Südafrika

Unbekannte Helden der Befreiung

Die südafrikanische Flagge
"Einheit ist Stärke" lautet das Motto der südafrikanische Flagge von 1994. © dpa / picture alliance / Steffen Trumpf
Moderation: Klaus Pokatzky · 26.03.2014
Von einfachen Menschen, die zum Ende der Apartheid in Südafrika beigetragen haben, erzählt der Theologe Rommel Roberts in seinem Buch "Wie wir für die Freiheit kämpften". Unter ihnen ist Tante Sue aus der Transkei, die mithalf, das Passgesetz auszuhebeln.
Klaus Pokatzky: Als in Südafrika noch die Apartheid herrschte, gab es nicht nur viele Gesetze, die zu einem ganz normalen Polizeistaat gehören, der die offene Meinung verbietet. Es gehörten auch viele rassistische Gesetze dazu, die die weiße Minderheit von 19 Prozent der Bevölkerung von der nicht-weißen Mehrheit trennen sollten. Darunter waren etwa die Passgesetze, die die Bezirke für die verschiedenen Hautfarben scharf getrennt haben und die die Schwarzen in die sogenannten Townships deportierten. Nun ist die Apartheid Geschichte. Südafrika wird regiert vom ANC, der alten schwarzen Befreiungsbewegung.
Rommel Roberts wurde 1949 in Durban geboren, sein Vater war weiß, seine Mutter indisch-stämmig. Jahrzehntelang hat er zum kirchlichen Widerstand gegen den Rassismus gehört und hat nun in einem Buch seine Helden und Heldinnen in diesem Widerstand beschrieben. Wie etwa Aunt Sue, Tante Sue, die kleine, große Frau.
Rommel Roberts: Also Aunt Sue, wie ich sie in meinem Buch nenne, war eigentlich eine sehr einfache Frau. Sie kam aus der Transkei, sie war die Dienerin in einer weißen Familie, und sie litt sehr, sehr unter den Folgen der Apartheid, unter diesen berüchtigten Passgesetzen. Denn sie war von ihrem Ehemann getrennt. Die beiden konnten sich nicht sehen, ihr Mann nahm eine neue Frau. Das war etwas, was häufiger geschah. Sie war alleine mit ihren kleinen Kindern, und sie hat sozusagen all das Leid, das die Apartheit über die einfachen Menschen gebracht hat, am eigenen Körper eben erfahren. Sie hat dann schwarze Frauen mobilisiert und hat dafür gesorgt, dass eben diese zentrale Waffe des Apartheidregimes, diese Passgesetze, sich langsam neutralisierten. Weil sie haben gesagt, wir gehen lieber ins Gefängnis, als dass wir eine Strafe zahlen. Und dann hat die Polizei wirklich Tausende von Frauen verhaftet, aber die waren dann mit ihren schreienden Kindern, und nach 48 Stunden war die Polizei gezwungen, die auch wieder freizulassen.
Und wenn man einmal gesehen hatte, dass man auch wieder frei gelassen wird, ohne Strafen zu zahlen und ohne einen Prozess an den Hals zu bekommen, da fiel eigentlich diese Waffe des Apartheidregimes, nämlich diese Passgesetze irgendwie in sich zusammen. Und was mit einer Bewegung von 3000 bis 4000 Frauen begonnen hatte, weitete sich auf die ganze Stadt aus, weitete sich auf das ganze Land aus und war dann ein Symbol des Widerstands gegen das Apartheidregime. Und es war eben diese Aunt Sue, die dahinter stand, um Ihnen ein persönliches Beispiel zu geben.
Pokatzky: Also das war eine Initiative gegen ein Instrument der Apartheid. Sie selber sind studierter Theologe, haben sich immer in kirchlichen Kreisen bewegt, aber auch international haben die Kirchen ja eine große Rolle beim Kampf gegen die Apartheid gespielt, also etwa das Antirassismusprogramm des Weltkirchenrats von 1969, mit dem Befreiungsbewegungen auch in Südafrika unterstützt wurden. Haben die Kirchen die Apartheid abgeschafft?
"Die Kirchen haben natürlich eine unglaublich wichtige Rolle gespielt"
Roberts: Also die Kirchen haben natürlich eine unglaublich wichtige Rolle dabei gespielt, das Ende der Apartheid mit einzuleiten. Politische Parteien, politische Organisationen waren ja verboten. Die konnten ja offen nicht auftreten, sondern konnten nur noch im Untergrund operieren, aber wenn es beispielsweise um diese Passgesetze ging, konnten wir als Kirche dazu keine politische Haltung äußern. Das hätte man uns sofort verboten, aber wir haben eine strikt religiöse Haltung eben propagiert und haben einfach gesagt, die Familie muss zusammenleben. Das ist Gottes Wille, dass eine Familie zusammenlebt, das darf der Mensch nicht zerstören. Und mit diesem Slogan hatten wir alle auf unserer Seite, sogar die Kirche der Buren, die praktisch die Staatskirche repräsentierte, musste sich hinter diesen Slogan stellen.
Und nach und nach haben wir es dann geschafft, alle Kirchen da zu vereinen, sogar die muslimischen Kirchen waren damit einverstanden. Und es gelang uns, Massen zu mobilisieren. Und man muss wirklich sagen, dass die Kirchen in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, in Deutschland, in der Schweiz oder auch in den Niederlanden eben eine unglaublich kritische Rolle gespielt haben, was den Widerstand gegen die Apartheid betrifft, und sich eben auch dafür aussprachen, dass dieses Regime nicht länger wirtschaftlich unterstützt wird. Man rief eben auch zu Sanktionen auf, und da war dann natürlich Desmond Tutu die Ikone dieser Bewegung, der eben auch sich für Sanktionen aussprach gegen das Apartheidregime. Und deswegen muss man wirklich sagen, es war die Kirche, die eine entscheidende Rolle gespielt hat, nicht etwa der bewaffnete Kampf. Der spielte eine so geringe Rolle, dass es gar nicht nottut, das hier weiter zu erwähnen. Es waren eben auch kirchliche Einrichtungen, die dafür dann eben gesorgt haben, dass sich Nichtregierungsorganisationen gründeten.
Am Ende gab es fast über 150 Nichtregierungsorganisationen, die stark mit den Medien vernetzt waren und die letztendlich dafür gesorgt haben, dass es eben eine Massenbewegung gegen die Apartheid gab. Und es ging dann eben so weit, dass der Staat New York seine Position ganz klar machte und seine Gelder aus der Chase-Manhattan-Bank abzog, weil, es war auf Druck der Kirchen, die damit drohten, ihre eigenen Gelder abzuziehen, dass sich dann der Staat New York dazu bereiterklärte, Milliarden praktisch aus der Chase-Manhattan-Bank abzuziehen, die eine der Banken war, die dem südafrikanischen Apartheidregime Geld liehen. Und in dem Moment, wo das Apartheidregime sich kein Geld mehr leihen konnte, auch um seine riesige Militärmaschine, die damals auch in Angola engagiert war, aufrecht zu erhalten, hatten sie ein Problem und mussten langsam in Verhandlungen mit dem ANC eintreten. Und das war sozusagen der erste Dominostein. Danach fiel das eben alles in sich zusammen, weil eben die wirtschaftliche Unterstützung langsam entzogen worden ist.
Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur Rommel Roberts, Theologe aus Südafrika. Sein Buch über die stillen Heldinnen und Helden im Kampf gegen die Apartheid ist unser Thema. Einer dieser Helden war Richard Rosenthal, Anwalt, der erste geheime Unterhändler noch zwischen der weißen Regierung und dem ANC, bis die weiße Regierung das dann selber übernommen und ihn weggedrängt hat. Und Sie schreiben in dem Buch, bisher ist dieser kreative Unterhändler noch nie dafür gewürdigt worden. Ist Undank des ANC Lohn für die alten Anti-Apartheidkämpfer?
"Hunderte von Anti-Apartheidbewegungen, die null Anerkennung erfahren haben"
Roberts: Ja, also es gab viele Kameraden damals beim ANC, die auch heute in sehr, sehr hohen Positionen sind, hohe Würdenträger geworden sind, und ich habe sie wirklich des Öfteren darauf angesprochen, viele dieser damaligen Kämpfer doch zu würdigen, anzuerkennen. Und sie sagen immer ja, ja, aber geschehen ist letztendlich gar nichts. Und das finde ich wirklich tragisch, weil es gab wirklich Hunderte von Anti-Apartheidbewegungen, die null Anerkennung erfahren haben, und das schmerzt mich sehr, das mitzuerleben. Zumal eben einige von ihnen, dieser Aktivisten, mittellos dann gestorben sind, überhaupt keine Anerkennung, aber auch keine materielle Unterstützung gefunden haben.
Und Richard Rosenthal, den Sie erwähnt haben, der war wirklich der erste in den 70er-Jahren wirklich geholfen hatte, das mit unterstützt hat, dass es zu diesem Bus-Boykott kam. Auch er ist niemals gewürdigt worden. Er hat zwar ein Buch geschrieben, "Mission Improbable", aber das reicht ja nicht aus. Und das ist für mich die wirkliche Tragödie, dass Leute, sobald sie an die Macht kommen, plötzlich vergessen, woher sie kommen.
Pokatzky: Sie schreiben in Ihrem Buch, die Rassengesellschaft wurde zu einer Klassengesellschaft. Es wurde eine kleine Minderheit einer schwarzen Elite geschaffen, die politische Beziehungen hatte und in unziemlicher Eile zu Reichtum kamen, während die Armen arm blieben. Und Desmond Tutu, der Friedensnobelpreisträger aus dem Jahre 1984 und frühere anglikanische Erzbischof von Kapstadt schreibt in seinem Vorwort zu Ihrem Buch zur heutigen Zeit: Opferbereitschaft ist ein Fremdwort geworden, Korruption eine Plage, glücklicherweise ist noch Zeit für Korrekturen. Aber ist die Zeit wirklich noch für Korrekturen, und was muss geschehen, damit dieser Weg der letzten 20 Jahre korrigiert wird?
"Aufpassen, dass uns hier kein neues Ägypten droht"
Roberts: Das Interessante ist, dass es zurzeit 2.947 Protestbewegungen in kürzester Zeit gab, die alle von Armen ausgegangen sind. Und kein Politiker kann sich dem vollkommen verschließen, und sei er auch noch so unsensibel. Also, die Politiker werden schon damit konfrontiert. Und ich habe den letzten Monat sehr viel Zeit in Kapstadt verbracht und habe auch da eben die Protestbewegungen angeschaut, die nicht mehr bereit sind, neue Opfer zu bringen, weil die Korruption einfach solche Ausmaße angenommen hat. Man hat 200 Millionen für einen neuen Präsidentenpalast, die können ausgegeben werden. Und da akzeptiert man einfach nicht, dass keine Mittel da sein sollen, etwas gegen die Armut zu tun, weil sie nach 20 Jahren Demokratie eigentlich schlimmer leben als jemals zuvor. Und das macht sie natürlich extrem unzufrieden.
Viele sagen, wir müssen wirklich aufpassen, dass uns hier kein neues Ägypten droht. Weil es braucht nicht viel dazu, all diese Protestparteien zu vereinen. Man hat die Erfahrung dafür, wie man eine breite Protestbewegung vereint, und es gibt eben Bewegungen wie "Concerned Citizens". Die besteht eher aus Mitgliedern, die schon älter als 60 oder 70 Jahre sind, die aber wollen, dass die Politiker wieder in die Mandela-Linie einschwenken, eben das Erbe Mandelas fortsetzen, sonst entwickelt sich das Land wirklich nur noch in eine einzige Richtung. Und unsere Rolle ist es eben, dieser Protestbewegung wieder neuen Atem zu verschaffen, neuen Atem einzuhauchen und einen neuen Kampf mit anzustoßen, damit die Politiker wieder eben in dieses Erbe von Mandela zurückfinden.
Pokatzky: Wenn Sie den Blick nach vorne werfen in die Zukunft, wie Südafrika in 20 Jahren dann aussehen wird, sind Sie da eher optimistisch oder pessimistisch?
Roberts: Ich selbst bin sehr optimistisch. Wir haben eine sehr starke Zivilgesellschaft, die sich auf ein starkes Fundament stützen kann von Wissen, aber auch von Weisheit, und das macht mich optimistisch.
Pokatzky: Rommel Roberts, thank you. Ihr Buch "Wie wir für die Freiheit kämpften: Von stillen Heldinnen und Helden in Südafrika" ist erschienen mit einem Geleitwort von Desmond Tutu und insgesamt 224 Seiten im Lokwort-Verlag in Bern und kostet 19,90 Euro.
Roberts: Thank you, very much. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Rommel Roberts: Wie wir für die Freiheit kämpften. Von stillen Heldinnen und Helden in Südafrika
Mit einem Geleitwort von Desmond Tutu
Lokwort Verlag, Bern 2014
224 Seiten, 19,90 Euro

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