Südafrika

Erfolg und Misserfolg der Wahrheitskommission

Nomthandazu Phumayo
Die 28-jährige Nomthandazu Phumayo wohnt in Soweto und arbeitet ehrenamtlich in einem Verein für Opfer der Apartheid. © Deutschlandradio / Kerstin Welter
Von Kerstin Welter · 28.09.2016
In den 90er-Jahren wurde in der jungen Demokratie Südafrika mit der Wahrheits- und Versöhnungskommission versucht, die grausame Apartheidsgeschichte aufzuarbeiten. 20 Jahre später wird der Erfolg der Kommission unterschiedlich bewertet.
Autorin: "Was macht der Hubschrauber da?"
"Da wurde ein Auto geklaut, die suchen danach. Wir hören das hier ständig."
Bheki Sibeko lacht verhalten, während er mit etwas eckigen Bewegungen eine staubgelbe Straße im Township Soweto entlang geht. Sein rechter Fuß ist versteift, erst vor kurzem musste er wieder operiert werden. Bheki Sibeko hat sein ganzes Leben in Soweto verbracht, an dem Tag, der alles verändert hat, saß er in einem Zug nach Hause.
"Ich bin 1992 verletzt worden, da kam ich gerade von der Arbeit, und da sind diese Typen in den Zug gekommen und haben sofort nach dem Losfahren begonnen, Leute anzugreifen. Die sind mit einem Säbel auf mich los und haben mich aus dem Zug geworfen. Da lag ich dann auf den Gleisen, neben mir eine Frau, die hatte alle Knochen im Leib gebrochen und schrie nur noch... Ich war politisch informiert, ich wusste, was passiert war. Solche Attacken gab es täglich."

Bheki Sibeko war in die brutalen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Befreiungsorganisationen ANC und IFP geraten, die während des Übergangs von der Apartheid zur Demokratie tausende Opfer forderten. Gewalt von Schwarz gegen Schwarz hieß das, aber, sagt Bheki Sibeko, befeuert wurde es vom Apartheidsregime.
Bheki Sibeko 
Bheki Sibekos Geschichte ist eine von 22.000 im Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission.© Deutschlandradio / Kerstin Welter
Bheki hat wegen der Behinderung seinen Job verloren und auch nie mehr einen gefunden. Seine Geschichte ist eine von 22.000 im Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Alle beschreiben sie politisch motivierte Verbrechen, die in der Zeit zwischen 1960 und 1994 begangen wurden, unabhängig von der Hautfarbe der Täter. Bheki Sibeko ist nie bei einer Anhörung aufgetreten, das taten nur rund 10 Prozent der Opfer.
Autorin: "Können Sie sich noch gut an die Zeit erinnern, haben Sie die Ereignisse verfolgt?"
"Ich hab ja nicht gearbeitet, also hab ich jeden Tag im Fernsehen zugesehen.. Leute sind im Schlaf zerhackt worden, sowas zu hören hat mich zum Weinen gebracht… da sind die Erinnerungen wieder, ja. Ich hab das wohl in mir verschlossen, eine psychologische Betreuung wurde mir nie angeboten ."
Autorin: "Hm."
"Ich hab auch die Abschlussempfehlungen gehört, die Desmond Tutu der Regierung übergeben hat. Wir haben uns viel erwartet. Und egal, was rausgekommen ist, es war ein Anfang."
Nomthandazu Phumayo ist 28, im gleichen Alter wie Bheki Sibeko, als er verletzt wurde. Sie wohnt auch in Soweto und hilft in einem kleinen Internetcafé aus, dazu arbeitet sie ehrenamtlich in einem Verein für Opfer der Apartheid. Ihre Großmutter hat vor der Wahrheitskommission ausgesagt, weil ihr damals 17jähriger Sohn Ende der 80er spurlos verschwunden war.
"Ich kann mich nicht daran erinnern, aber ich kenne die Geschichten meiner Großmutter. Mein Onkel, ihr Sohn, ist während der Apartheid umgebracht worden. Meine Großmutter hat uns alles über die Zeit damals erzählt, wie sie nachts nicht schlafen konnten vor Angst. Wie Polizisten mit Maschinengewehren ins Haus gestürmt sind, oder welche auf dem Dach standen und meinen Onkel aufgefordert haben rauszukommen."

Getötet von einem weißen Polizisten

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission hat herausgefunden, dass Nomthandazos Onkel von einem weißen Polizisten getötet wurde. Sein Skelett wurde vor ein paar Jahren gefunden, die Familie konnte ihn endlich beerdigen. Die Großmutter hat das nicht mehr erlebt, und auch das Geständnis des Polizisten vor der Kommission konnte sie bis zum Ende nicht versöhnen.
"Selbst, wenn in den Fernseh-Nachrichten von irgendeinem Weißen die Rede war, der was Schlimmes getan hat, hat sie sofort gesagt: Na klar, kein Wunder. Die tun sowas halt. Sie mochte Weiße nicht."
Nomthandazo zuckt die Schultern. Sie sieht die Arbeit der Kommission mit mehr Distanz, auch wenn sie findet, dass 30.000 Rand – umgerechnet knapp 2000 Euro Schmerzensgeld, das alle Opfer bekommen haben – viel zu wenig war. Das gilt für sie auch für die Aufarbeitung.
"Ja, es war sehr wichtig, dass es sie gab, aber es hat nicht gereicht. Die Wahrheitskommission wurde ins Leben gerufen, damit die Täter Amnestie beantragen konnten. Sie wollten, dass man ihnen vergibt, aber sie haben sich nie ihrer Schuld gestellt. Sie hätten bestraft werden sollen! So viele Familien leiden immer noch. Wenn Du die besuchst…es ist furchtbar."

Die Entscheidung, auf einen heilsamen Dialog statt Strafverfolgung zu setzen, ist die wohl umstrittenste rund um die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika. Von 7000 Amnestie-Ersuchen wurden nur knapp 900 gewährt - trotzdem ist die Mehrheit der Täter heute noch straffrei, das legale Nachspiel zieht sich seit Jahrzehnten hin.
Fazel Randera
Fazel Randera war Mitglied der Wahrheits- und Versöhnungskommission.© Deutschlandradio / Kerstin Welter
Dr. Fazel Randera, ein Mitglied der Kommission, geht die Treppe hinauf, die den steilen Hügel hinter seinem Haus begehbar macht. Vor ihm liegt das schöne, grüne Viertel Parktown und die Skyline Johannesburgs.
Autorin: "Sie sind ja während der Apartheid in der Stadt aufgewachsen, hätten Sie gedacht, dass Sie mal hier wohnen?"
Fazel Randera: "Nein, nie! Da, wo wir gewohnt haben, gab es keine Rasenflächen in den Schulen, oder Bolzplätze. Also sind wir hierhergekommen und dann wurden wir manchmal von weißen Kindern verjagt."

Ohne Wahrheitskommission wären die Gräben noch tiefer

Dr. Fazel Randera hat an der Aufklärung der Apartheids-Verbrechen gearbeitet, bis die Wahrheitskommission 1998 beendet wurde. Sein Standpunkt ist nach wie vor: Hätte es den öffentlichen Versöhnungsprozess nicht gegeben, wären die Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen heute noch tiefer. Das Wichtigste war für ihn das Drüber-Reden.
"Reue war nicht Ziel des Gesetzes, auf dem die Wahrheitskommission fußte. Und so schwierig es damals war, wir wussten: Um Südafrika als eine Nation aufzubauen sind viele Kompromisse nötig. So sieht ein Versöhnungsprozess in der Praxis nun mal aus. Im Nachhinein glaube ich, dass wir – anstatt einfach nur den Bericht und alles weitere an die Regierung zu übergeben – vielleicht darüber hätten diskutieren sollen, ob es wirklich richtig ist, an dem Punkt aufzuhören."
Bheki Sibeko in Soweto hat vor kurzem plötzlich Post bekommen. Als von der anerkanntes Opfer soll ihm, gemäß der Abschluss-Empfehlungen der Wahrheitskommission, eine neue Unterkunft zugeteilt werden. Nach mehr als 11 Jahren, ein sehr seltener Fall.
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