Süßstoff-Rückstände im Wasser - eine Gefahr?

Von Udo Pollmer · 28.06.2009
Karlsruher Chemiker haben im Wasser vier künstliche Süßstoffe nachgewiesen. Aus Limonade oder Kaffee gelangen sie mit dem Urin ins Abwasser und von dort in die Kläranlage, wo sie nur unvollständig entfernt werden. So gelangen Süßstoffe in die Flüsse und damit ins Trinkwasser.
Welche Folgen hat das für Mensch und Umwelt?
Was den Menschen betrifft, besteht ein Risiko allenfalls für denjenigen, der Cola oder Kaffee mit Süßstoff trinkt. Solange die "Süße" im Trinkwasser nicht hervorschmeckt, ist es für den Menschen nicht relevant. Einfach deshalb, weil hier die Dosis das Gift macht. Aber es ist schon gut, wenn die Bürger erfahren, dass Rückstände im Trinkwasser nicht nur von Pharmafirmen, Chemiefabriken oder Obstplantagen stammen, sondern auch von Zusatzstoffen in ihren Lebensmitteln – noch dazu von den überflüssigsten, die sich denken lassen. Normalerweise wird ja nach solchen Funden der Ruf laut, Fische und Frösche vor Fremdstoffen zu schützen. Aber hier hab ich noch nix gehört – obwohl einer der Süßstoffe, die Sucralose, sogar zur Chlorchemie zählt. So oder so – schlanker werden die Lurche davon bestimmt nicht.

Es ist ja durchaus sinnvoll, die Belastungen einzudämmen – und da sind Pestizide aus der Landwirtschaft nun mal riskanter als Süßstoffe.
Das stimmt natürlich, aber die meisten Pestizide kommen ja gar nicht aus der Landwirtschaft. Für Deutschland fehlen meines Wissens die Daten, aber für die Schweiz sind sie soeben veröffentlicht worden. Dort versprühen die Bauern nur ein Viertel der Produktion. Genauso viel wie die Landwirtschaft verbraucht, kommt am Bau zum Einsatz. Da befinden sich die Pestizide beispielsweise in den Hausanstrichen, insbesondere für Wärme dämmende, umweltfreundliche Fassaden. Viele Farben und Putze enthalten Biozide. Regen löst sie aus der Fassade. Und schon gelangen sie ins Gewässer.

Je ein Viertel Pestizide für Landwirtschaft und Bau – wo bleiben die restlichen 50 Prozent?
Die restlichen Biozide packt man in Hygieneartikel und Haushaltsprodukte, in Antifouling-Anstriche für Boote oder in Textilien als Schimmel- oder Mottenschutz. Einige dienen zur Schleimbekämpfung bei der Papierherstellung, andere zur Bekämpfung von Nebenfischen in Teichen und natürlich in Schwimmbädern und Swimmingpools zur Beseitigung von Algen. Nicht zu vergessen die Wirkstoffe in der Kleidung und Waschmitteln wie zum Beispiel optische Aufheller. Aber sobald das Zeug im Haushalt verwendet wird, schwindet das öffentliche Interesse.

Haben Sie weitere Beispiele?
Ja natürlich. In deutschen Gewässern werden neuerdings Benzotriazole nachgewiesen. Was wie ein Pflanzenschutzmittel klingt, entstammt vor allem geklärten kommunalen Abwässern. Das weist auf eine Verwendung im Haushalt hin: Die Wirkstoffe kommen aus Spülmitteln: Es sind Korrosionsinhibitoren, damit die Geschirrspüler nicht verrosten. Daneben werden Benzotriazole auch noch zur Flugzeugenteisung eingesetzt, aber das spielt hier keine große Rolle.

Sind die Gehalte gesundheitlich relevant?
Zunächst einmal sind die Mengen mit bis zu einem Milligramm pro Liter schon erheblich. Die Gesamtmenge an Agrarpestiziden, die im Trinkwasser enthalten sein darf, liegt bei 500 Nanogramm pro Liter. Die Benzotriazole bieten damit das 2.000-fache. Selbst die Süßstoffe erreichten zusammengenommen Werte, die bis zu 500-fach über dem Gesamtpestizidwert lagen – wohlgemerkt, das sind jeweils nur ein paar Stoffe im Gegensatz zur breiten Palette der Pflanzenschutzmittel. Für eine toxikologische Bewertung der Benzitriazole ist es allerdings noch zu früh. Man hat keine Ahnung, wie das Zeug wirkt. Aber es kann durchaus sein, dass unsere Geschirrspüler für Kaulquappen problematischer sind als moderne Pestizide. Kämen die Stoffe vom Acker, gäbe es großes Geschrei – aber was man selbst im Haushalt verwendet, wird mit milderem Blick gesehen.

Literatur:
Scheurer M et al: Analysis and occurrence of seven artificial sweeteners in German waste water and surface water and in soil aquifer treatment (SAT). Analytical and Bioanalytical Chemistry 2009; 6: 1585-1594
Bürgi D et al: Priorisierung von bioziden Wirkstoffen aufgrund der potenziellen Gefährdung schweizerischer Oberflächengewässer. Umweltwissenschaften & Schadstoff-Forschung 2009; 21: 16-26
Burkhardt M et al: Biozide in Gebäudefassaden – ökotoxikologiche Effekte, Auswaschung und Belastungsabschätzung für Gewässer. Umweltwissenschaften & Schadstoff-Forschung 2009; 21: 36-47
Fries E: Korrosionsinhibitoren in der aquatischen Umwelt. Mitteilungen der Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie 2009; 15: 6-8
Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch. 21. Mai 2001, BGBl I S.959