Sulle Rive Del Tango

Moderne Spielarten des Tangos

Tango tanzende Paare im Roten Salon der Volksbühne in Berlin, Aufnahme von 2010
Tango-Fans würden die wenigsten der Stücke von Sulle Rive Del Tango als echten Tango anerkennen - doch die Musik zieht viele Tänzer an. © picture alliance / dpa
Von Thorsten Bednarz · 04.06.2015
Bei den Tangoabenden Sulle Rive del Tango in Neapel erklingt nicht der klassische argentinische Tango, sondern Pop-affine Musik, die Elemente des Tango aufgreift. Das sorgt seit zehn Jahren für viele Besucher. Zum Jubiläum veröffentlichten die Macher eine neue Doppel-CD mit der Musik aus aller Welt.
Ist das nun noch Tango oder soll es eine Light-Version für Einsteiger sein? Wer die Compilations aus der Reihe Sulle Rive del Tango kauft, der hört darauf keinen traditionellen argentinischen Tango, keinen Piazolla, keinen Gardel. Dafür moderne Tangos aus Finnland, Japan, den USA, Spanien, vom Balkan und immer wieder auch aus Italien. Denn dort in Neapel begann diese Geschichte vor zehn Jahren. Natürlich mit Tanzabenden und echtem argentinischen Tango.
Doch bald merkten die Betreiber der Tanzabende, dass ihnen das Publikum ausblieb, dass diese Musik oftmals als sehr schwer empfunden wurde und sich viele nicht mit den anderen, geübten Tänzern aufs Parkett wagten. Also suchten die Betreiber immer öfter nach musikalischen Alternativen, spielten statt argentinischem Tango eher dessen neuere Spielarten, Musik, die bestimmte Merkmale des Tangos aufgreift, ohne diesen in seiner Reinform zu spielen. Und bald schon waren die Abende gut besucht, wenn auch mit einem anderen Publikum als zuvor. Sara D'Ajello ist von Anfang an dabei.
"Es ist ein sehr gemischtes Publikum. Da gibt es welche, die ganz besonders diese Musik mögen und darüber zum Tango gekommen sind, und es gibt auch die, die den traditionellen Tango mögen, so wie wir auch. Es mischt sich wirklich und das hängt vielleicht immer mit davon ab, warum jemand tanzt. Es kommt gar nicht darauf an, welche Musik läuft – ob Tango oder nicht – sondern, was die Musik auslöst. Das sind manchmal ganz interessante Verbindungen zwischen den Tänzern, die da entstehen und die dann auch die Hürde und den großen Respekt vor der Tradition des Tangos besiegen."
"Was ist Tango?"
Den Respekt vor der großen Tradition des Tangos zu verlieren, das ist nicht einfach. Doch Sara D'Ajello und ihre Mitstreiter haben sich kleine Spiele einfallen lassen. Da soll man zum Beispiel ganz entspannt durch einen Raum gehen und immer wieder einmal stehen bleiben. Im nächsten Schritt tut man das mit der Person, neben der man zu stehen kommt. Danach schließt einer der beiden die Augen, lässt sich vom anderen führen und wenn man so Vertrauen zueinander gefunden hat, nimmt man sich in die Arme, hört die Musik und beginnt, sich dazu zu bewegen.
Irgendwann stieß auch Davide Mastropaolo zu dieser Gruppe. Er ist selbst Musiker, hatte in Barcelona bei einem Argentinier Tange studiert. Argentinischen Tango, nichts anderes! Heute betreut er die kleine Plattenfirma Agualoca Records, auf dem die Compilations Sulle Rive del Tango erscheinen. Und nicht nur das – das Label hat sich aus der Idee dieses neuen musikalischen Ansatzes heraus entwickelt.
Davide Mastropaolo: "Am Anfang sagte ich auch: Toll, auch wenn es kein Tango ist! Aber dann fragte ich mich: was ist - musikalisch betrachtet - Tango? Oder: Was ist er nicht? Ich habe dann die Musik und Geschichte des Tangos studiert und bin zu dem Schluss gekommen – für mich ist der Tango heute ein globales Phänomen. Warum soll man dann nicht die verschiedenen Herangehensweisen mischen können? Ein Klang von hier, eine rhythmische Struktur von dort.
Aus dieser Überlegung ist die Plattenfirma entstanden, denn ich sagte mir: Wir haben schon die Band Sineterra, wir haben auch das Orchestre Joubés, welches für eine der Ausgaben entstand. Und mir war klar: Das ist eine Werkstatt, in der sich die Leute treffen können, und das sind Leute, mit denen ich auch gerne arbeiten würde. Das sind gute Freunde, mit denen man viel Zeit verbringen kann und das ist für mich immer sehr wichtig!"
Immer wieder berührende Augenblicke
Inzwischen veröffentlicht Davide Mastropaolo auch Platten von Nicht-Tango Musikern. Aber auch der Star des Labels, die Sängerin Flo, begann auf einer dieser Compilations.
Sulle rive del Tango will Menschen zusammen bringen – jeden Alters, jeder musikalischer Vorliebe. Und so kommt es auch immer wieder zu kleinen, ganz berührenden Augenblicken. Fabrizio Ferranti, ebenfalls von Anfang an als Organisator der Tanzabende mit dabei, hatte so einen bei der Präsentation in Berlin:
"Eine ältere Dame hat das neue Arrangement für time von Ringe Ringe Raja gehört und fragte mich: Ich kenne das Stück, habe es aber nie so gehört. Ich habe selbst bis vor sechs Jahren noch Tango getanzt, musste dann aber aufhören, weil ich ein Problem mit dem Knie hatte. Aber seit damals sind mir vier oder fünf Stücke im Gedächtnis geblieben, und dies ist eines davon. Ich habe ihr einige Stücke vorgespielt und dann erkannte sie time und fragte mich, ob ich nicht mit ihr noch einmal dazu tanzen könnte – den ersten Tango seit sechs Jahren! Ich bin förmlich weggeschmolzen."
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