Superstar Burna Boy

Zu Hause auch mal homophob

09:00 Minuten
Burna Boy posiert für ein Porträt während der BET Awards 2019 im Microsoft Theater am 23. Juni 2019 in Los Angeles, Kalifornien.
Jede Menge Unterstützung internationaler Stars: Burna Boy, hier während der BET Awards 2019 in Los Angeles © Getty Images / BET / Bennet Raglin
Jens Balzer im Gespräch mit Oliver Schwesig · 18.11.2020
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Fürs internationale Publikum verbrüdert er sich mit queeren Stars. Für seine Fans zuhause hat er homophobe Parolen parat. Der nigerianische Popkünstler Burna Boy dreht sein Fähnchen gern nach dem Wind, beobachtet Musikkritiker Jens Balzer.
Oliver Schwesig: Heute Abend spielt der nigerianische Superstar Burna Boy ein Konzert in der Brixton Academy in London. Es wird weltweit live gestreamt. Tickets kosten 12,50 britische Pfund. Es ist eines der ambitioniertesten Livestream-Projekte, das jetzt in der zweiten Coronawelle im Angebot ist. Und das mit einem afrikanischen Künstler, auch das ist erstaunlich. Jens Balzer, wer ist Burna Boy?
Jens Balzer: Er ist tatsächlich der erfolgreichste und international bedeutendste afrikanische Popkünstler zurzeit. Ein Superstar in seinem Heimatland Nigeria, aber auch darüber hinaus. Im Sommer ist gerade sein fünftes Album "Twice as Tall" erschienen. Da gibt es klassischen afrikanischen Pop, also Afrobeat von Fela Kuti, der auch aus Lagos kam, mit seinen Jazz- und Funk-Einflüssen. Aber auch neuere Hip-Hop- und Trap-Elemente sind da zu hören.

Suche nach den Wurzeln der "Blackness"

Es liegt immer auch viel Autotune auf der Stimme. "Afro-Fusion" nennt er selber das Ganze. Und mit Fusion meint Burna Boy gewissermaßen die Verbindung von afrikanischer Musik mit der Musik der Afrodiaspora. Und Burna Boy hat schon vor diesem Konzert heute Abend die Unterstützung internationaler Superstars genossen. Er war schon mit seinem vorletzten Album "African Giant" zu einer Art Symbolfigur aufgestiegen, nicht nur für das afrikanische Publikum, sondern auch für afroamerikanische und afrobritische Künstler und Künstlerinnen, die sich auf die Suche nach den Wurzeln der Blackness begeben.
Er hat schon mit Beyoncé zusammengearbeitet. Und er hat auf dem neuen Album ein Feature mit dem britischen Grime-Rapper Stormzy, in dem es um den Rassismus geht, den schwarze Menschen in Großbritannien erleiden. Aber auch Chris Martin von Coldplay ist auf seinem neuen Album zu hören. Und er selber ist auf der aktuellen Platte von Sam Smith in dem Stück "My Oasis" zu hören.

Gewagtes Doppel: ein homoerotisches Duett

Schwesig: "My Oasis" von Sam Smith und Burna Boy, dieser Song hat aber auch für eine Kontroverse gesorgt. Was ist das Problem?
Balzer: Sam Smith ist offen schwul seit Beginn seiner Karriere. Inzwischen nennt er sich nicht-binär und lässt sich mit dem Pluralpronomen anreden. Und es gibt auf seinen Alben eine ganze Reihe von Songs, in denen er sich mit Homophobie, Coming-Outs und Diskriminierung befasst. Er ist also auch ein politischer Künstler.
Und jetzt also das Duett mit Burna Boy, aus dem man durchaus homoerotisches Begehren heraushören kann. Sagt der eine "Du spielst mit meinen Gefühlen", sagt der andere "Ich will Dich ganz, yeah".
Dazu muss man nun wissen, dass das Leben für queere Menschen in Nigeria nicht so lustig ist. Im Norden des Landes gilt die Scharia. Da steht auf Homosexualität die Todesstrafe, bevorzugt durch Steinigung. Im Süden ist Gefängnis bis zu einer Dauer von 14 Jahren vorgesehen.

Reisewarnung an queere Menschen für Nigeria

Bei Asher & Lyric, das ist eine Reiseagentur für queere Menschen, steht Nigeria auf dem Travelindex der gefährlichsten Orte weltweit auf Platz eins. Entsprechend könnte man die Zusammenarbeit mit Sam Smith jetzt als emanzipatorisches Statement betrachten. Könnte man, wenn die beiden das Ganze etwas offensiver angegangen wären. Also als eine klare Empowerment-Hymne, vielleicht auch noch flankiert durch Interviews oder Statements in den sozialen Medien. Das war nun beides nicht der Fall.
Das kann man vielleicht im Fall von Burna Boy auch nicht erwarten, weil seine Karriere in Nigeria zweifellos zu Ende wäre, wenn er sich für sexuelle Gleichberechtigung einsetzt. Die Kritik von queeren Menschen aus Nigeria richtete sich erst einmal an Sam Smith. In dem Sinne: Wie fühlst du dich als Person aus dem internationalen LGBTQ*-Jetset, die an der Seite von Burna Boy singen darf. Was für jeden queeren Menschen aus Nigeria unvorstellbar wäre? Hast du dazu irgendeine Position? Auf diese Fragen kam von Sam Smith keine Antwort, was man enttäuschend finden konnte. Und von Burna Boy schon gar nicht,

Kritik an homophober Polemik

Schwesig: Und es gibt dann eben auf dem "Twice as Tall"-Album auch noch einen Song mit dem Titel "Wetin Dey Sup", produziert übrigens von Timbaland, dem legendären US-Produzenten und Erneuerer des R'n'B.
Balzer: Richtig, das ist noch so eine Kooperation, die Burna Boys internationalen Star-Status bekräftigen soll und bekräftigt. Auch der hat eine sozialkritische Stoßrichtung, spielt im Titel auf Marvin Gayes "What’s Going On" an. Gleich am Anfang des Songs heißt es dann aber: "I no be one of those men wey dey fear toto fuck nyash." Auf Deutsch: Ich gehöre nicht zu den Männern, die Angst vor der Vagina haben und deswegen in den Arsch ficken.
Und in dem Stück "Real Life", dem schon erwähnten Duett mit Stormzy heißt es, - ich übersetze das gleich mal: Wenn sie dich in den Arsch ficken wollen, leg dich nicht hin. Das hat ja nun doch, sagen wir mal, einen Zug ins Homophobe - und wurde in der queeren Community in Nigeria und anderswo auch so verstanden.
Also: Fürs internationale Publikum verbrüdert er sich mit queeren Stars. Für das Publikum zuhause hat er - im nigerianischen Patois, das man anderswo erstmal gar nicht versteht – die üblichen homophoben Parolen parat.

Rezensenten sehen darüber hinweg

Schwesig: Was bedeutet das für seine Musik? Darf man die trotzdem noch hören?
Balzer: Es sollte ja grundsätzlich nicht darum gehen, Verbote auszusprechen. Aber man sollte solche problematischen Aspekte schon aussprechen und diskutieren. Das hat von den deutschen Rezensenten des Albums keiner getan. Und das kam auch in den großen Porträts in der New York Times und im Guardian nicht vor. Der erste, der darauf hingewiesen hat, war vor zwei Wochen Jan Kedves in der Süddeutschen Zeitung.
Schwesig: Woher kommt diese Ignoranz?
Balzer: Es gibt für uns deutsche Kritiker und Kritikerinnen natürlich die Sprachbarriere. Viel von dem, was da gerappt wird, auf Englisch, Pidgin und Yoruba, zieht auch einfach mal so an einem vorbei. Man kann das im Grunde erst anhand der Diskussionen rekonstruieren, die es in Nigeria gab.

Sexismus verdeckt von postkolonialen Debatten?

Und dann ist es natürlich nicht einfach, mit so einer Ambivalenz umzugehen. Also da ist ein Künstler, bei dem gibt es emanzipatorische und reaktionäre Aspekte. Das erinnert natürlich an die jahrzehntelangen Debatten über jamaikanischen Dancehall Reggae. Wie geht man mit jemandem wie Buju Banton um, der gleichzeitig sozialrevolutionäre und antikoloniale Botschaften hat, aber eben auch dazu aufruft, Schwule zu töten?
Diese Debatte ist damals ja ausgiebig geführt worden, während das im Fall von Burna Boy gerade eher totgeschwiegen wird. Ich glaube auch, weil die Diskurslage in Zeiten von Critical Whiteness und postkolonialer Theorie eher so ist, dass Sexismus und Homophobie nur noch als Nebenwidersprüche wahrgenommen werden. Es wäre gut, wenn die Debatte um Burna Boys Homophobie - gerade auch nach diesem Mega-Konzert heute Abend - nicht gleich wieder im Sande verläuft.
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