Südafrikas Townships

"Hier herrscht wahre Freiheit"

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Max Mqadi, Besitzer der Bar "Max's Lifestyle" - Treffpunkt der Mittelklasse in Umlazi, einem der größten Townships Südafrikas. © Deutschlandradio / Leonie March
Von Leonie March · 19.05.2016
In den Medien tauchen Südafrikas Townships vor allem als Orte von Armut und Kriminalität auf. Doch mittlerweile zieht es immer mehr Menschen der schwarzen Mittelschicht dorthin - weil das Leben dort günstiger und bunter ist.
Bhekukwenza Cele lehnt an seinem Gartenzaun und genießt die Aussicht: Hunderte Blechdächer reflektieren die Sonne, verwinkelte Straßen durchziehen die Wohnviertel, im Tal mäandert ein Fluss. Dahinter erstreckt sich bis zum Horizont die grüne Hügellandschaft Kwazulu-Natals.
"Ich bin hier, ganz in der Nähe, geboren und aufgewachsen. Damals war dies noch eine ländliche Gegend. Zu Beginn gab es nicht einmal eine Schule. Meine Eltern waren einfache Leute: Mein Vater hatte Obstbäume, Zuckerrohr und mehrere Kühe. Dann wurde Umlazi von der Apartheid-Regierung zu einem schwarzen Township erklärt und immer dichter besiedelt. Die Regierung hat sogenannte Matchbox-Häuser errichtet, so klein wie Streichholzschachteln. Später haben wir dann diese neuen Häuser gebaut."

Im Township sicherer als in vielen ehemals weißen Vororten

Ein Nachbar fährt hupend vorbei. Bhekukwenza Cele winkt ihm freundlich zu. Der pensionierte Schuldirektor lebt in einer ruhigen Seitenstraße, gesäumt von gediegenen Einfamilienhäusern. In den Vorgärten spenden Mango- und Avocado-Bäume Schatten. In den Einfahrten parken auch nagelneue Autos.
Hier wohnen – unübersehbar – Mittelschichtfamilien. Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte, erzählt der 63-Jährige stolz. Und das mitten in Umlazi, einem der größten Townships Südafrikas, größer als viele Städte. Schätzungen zufolge leben hier eine halbe Million Menschen. Eigentlich ein berüchtigtes Pflaster, das mit Kriminalität, Drogen und Arbeitslosigkeit Schlagzeilen macht.
"Da drüben in dem Viertel treiben tatsächlich Gangster ihr Unwesen. Die Leute sind sehr arm. Zwischen den alten Häuschen entstehen immer mehr illegale Hütten aus Blech und Pappe. Dort gibt es wirklich viele Probleme. Aber uns betrifft das nicht. Wir müssen uns keine Sorgen machen, wenn wir in Ferien fahren. In anderen Vierteln wird man dagegen beobachtet, wenn man sein Haus verlässt und bevor man sich versieht, bricht schon jemand ein."
Im Township könne man sogar sicherer leben als in vielen der ehemals weißen Vororte, fügt der Pensionär augenzwinkernd hinzu, dreht sich um und geht auf sein Haus zu. In der Einfahrt stehen sein Mercedes und ein Pick-Up. Seine Frau parkt ihren Kleinwagen in der Garage. Das ist unser kleines Reich, sagt der 63-Jährige stolz.
Vom offenen Wohn- und Esszimmer führt ein Flur an der Küche vorbei zu mehreren Schlafzimmern und Bädern. Das Haus ist nicht so riesig, wie andere in der Nachbarschaft, eher schlicht aber gemütlich. Und kein Vergleich zu den Matchbox-Häusern in anderen Vierteln des Townships.
Das Wohnzimmer wird neben dem Fernseher von einer schweren, braunen Couchgarnitur dominiert. Am großen Esstisch ist viel Platz für Gäste, an den Wänden hängen Bilder afrikanischer Landschaften neben den Fotos der drei Kinder. Zwei junge Männer in Anzügen und eine strahlende Braut in weißer Spitze.
"The elder one got married, she is in Joburg now. That’s she! The other one is working in Durban. The other one is still finding his foot."
Bis auf den Jüngsten sind alle ausgeflogen. Sie haben studiert und arbeiten – der Sohn nur wenige Kilometer entfernt, in der Hafenmetropole Durban, die Tochter in Johannesburg.
"Wir achten darauf, dass unsere Kinder zur Schule gehen. Bei uns im Viertel hängen die Jugendlichen nicht einfach so auf der Straße herum. Hier gibt es keine Hooligans. Wir sind so wie andere Leute aus der Mittelklasse."

Günstigere Immobilien, schlechtere Schulen

Zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung zählen zur Mittelschicht, je nachdem welche Kriterien angelegt werden. Ob man nur das Einkommen zu Grunde legt oder auch Wertevorstellungen, wie die Bedeutung von Bildung und Familie. Der Anteil schwarzer Südafrikaner daran sei seit dem Ende der Apartheid jedenfalls deutlich gewachsen, betont Gabriela MacKay vom "Institute for Race Relations" in Johannesburg. Viele habe es mit wachsendem Wohlstand in die ehemals rein weißen Viertel gezogen, aber längst nicht alle.
"Viele sind in den Townships geblieben, weil es dort einfacher ist, einen besseren Lebensstil zu erlangen. Auch in Soweto gibt es Mittelklasse-Viertel mit größeren Häusern, Gärten und Schwimmbädern. Diese Immobilien sind deutlich preiswerter als in den ehemals weißen Vororten und auch Grundsteuer und andere Gemeindeabgaben sind wesentlich niedriger. Das einzige Manko ist vielleicht noch der Mangel an erstklassigen Schulen.
Aber die Sicherheitslage und die öffentliche Versorgung mit Strom und Wasser sind in einer guten Township-Lage auch nicht schlechter. Es ist also ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis."
Finanzielle Überlegungen haben für Bhekukwenza Cele tatsächlich auch eine Rolle gespielt, aber nicht den Ausschlag gegeben. Er kennt das Leben jenseits von Umlazi und er mochte es nicht besonders. Erst zog er wegen des Studiums fort und danach, als er zum Schuldirektor befördert und an eine etwa einhundert Kilometer entfernte Schule versetzt wurde.
Jahrzehntelang musste er pendeln. Aus Sehnsucht nach seiner Familie, den Nachbarn und der Kirche ließ er sich früh pensionieren. Ein Umzug kommt für ihn und seine Frau nicht mehr in Frage.
"Wenn ich jetzt wegziehen würde, wie würde ich dann zur Kirche kommen? Es würde mich viel Geld kosten, mehrmals in der Woche hierherzufahren. Ich kenne Leute, die von Umlazi in die ehemals weißen Wohnviertel gezogen sind. Doch viele kommen wieder zurück. Einige aus finanziellen Gründen, aber viele auch, weil sie den sozialen Zusammenhalt im Township vermissen. In weißen Vororten kennt man ja nicht einmal seine direkten Nachbarn! Uns halten hier also vor allem Familie, Verwandte und die Kirchengemeinde. Die Menschen mit denen wir unser Leben teilen."
Der 63-Jährige wuchtet seinen Körper aus dem tiefen, weichen Sessel, nimmt Schlüsselbund und Portemonnaie vom Couchtisch und schließt die Haustür zu. Er will ins Einkaufzentrum. Und dazu muss er nicht mehr, wie früher, bis nach Durban fahren.

Querschnitt der Gesellschaft

Die kleine Straße windet sich den Hang herunter, vorbei an schicken, villenähnlichen Neubauten und älteren, gepflegten Einfamilienhäusern. Am Fuß des Hügels mündet sie in eine größere Schnellstraße.
Sie führt quer durch mehrere Viertel Umlazis, die nach dem Alphabet von A bis Z benannt sind und sich schon im Vorbeifahren deutlich unterscheiden. Teils sind die Seitenstraßen nicht geteert, Trampelpfade führen durch Siedlungen winziger Häuser und Blechhütten. Frauen rösten Maiskolben auf Holzkohlegrills, Friseure schneiden in selbstgebauten Zelten Haare. Vergitterte Schiffscontainer dienen als Tante-Emma-Läden, Minibustaxis parken in zweiter Reihe.
Auch das ist Umlazi. Townships wie dieses sind ein Querschnitt der Gesellschaft. Von Arm bis Wohlhabend, in allen Schattierungen.
Die "Umlazi Mega City" ist ein glitzernder Einkaufstempel, wie man ihn auch ihn den ehemals rein weißen Vierteln findet. Jugendliche in Schuluniformen schlendern durch die hellen Flure, ihre Smartphone immer im Blick. Junge Frauen stöckeln in Highheels und enganliegenden Kleidern über die gewienerten Fliesen. Auch junge Männer haben sich schick gemacht: In schmalen Hosen, glänzenden Schuhen und taillierten Hemden. Man zeigt was man hat, und was man sich leisten kann.
Diese Konsumfreude haben natürlich auch Geschäftsleute gewittert. Das Einkaufszentrum wird gerade für umgerechnet etwa 21 Millionen Euro ausgebaut und soll bald doppelt so groß sein: Mit über 57.000 Quadratmetern für Geschäfte, Kinos, Restaurants. Davon profitieren auch die angrenzenden Wohnviertel, sagt Immobilienmaklerin Zikho Kwela.
"Die Tatsache, dass es hier eine moderne Mall gibt, lässt die Immobilienpreise steigen. Außerdem gibt es ganz in der Nähe eine Universität, Schulen und ein Krankenhaus. Wer hier neu baut, orientiert sich an den Häusern in den weißen Vororten. Die Leute haben dort vielleicht ein paar Jahre gewohnt und wollen auf einen gewissen Standard nicht mehr verzichten. Damit verbessern sie auch den Lebensstil und die Infrastruktur im Township."

Feiern, so laut man will

Die Immobilienmaklerin beobachtet die Passanten, die mit Einkaufswagen und Plastiktüten bepackt vorbeilaufen. Sie verkauft sowohl Häuser in den Vororten, als auch in den wachsenden Mittelschichtsvierteln Umlazis. Die Kunden unterscheide vor allem eines, erzählt sie: Das Alter.
"Wenn man aufwächst, dann träumt man davon, einmal in dem Haus zu wohnen, das man im Fernseher sieht. Nicht vom Haus nebenan. 25- bis 30-Jährige zieht es deshalb verstärkt in die Vororte oder Innenstädte. Diejenigen dagegen, die sich für die Häuser in den Townships interessieren, sind zwischen 40 und 50 Jahren alt. Sie haben etwas im Leben erreicht, ihre Kinder haben die Schule abgeschlossen und sie beginnen, sich nach ihren Wurzeln zu sehnen."
Einer der beliebtesten Treffpunkte der Mittelklasse, der Reichen und Schönen in Umlazi ist das "Max’s Lifestyle" – hier lassen sich Tradition und Komfort gut verbinden. Aus großen Lautsprechern wummern südafrikanische Kwaito-Beats. Es duftet nach gegrilltem Fleisch – bekannt als Shisa Nyama, eine Township-Tradition.
Auf der großzügigen Holzveranda nippen schick gekleidete Gäste an ihren kühlen Drinks. Sicherheitsleute halten unterdessen ihre Autos und den Eingang im Auge. Es geht fröhlich und lautstark zu – so wie es im Township sein soll, sagt Besitzer Max Mqadi grinsend.
"Lärm gehört zur Kultur von uns Schwarzen. Das wird hier von allen toleriert. Jeder kann laut sein und feiern, wenn ihm danach ist. Heute sind es vielleicht deine Nachbarn, morgen bist du es selbst. Lärm ist ein Zeichen dafür, dass man glücklich ist. Im Township herrscht also wahre Freiheit. Im Gegensatz zu den von Weißen dominierten Vierteln. Hier beschwert sich keiner oder ruft sogar wegen Ruhestörung die Polizei."
Wer es trotzdem mal etwas leiser und exklusiver will, verschwindet in die erste Etage – die prunkvolle VIP-Lounge mit ihren weißen Ledersesseln und Sofas.
Die Bar ist ausgestattet wie die eines Nobelhotels. An der Wand hängt eine gerahmte Fotocollage, die Max mit seinen illustren Gästen zeigt: Mit Ministern, Schauspielerinnen und Geschäftsleuten.
Daneben ein kleineres, in die Jahre gekommenes Bild der weniger glamourösen Anfänge: Eine kleine Metzgerei, so wie man sie überall in Townships wie Umlazi findet. Das ist nichts wofür man sich schämen müsste, betont der Selfmade-Millionär.
"Alles beginnt im Township. Selbst die Führungspersönlichkeiten unseres Landes sind in diesen Gegenden aufgewachsen. Hier liegt die Wurzel ihres Erfolgs. Ich habe mit einem Shisa-Nyama-Stand angefangen. Es war eine kleine Hütte, in der die Leute am Wochenende ihr Fleisch grillen konnten.
Vor 15 Jahren habe ich dann begonnen, das alles hier aufzubauen. Einfach war das nicht, keine Bank wollte mir Geld geben und ich musste auf vieles verzichten. Aber ich habe es geschafft und das hat mir bei den Leuten hier Respekt eingebracht. Sie sind stolz auf mich, denn ich bin einer von ihnen. Ein Produkt des Townships."

Von Angebern und Normalgebliebenen

Der 45-Jährige mischt wieder unters Volk. Draußen auf der Terrasse geht er von Tisch zu Tisch, macht ein bisschen Smalltalk. Er scheint tatsächlich von allen hier gemocht und anerkannt zu werden. Der Grund dafür sei einfach, bestätigt Stammgast Mandla Mhlongo, der nur ein paar Meter weiter eine Boutique für Männermode betreibt. Max sei im Gegensatz zu anderen einfach normal geblieben.
"Manche Leute wollen einfach nur angeben: Sie kaufen sich ein Haus in einem weißen Viertel und sagen: 'Schaut her, ich bin besser als ihr in Umlazi.' Sie sind zwar stinkreich, aber sie teilen ihren Wohlstand nicht. Sie wissen, dass manche Kinder barfuß zur Schule gehen müssen, aber sie machen nicht einmal hundert Rand locker, um ein paar Schuhe zu kaufen. Hilfe ist von denen nicht zu erwarten. Die anderen sind ihnen völlig egal. Sie wollen nur von ihnen angebetet werden."
Am anderen Ende von Umlazi, in dem beschaulichen Mittelschichtsviertel, steht der pensionierte Schuldirektor Bhekukwenza Cele wieder in seinem Vorgarten, genießt die Stille und die Aussicht.
"Umlazi entwickelt sich in die richtige Richtung. Unter dem Strich hat sich das Leben verbessert und es gibt mehr Arbeit. Früher gab es hier nichts anderes zu tun, als unsere Kühe zu hüten."
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