Superhirn des Lebens

16.02.2013
Die Wissenschaftsautoren Nadja Podbregar und Dieter Lohmann haben in 16 Kapiteln zahlreiche Beispiele faszinierender Überlebensstrategien zusammengetragen. Anschaulich und amüsant erzählen sie Geschichten aus dem Experimentierkasten der Evolution.
Sklavenhalter in der Tierwelt? Das klingt absurd und kommt doch vor. Eine kanadische Ameisenart jedenfalls hält sich Haussklaven. Die aus anderen Nestern geraubten Ameisen tun einfach alles für ihre Chefin – vom Putzen über die Brutpflege bis zur Futtersuche. Nur um eines muss sich die Sklavenkönigin allein kümmern: Bevor ihre Leibeigenen an Altersschwäche sterben, muss sie aus benachbarten Ameisenkolonien einen Nachschub an Puppen rauben.

Die Tier- und Pflanzenwelt steckt voll skurriler Verhaltensmuster, verblüffender Anpassungsmethoden an extreme Umweltverhältnisse, erstaunlicher Fähigkeiten. Die Evolution hat sich jedenfalls eine Menge einfallen lassen, um ihren Geschöpfen Überlebensvorteile zu sichern. Warum dabei Riesen wie die Dinosaurier entstanden sind, kann die Wissenschaft allerdings bis heute nicht schlüssig beantworten.

Die Wissenschaftsautoren Nadja Podbregar und Dieter Lohmann unterstützt von zwei Co-Autorinnen haben in 16 Kapiteln zahlreiche Beispiele faszinierender Überlebensstrategien zusammengetragen. Anschaulich und amüsant erzählen sie Geschichten aus dem Experimentierkasten der Evolution, verstehen es, komplizierte Sachverhalte in verständliche Sprache zu übersetzen. Einige Fotos ergänzen die Texte. Hier hätte man gerne mehr gesehen.

Außerdem kennt man einige der spektakulären Beispiele bereits, wie das der Bakterien, die in rund 2500 Meter Tiefe unter extremem Druck und im Dunkeln an schwarzen Rauchschloten am Meeresboden bei über 100 Grad Hitze prächtig gedeihen. Mit welchen Tricks sie ihre DNA vor der Zerstörung bewahren, verstehen die Biologen noch nicht. Das gilt auch für ein Bakterium, das das Tausendfache der tödlichen Dosis radioaktiver Strahlung problemlos übersteht.

Es ist immer wieder faszinierend, wie sich Tiere und Pflanzen an extreme Umweltsituationen angepasst haben. Frösche und Insekten überstehen Tiefkühltemperaturen, indem sie zum Beispiel Frostschutzmittel wie Glycerin oder Zucker produzieren. Beides verhindert die Bildung von Eiskristallen, die sonst die Zellwände zerstören. Die Getreideblattlaus überlebt sogar unbeschadet Temperaturen bis minus 23 Grad.

Eher schockierend sind die Berichte über Kannibalismus in der Tierwelt, wenn Jungtiere sich bereits im Mutterleib gegenseitig umbringen, wie das bei den Sandtigerhaien der Fall ist. Der am weitesten entwickelte Embryo verspeist seine geschlüpften Geschwister. Wenn er dann zur Welt kommt, hat er sich schon mal einer Menge Konkurrenten entledigt.

Die Evolution, das zeigen die Autoren überzeugend, erweist sich als extrem einfallsreich. Sie hat lange vor uns Formen von GPS-Ortung durch Schallschwingungen erfunden, kennt Bioluminenz, Mimikry, Symbiosen. Angesichts der Vielfalt an Fähigkeiten, die sie hervorgebracht hat, wird man ganz bescheiden.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Nadja Podbregar / Dieter Lohmann (Hg.) - Im Fokus: Strategien der Evolution – Geniale Anpassungen und folgenreiche Fehltritte
Springer Spektrum Verlag, Heidelberg 2013
263 Seiten, 19,95 Euro