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Ausstellung
Die französische Sicht auf die Humboldt-Brüder

Wie kein anderes Brüderpaar haben sie ihre Epoche geprägt: Wilhelm und Alexander von Humboldt. Der eine Bildungsreformer, der andere Naturforscher. Eine Ausstellung im Observatorium in Paris, wo die Brüder zeitweise lebten, versucht, ein schillerndes Kapitel des deutsch-französischen Wissenschaftsaustauschs nachzuzeichnen.

Von Björn Stüben | 18.05.2014
    Denkmäler: Alexander (r.) und sein Bruder Wilhelm von Humboldt vor der Humboldt-Universität in Berlin.
    Denkmäler: Alexander (r.) und sein Bruder Wilhelm von Humboldt vor der Humboldt-Universität in Berlin. (picture-alliance / Wolfram Steinberg )
    Wie kommt nur der schlichte Birkenholz-Schreibtisch des deutschen Naturforschers Alexander von Humboldt, an dem dieser bis zu seinem Tod 1859 in Berlin arbeitete, ins renommierte Pariser Observatorium? Einst aus dem Humboldt-Nachlass erstanden, hatte sich ein Holländer 1883 entschieden, das Möbelstück der renommierten Forschungsstätte in Paris zu überlassen.
    Und das wohl nicht ohne Grund: Alexander von Humboldt, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts Jahrzehnte in Paris verbrachte, war eng mit François Arago, dem damaligen Direktor des Observatoriums, befreundet. Und so dient der Schreibtisch hier jetzt als Paradestück in einer Ausstellung. Bénédicte Savoy, Kunstgeschichtsprofessorin an der Technischen Universität in Berlin, versucht unter dem Titel "Die Brüder Humboldt - das Europa des Geistes" am Beispiel von Wilhelm und Alexander von Humboldt ein schillerndes Kapitel des deutsch-französischen Austausches in den Natur- und Geisteswissenschaften nachzuzeichnen:
    "Das ist Europa um 1800, ein Kontinent höchster Mobilität, geistiger Mobilität. Die Französische Revolution hat die Leute so elektrisiert, dass sie auch innerlich beschleunigt sind, mental, aber auch körperlich. Sie reisen viel. Und die Nationenbildung fängt erst an. Das heißt, das ist eine Zeit, in der Europa erlebbar ist in den Biografien."
    Paris muss magnetisch auf die Humboldt gewirkt haben
    Sprache, Literatur und Kunst, Staatstheorie und Bildung standen bei Wilhelm von Humboldt im Mittelpunkt des Forscherdrangs; Physik, Geologie, Astronomie, Mineralogie und Zoologie waren es bei seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Alexander. Die beiden preußischen Gelehrten bereisten schon früh ganz Europa und Paris muss aufgrund der politischen Ereignisse damals magnetisch auf sie gewirkt haben.
    "Die Französische Revolution erleben die Brüder Humboldt in Paris. Der eine erlebt tatsächlich den Abriss der Bastille im Sommer 1789, der andere kommt etwas später. Beide sind ungefähr 20 Jahre alt. Und wer so etwas erlebt mit 20, ist davon geprägt. Das sagen sie auch. Und beide erleben da Initialzündungen für künftige Beschäftigungen. Wilhelm von Humboldt für seine Theorien des Staates. Also er fängt an zu grübeln: Was ist der Staat, bis wohin darf der Staat gehen im Leben eines Individuums? Alexander in Paris, das ist sein Startpunkt für die Amerikareise. Eigentlich will er mit Bonaparte zusammen nach Ägypten, es klappt aus infrastrukturellen Gründen nicht und er organisiert sich dann seine eigene Reise nach Südamerika."
    Der Aufbau der Ausstellung enttäuscht jedoch in seinem ersten Teil. Es sind lediglich Schauwände, die Leben und Wirken der beiden Humboldts illustrieren und ihre hugenottischen Wurzeln mütterlicherseits beleuchten. Auf Landkarten werden ihre Reisen durch Europa nachgezeichnet. Ihre französischen Bekanntschaften von Madame de Stael über Jean-François Champollion, dem Hieroglyphenerforscher bis zu Dominique-Vivant Denon, dem erster Direktor des damals noch jungen Louvre, werden ebenfalls vorgestellt.
    Die Brüder sind heute beinahe unbekannt in Frankreich
    Ihre Mitwirkung bei der Gründung des Alten und Neuen Museums und natürlich der Universität in Berlin lassen sich ebenso nachlesen wie Wilhelm von Humboldts Rolle beim Wiener Kongress und Alexanders diplomatische Verwicklungen zwischen Frankreich und dem preußischen König. Das Leben der Humboldts war so facettenreich und mit dem Zeitgeschehen ihrer Epoche auch auf europäischer Ebene eng verflochten. Dennoch sind die beiden Brüder heute beinahe unbekannt in Frankreich. Das erklärt wohl den didaktisch so spröde konzipierten Aufbau der ersten Ausstellungssektion.
    "Sie waren im 19. Jahrhundert so bekannt, dass das Manuskript des Kosmos von Alexander von Humboldt dem Kaiser Napoleon III. geschenkt wurde. Also sie waren so bekannt, dass das eben ein Staatsgeschenk war. Wie sie in Vergessenheit geraten konnten, haben wir eigentlich noch nicht richtig verstanden, das muss man noch erforschen. Aber dass Persönlichkeiten, die weltberühmt sind, nur in Frankreich nicht bekannt sind, das ist sehr französisch."
    Ausstellung überzeugt erst im zweiten Teil
    In ihrem zweiten Teil überzeugt die Schau dann aber doch noch. Der Charme des holzgetäfelten Saals im Observatorium und die mit Manuskripten, Stichen, Tintenfässern oder Mineraliensammlungen angefüllten Vitrinen machen die Zeit, die Epoche der Humboldts atmosphärisch greifbar. Ein bisher unveröffentlichtes Porträt Alexanders, entstanden 1806 im französisch besetzten Berlin, zeigt den knapp 30-Jährigen draufgängerisch lächelnd. Ein Selbstbildnis, das er 1814 anfertigte, zeugt von seinem enormen Zeichentalent.
    Wilhelms in Englisch abgefasste Notizen zur Erforschung der Sprache der amerikanischen Cherokee-Indianer faszinieren ebenso wie die in Glaskolben präsentierten Fische, die Alexander zufolge nach Vulkanausbrüchen in Peru auf die Landschaft niederregneten. Spätestens jetzt verspürt der Besucher Lust dazu, sich nun auch in den vorzüglichen Ausstellungskatalog zu vertiefen, worin er dann schnell für den holprigen Auftakt der Schau entschädigt wird.