Südafrikas Jugend protestiert

Unzufriedenheit mit dem ANC wächst

Protestierende Studenten auf dem Campus der Uni in Kapstadt
Südafrikanische Studenten protestieren gegen die Erhöhung von Studiengebühren - hier auf dem Campus der Uni Kapstadt © picture alliance / dpa / Nic Bothma
Von Leonie March · 10.12.2015
Seit dem Ende der Apartheid hat Südafrika keinen derartigen Aufstand junger Menschen erlebt: Mandelas Enkel machen seit Monaten mobil und haben damit Erfolg und feierte erste Erfolge: Die Studentenbewegung zwang die Regierung beim Thema Studiengebühren in die Knie.
Am schwarzen Brett hängt er noch, der Aufruf zur Großdemonstration. #feesmustfall steht darauf in großen Lettern: Studiengebühren müssen fallen. Es ist der Schlachtruf der Studentenbewegung. Ansonsten aber erinnert kaum etwas an die landesweiten Proteste, die auch diesen Campus der Universität in Kwazulu Natal zum Stillstand gebracht hatten.
Ein paar Studenten schlendern entspannt den Flur entlang. Die Hörsäle sind gähnend leer. Die Dozenten haben sich in ihren Büros eingeigelt. Es ist Prüfungs- und Semesterferienzeit. Nur ein paar Sicherheitsleute drücken sich gelangweilt an den Eingängen herum. Mit ihren schusssicheren Westen, Helmen und Schlagstöcken wirken sie seltsam deplatziert. Eine Vorsichtsmaßnahme der Universitätsleitung, falls die Situation doch wieder eskalieren sollte, erklärt Phinda Mofokeng vom südafrikanischen Studentenkongress, SASCO. Denn unter der Oberfläche brodelt es weiter.
"Now students are despondent..."
Übersetzer:
"Die Stimmung unter den Studenten ist momentan etwas gedämpft, weil wir auf halbem Weg stehenbleiben mussten. Viele wissen nicht, wie es weitergeht. Ob sie im nächsten Jahr weiter studieren können, selbst wenn sie ihre Prüfungen bestanden haben oder kurz vor dem Abschluss stehen. Einfach, weil ihnen das Geld fehlt. Präsident Zuma hat zwar verkündet, dass die Studiengebühren nicht erhöht werden. Aber Tatsache ist: Wir werden weiter zur Kasse gebeten. Wir fordern deshalb, dass die Gebühren komplett abgeschafft werden. Wenn Zuma das nicht vor Beginn des neuen Semesters ankündigt, dann werden wir alle Universitäten und Fachhochschulen lahmlegen. Dann gibt es eine neue landesweite Protestwelle."
Gesprächsthema Nr 1: die Proteste
Der Studentenführer geht in einen kleinen Innenhof. Im Schatten sitzen an runden Tischen mehrere Grüppchen von Studenten. Einige haben sich am Kiosk ein kühles Getränk gekauft, andere brüten gemeinsam über ihren Lehrbüchern, sind mit ihren Smartphones beschäftigt oder unterhalten sich. Gesprächsthema Nummer eins sind die Proteste und die Frage, wie es jetzt weitergeht. Am wichtigsten sei, dass alle weiterhin zusammenhalten, sagt Ayanda Ndlovu zu seinen Freunden. Der 21-Jährige studiert Geschichte und Politik.
"At the end of the day..."

"Letztlich sind die Studiengebühren doch für uns alle ein Problem. Für schwarze und weiße Studenten. Wir müssen uns dagegen wehren, dass unser gemeinsamer Protest politisiert und instrumentalisiert wird. Denn das würde den Tod dieser Bewegung bedeuten. Wir müssen versuchen, uns gegenseitig besser zu verstehen und ernst zu nehmen. Schließlich sind wir alle Südafrikaner. In unserer multikulturellen Gesellschaft werden wir nur dann erstgenommen, wenn wir auch geschlossen als multikulturelle Studentenbewegung auftreten."

Ayandas Freunde nicken mit dem Kopf. Sie sind stolz auf die ersten Erfolge der landesweiten Demos. Mit ihren Handys haben sie diese vielleicht historischen Protestmärsche mitgefilmt.
Blick in einen Raum der Universität im südafrikanischen Kapstadt, aufgenommen am 04.04.2011. Die Universität wurde im Jahr 1829 gegründet und ist die Älteste Uni Südafrikas. Zur Zeit sind hier etwa 23.000 Studenten eingeschrieben. Rund 20 Prozent der Studierenden sind Ausländer. Foto: Ralf Hirschberger
Studieren in Südafrika ist teuer. Hier Studierende an der Universität von Kapstadt.© picture alliance/dpa/Ralf Hirschberger
Dunkelhäutige und weiße Studenten sind Schulter an Schulter durch die Großstädte marschiert. Geschlossen und überwiegend friedlich. Einige in T-Shirts der Parteien, die sie unterstützen – von der Regierungspartei ANC bis zu der wirtschaftsliberalen Demokratischen Allianz und den sozialistischen "Economic Freedom Fighters".
Präsident Jacob Zuma haben sie ebenso ausgebuht wie Oppositionsführer Mmusi Maimane. Auf einem Plakat steht: "Unseren Eltern wurden Träume verkauft. Wir fordern jetzt die Rückerstattung." Genau darum geht es bei unseren Demos, betont Ayandas Kommilitone Christopher Cutama Mlambo.
"Each and every year..."

"Jedes Jahr gab es neue Versprechen, dass im nächsten Jahr alles besser wird. Aber irgendwann ist die Geduld am Ende. Wir haben begriffen, dass man uns zum Narren gehalten hat. Dass die Regierung ihre Versprechen nicht hält. Unsere Demokratie in Südafrika ist jetzt 21 Jahre alt. Die Forderung nach Bildung für alle ist sogar noch älter: Sie steht bereits in der Freiheitscharta von 1955. Der ANC selbst hat bei seinem Parteitag 2007 beschlossen, dass sie endlich umgesetzt werden soll. Doch wir warten noch heute darauf. Es ist also an der Zeit, unsere Regierung zur Verantwortung zu ziehen. Wenn wir es nicht tun, dann steht die nächste Generation wieder von denselben Problemen."
Korruption unter Präsident Zuma
Präsident Zuma tut gut daran, diese Proteste ernst zu nehmen. Seine gewohnte Vogelstraußpolitik wird diesmal nicht funktionieren. Die Studentenbewegung hat sich mit den Arbeitern solidarisiert und macht auch Stimmung gegen Leiharbeit und Lohndumping. Kurz vor den Studentendemos gingen Gewerkschaften und Zivilgesellschaft gegen die ausufernde Korruption auf die Straße. Proteste in den Armenvierteln, bei denen die Bürger fließend Wasser, Strom und menschenwürdige Häuser fordern, gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Der politische Druck gehe vor allem von jungen Südafrikanern aus, sagt Politikwissenschaftler Zakhele Ndlovu.
"You have the older generation..."

"Die ältere Generation steht sehr loyal hinter dem ANC. Denn das ist die Befreiungsbewegung, die für die Demokratie in Südafrika gekämpft hat. Aus dieser historischen Verbundenheit wählen sie den ANC noch immer. Die junge Generation, zu der auch die Studenten gehören, hat die Apartheid dagegen nicht mehr selbst erlebt. Für sie geht es um die Situation heute: Sie brauchen einen Job, etwas zu essen und Bildung, um den Kreislauf der Armut zu entkommen."

I know some students..."
"Ich kenne Studenten, die hungrig zu Bett gehen. Sie können nicht zur Vorlesung kommen, weil ihre Eltern das Geld für den Bus nicht aufbringen können. Studentinnen müssen sogar auf den Strich gehen, um finanziell über die Runden zu kommen. Es geht also nicht nur um die Abschaffung der Studiengebühren. Es geht um das Versprechen eines besseren Lebens für alle, das nicht eingelöst wurde. Die Wut darüber wird sich nicht einfach in Luft auflösen."
Die Studenten, die draußen auf dem Campus um den kleinen Tisch herum sitzen, sind 1994 geboren, im Jahr der demokratischen Wende. Bei den nächsten Parlamentswahlen werden sie die Mehrheit der Wähler stellen. Dem ANC drohen deshalb empfindliche Verluste. "Born Free" wird diese Generation genannt, weil sie in Freiheit aufgewachsen ist. Doch wirklich frei fühlen sich diese Studenten nicht. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Südafrika so groß wie in kaum einem anderen Land der Welt. Die Chancen sind ungerecht verteilt. Im Bildungssystem werde das besonders deutlich, meint Ayanda Ndlovu.
"We have two systems..."

"Es gibt staatliche und private Bildungseinrichtungen. Das haben wir mittlerweile als Norm akzeptiert, statt das System grundsätzlich zu hinterfragen. Viele Studenten kommen aus kaum entwickelten ländlichen Gegenden. Dort gibt es keine guten Schulen und Bibliotheken. Man hat also von vornherein schlechtere Karten. Das muss sich ändern. Wir brauchen den gleichen Bildungsstandard für das gesamte Land."

Gute Bildung ist in Südafrika eine Frage des Wohnortes, des Geldes und damit in der Regel noch immer auch eine Frage der Hautfarbe. Die teuren Privatschulen in den wohlhabenden, ehemals rein weißen Vororten glänzen mit ihren kleinen Klassen, engagierten Lehrern und hervorragender Ausstattung. Die Mehrheit der schwarzen Südafrikaner jedoch lebt auf dem Land oder in den Townships. Zwar müssen dort gar keine oder nur geringe Schulgebühren bezahlt werden, aber Klassenstärken von 50 Schülern sind keine Seltenheit; es gibt weder genügend Lehrer noch Räume oder Unterrichtsmaterial.
Kinder spielen mit Drahtautos, Süd-Afrika, Juli 2007
In den armen, ländlichen Gegenden Südafrikas haben vor allem Kinder aus schwarzen Familien kaum Chancen auf höhere Bildung.© picture alliance / dpa / Jon Hrusa
Schon 33 Euro sind für Thabiso ein Kraftakt
Auf eine solche Schule ist auch Thabiso Radebe gegangen. Der 21-Jährige öffnet die Tür zu seinem winzigen Zimmer im Studentenwohnheim. Die Einrichtung ist spartanisch: Ein Bett, ein kleiner Schreibtisch, ein Stuhl und ein Regal. Thabiso studiert Jura und ist damit der Stolz der ganzen Familie. Das Lernen fällt ihm leicht, nur das Geld bereitet ihm Kopfzerbrechen.
"I was born..."

"Ich komme aus einer ländlichen Region. Meine Eltern sind früh gestorben. Meine Großmutter hat mich mit ihrer mageren Rente großgezogen. Aber als ich mich um einen Studienplatz bewerben wollte, konnte sie die 13 Euro Anmeldegebühr nicht bezahlen. Also habe ich meinen Schuldirektor darum gebeten. Ich bekam den Studienplatz, aber um ihn anzunehmen, war wieder eine Gebühr fällig. Da ich immer ein guter Schüler war, haben meine Lehrer diese 33 Euro für mich gesammelt."
Schon diese bescheidenen Summen waren für Thabiso eine Kraftprobe. Die eigentlichen Ausgaben hätte er sich ohne finanzielle Hilfe nie leisten können. Etwa 3000 Euro kostet ein Studienjahr in Südafrika, je nach Universität und Studiengang etwas mehr oder etwas weniger. Dazu kommen Unterkunft, Verpflegung und Bücher. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Monatslohn liegt in Südafrika gerade einmal bei 1.100 Euro. Die Arbeitslosenquote bei 25 Prozent.
Ein Kredit von der NSFAS
Thabiso hatte Glück und ergatterte einen Kredit vom staatlichen Förderprogramm NSFAS. Allerdings muss er ihn jedes Jahr neu beantragen. Jedes Jahr plagt ihn die Unsicherheit, ob er weiter studieren kann. Viele seiner Kommilitonen mussten ihr Studium bereits abbrechen. Nicht jeder ist dem Druck gewachsen und schreibt auch noch gute Noten. Sie aber sind Voraussetzung für eine neue Finanzspritze und steigern auch die Chancen, dass ein Teil des Kredits rückwirkend in ein Stipendium umgewandelt wird. So oder so, meint Thabiso: Am Ende ist dann wieder Zahltag.
"I owe NSFAS..."

"Wenn ich im nächsten Jahr meinen Abschluss mache, schulde ich NSFAS rund 13.000 Euro. Wenn ich einen Job in einer Anwaltskanzlei finde, dann wird mein Jahresgehalt deutlich unter dieser Summe liegen. Davon muss ich meine Großmutter versorgen und meine Cousins dabei unterstützen, ebenfalls zu studieren. Das erwarten die meisten afrikanischen Familien. Außerdem muss ich Miete und Lebenskosten bezahlen. Und darüber hinaus soll ich diesen Kredit plus Zinsen abbezahlen. Das ist unmöglich. Aber wissen, was sie mir raten werden? Besorg Dir einen Kredit bei der Bank."
Es ist ein Teufelskreis: Junge Südafrikaner wie Thabiso beginnen ihr Berufsleben bereits hochverschuldet. Sobald sie ihr Studium beenden, werden teils erhebliche Zinsen auf die staatlichen Studienkredite aufgeschlagen. Viele schulden auch den Universitäten, Banken oder sogar Kredithaien Geld. Der Schuldenberg steht einer besseren Zukunft im Weg. Deshalb fordern viele Studenten neben einer Abschaffung der Gebühren auch, dass ihnen rückwirkend alle Schulden erlassen werden.
Derart radikale Forderungen bereiten nicht nur der Regierung, sondern auch den Universitätsleitungen Kopfzerbrechen. Nachdenklich schaut Albert van Jaarsveld aus dem offenen Fenster seines Büros auf die die Hafenmetropole Durban. Er ist der Rektor der Universität von Kwazulu Natal.
"The scale of the protests..."

"Das Ausmaß der Proteste hat uns alle überrascht. Auch wenn die Auseinandersetzungen auch auf diesem Campus seit Jahren immer mal wieder hochkochen. Denn die Forderung nach einer Abschaffung der Studiengebühren ist ja nicht neu. Diesmal aber haben die Proteste aber wie ein Lauffeuer auf alle Universitäten des Landes ausgebreitet."

Van Jaarsveld erzählt von hitzigen Debatten mit Studentenvertretern. Die Tatsache, dass er ein weißer Südafrikaner ist, ist dabei nicht unbedingt hilfreich. Denn bei diesen Protesten geht es auch um die Hautfarbe, um eine sogenannte De-Kolonisie-rung der Hochschulen: Um neue Lehrpläne, um Vorlesungen in südafrikanischen Landessprachen, um mehr dunkelhäutige Akademiker. Dreh- und Angelpunkt sind aber sind die Gebühren.
Verständnis für die Studierenden
Der Rektor kann die Forderungen seiner Studenten verstehen, aber die Umsetzung sei nicht so einfach. Seine Hochschule steht selbst vor einem riesigen Schuldenberg, Millionen, die die Studenten in den letzten Jahren nicht zurückgezahlt haben. Sie müssen Stück für Stück abgetragen werden. Wie das ohne die geplante Erhöhung der Studiengebühren funktionieren soll, ist van Jaarsveld bereits schleierhaft. Geschweige denn, was passiert, wenn diese Gebühren komplett wegfallen würden. Auf jeden Fall müsse die Regierung die Finanzierung sicher-stellen, fordert Politikstudent Christopher Cutama Mlambo.
"Remember, sometimes they..."

"Sie sagen zwar, dass ihnen das Geld für Bildung fehlt. Aber das stimmt nicht. Erhebliche Summen versickern durch Korruption und Misswirtschaft. Milliarden-schwere Gewinne von Unternehmen fließen ins Ausland ab. Wenn die Regierung diese Probleme anpacken würde, dann wäre genug Geld da, um unsere Forderung nach Bildung für alle zu finanzieren. Aber dafür fehlt der politische Wille. Es ist einfacher, wenn die Mehrheit der Bevölkerung ungebildet, arm und abhängig von staatlichen Leistungen bleibt. So bleiben sie loyal und stimmen bei der nächsten Wahl wieder für den ANC."

Die Frustration und Wut der Studenten ist unüberhörbar. Nach den Semesterferien werden die Proteste weitergehen, daran besteht kaum Zweifel. Es sei denn Präsident Zuma reißt das Ruder noch herum. Davon jedoch gehen die wenigsten aus. Jura-Student Thabiso Radebe spricht sogar von Revolution.
"It has got his radical..."

"Wir sagen allen: Lasst uns auf die Straße gehen statt in die Vorlesung. Ich werde ganz vorne mit dabei sein. Koste es, was es wolle. Selbst wenn die Polizei dann so brutal gegen uns vorgehen sollte, wie bei der blutigen Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks in Marikana. Ich bin für alles bereit."
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