Surfen in Marokko

Das schlechte Gewissen reist mit – oder nicht?

03:55 Minuten
Touristen surfen und baden am 29.03.2016 in Taghazout (Marokko) am Strand an der Atlantikküste.
Die Atlantikküste in Marokko ist beliebt bei Surf-Touristen. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Nele Rößler · 15.09.2019
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Die Klimabilanz ist meistens miserabel. Doch sportliche Abenteuer in Ferne bleiben verlockend. Nele Rößler über Schuldgefühle beim Freizeitsport in Afrika.
Wenn ich zumindest sagen könnte, ich habe das Paradies gefunden. Habe ich aber nicht. Ich habe mich oft verletzt und das hat weh getan. Aber es ist eben ein weit verbreiteter Irrtum, dass das, was man liebt, einem immer Spaß machen muss.
Ich liebe das Windsurfen, aber wir führen eine Fernbeziehung, denn ich wohne nicht am Meer. Deshalb fahre ich viele Kilometer mit dem Auto oder fliege.

Dorfbewohner brauchen die Touristen

Dieses Jahr war ich drei Wochen in Marokko, in Moulay. Das ist ein kleines Dorf an der Atlantikküste. Und zu meiner Verteidigung kann ich sagen: Es ist ein sehr armes Dorf. Ohne die Windsurfer, die kommen, gäbe es dort nichts. Die Menschen holen ihr Wasser noch aus Brunnen, die meisten Kinder besuchen nur ein paar Jahre die Schule, dann verkaufen sie von ihren Müttern gestrickte Mützen und selbst gemachtes Gebäck an ausgekühlte und hungrige Windsurfer. Hier gibt es keine Hilton-Hotels oder Tui-Ferienanlagen, sondern nur Guest Houses die von Marokkanern geführt werden.
Das hört sich nach übertriebener Urlaubs-Romantik an, es zeigt aber nur die extreme Abhängigkeit der Dorfbewohner von den Touristen mit ihren Segeln und Surfbrettern – und das ist eigentlich sehr traurig.
Viele Windsurfer kommen nur für ein paar Tage nach Moulay, aber sie kommen wieder und wieder. Auch ich würde gerne wieder dort hin. Wegen des Windes und der Wellen, aber eben auch um dieses kleine Dorf, das nichts außer Wind und Wellen hat, zu unterstützen. Zumindest rechtfertige ich das so in meinem Kopf.


Denn die Reise hat ihren Preis, 120 Euro hin und zurück kostet der Flug. Das ist, wenn man alleine fährt, doppelt so viel wie mit dem Auto von Köln nach Holland zu fahren. Das tut mir nicht weh. Schmerzhaft sind die 1070 kg CO2, die durch meinen Flug entstehen. Das jahresverträgliche Klimabudget eines Menschen liegt bei 2000 kg CO2. Durch den Flug von Köln nach Marrakesch habe ich also die Hälfte meines CO2-Budgets verbraucht. Bei der Flugbuchung wird mir vorgeschlagen, 25 Euro zu spenden. Gerne, wirklich gerne, würde ich glauben, dass ich damit meinen Soll erfüllt habe.
Die Atlantikküste in der Nähe des marokkanischen Dorfes Moulay.
Die Atlantikküste in der Nähe des marokkanischen Dorfes Moulay. © Deutschlandradio / Nele Rößler

Das Problem mit dem modernen Ablasshandel

Da muss jetzt auch niemand päpstlicher als der Papst sein, einmal im Jahr in ein Flugzeug steigen, das ist doch nicht so schlimm. Irgendwo in meinem Kopf ist diese Stimme und ich würde ihr gerne glauben. Aber natürlich weiß ich, dass das nicht stimmt. Das Problem am modernen Ablasshandel ist, dass wir dafür einfach zu viel wissen. Ab- und zu und manchmal, und die anderen, die sind ja eh alle viel schlimmer. Ich verachte diese Argumentation. Und mache es selbst. Dazu kommt etwas ganz simples: Ich windsurfe nicht so gut, dass ich nicht auch an der heimischen Nordseeküste etwas lernen könnte. Marokko hat nur die höhere Wind-Wahrscheinlichkeit.
Rein objektiv betrachtet, macht es keinen Unterschied, ob ich in meinem Urlaub 21 Tage surfe oder nur drei. Ich verdiene so ja nicht meinen Lebensunterhalt. Aber ich mache mein Zufriedenheitslevel davon abhängig, wie gut ich surfe. Ich stelle meinen Freizeit-Ehrgeiz also über das Wohlergehen anderer.
Ich unterstütze so zwar ein armes Dorf in Marokko, nur: Der afrikanische Kontinent wird unter dem Klimawandel mit am stärksten leiden. Wäre ich ehrlich, auf lange Sicht schade ich der jungen Generation dort weit mehr als ich mit meiner Anwesenheit Gutes tue. Habe ich deshalb ein schlechtes Gewissen? Manchmal. Würde ich es wieder machen?
Ja.

Außerdem in dieser Ausgabe unserer Sendung "Nachspiel": Die Einen zieht es zum Windsurfen nach Marokko, andere für einen Trip in die Berge. In den Alpen läuft so etwas wie ein Bewegungs-Überbietungs-Wettbewerb: Bergsteiger, Bergwanderer, herkömmliche Radler und E-Biker. BR 24 hat sich deshalb kürzlich gefragt: "Werden die Alpen von E-Bikes überrollt?" Ist die Lage wirklich so schlimm? Darüber spricht Thomas Wheeler mit Ernst Vogt, Leiter der Bergsteiger-Redaktion beim Bayerischen Rundfunk:
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