach auftritt.
Ihre Begegnungen mit dem Satan bzw. dem Satanischen schildern die inzwischen erwachsenen Kinder in der Folge aus je eigener Perspektive. Den Anfang macht Sohn Thedor, ein abgebrochener Medizinstudent, der in die Fänge der obskuren Hilfsorganisation "Save the World" gerät und in eine afrikanische Krankenstation entsandt wird. Dort hält er zwar Mailkontakt zu anderen Vernünftlern des globalen Nordens, erlebt aber zugleich einen Überfall von einheimischen Männern in archaischen Vogelkostümen. Dabei zerfleischen sie auch das Mädchen Miranda, in das Thedor sich verliebt hat. Ein grausiges Kapitel, das in seiner Verdichtung uralter Afrika-Klischees aber auch untergründigen Witz enthält.

Männliche Gewalt und weibliche Sanftmut

Thedors Schwester Dora untersucht derweil ein Madonnenbildnis, das in einer kleinen Kapelle am heimischen Stadtrand hängt. Der fiktive Maler Johannes Wolmuth hatte die Mariendarstellung im 17. Jahrhundert geschaffen. Die Kunsthistorikerin findet heraus, dass sich unter der Oberfläche ein älteres Gemälde befindet, das eine Maria zeigt, die von unheimlichen Vogelwesen umflogen wird: ein Hinweis auf die Gräueltaten der Landsknechte im Dreißigjährigen Krieg und auch auf die Geier, die das nach den Überfällen herumliegende Menschenaas anzog und die bald als Heilige verehrt wurden. Ein faszinierendes Kapitel, in dem Röckel auch die meist männliche Gewalt mit einer sehr berührenden weiblichen Sanftmut kontrastiert.

Der Bogen ins Jetzt

Zum Schluss ist es dann der Journalist Lorenz, der alle Fäden – die hier bereits genannten und noch einige mehr – zusammenführt und mit eigenen Recherchen zum Unfalltod eines Kindes und den dubiosen Machenschaften einer ortsansässigen Heilanstalt verknüpft. Dieses Kapitel schlägt den Bogen am entschiedensten ins Jetzt, überrascht mehrfach, wirkt allerdings auch überfrachtet.
So ist "Der Vogelgott" ein Roman, der aus eng miteinander verzahnten Teilgeschichten besteht, die alle die große Frage nach Gut und Böse stellen. Ein Werk von ganz eigentümlicher Kraft: düster, rätselhaft und spannend zugleich.

Susanne Röckel: "Der Vogelgott"
Verlag Jung und Jung
Salzburg 2018
270 Seiten, 22 Euro

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