Südafrika

Bekenntnis zu einem fast ausgerotteten Erbe

Von Gerd Brendel · 17.11.2014
Antjie Krog zählt zu den großen weißen Intellektuellen Südafrikas, die sich schon früh gegen die Apartheid engagierten. Ihr bekanntestes Werk "Country of my skull" wurde verfilmt. Nun gibt es erstmals eine größere Anthologie ihrer Gedichte auf Deutsch. Bei der Vorstellung in Berlin schlug Krog das Publikum in den Bann.
Vor dem Wort kommt die Musik. Vermutlich dachten sich die Veranstalter, dass bei einem südafrikanischen Kulturabend Miriam Makeba nicht fehlen darf. Also singt die Nachwuchskünstlerin Nomfusi die alten Hits. Die Begeisterung des Publikums hält sich in Grenzen. Dann tritt eine schmächtige Frau an das Stehpult und liest. Schulterlanges graues Haar, grauer Anzug mit Krawatte. Antjie Krog, Journalistin, Buchautorin, Lyrikerin.
Ihre Stimme schlägt in den Bann. Das Afrikaans klingt hart, fremd, auf der Leinwand hinter ihr erscheint die deutsche Übersetzung, nicht weniger fremd. Es sind Texte, in denen Krog um ihre Muttersprache ringt, der Sprache der Unterdrücker, der Sprache der Apartheid.
"Das halsabgeschnittene Wort das unschuldige
Land der mit trockenem Blut befleckte Satzbau samtenes
Gewehrfeuer und der gefilzte Bart aufrührend raubsuchtglitzernd
unter schlampigen gebeten oh orte des Stillstands
und umgekommener Eingeweide"
Alte Lieder der Buschmänner
Zum eigenwilligen Umgang mit der eigenen Sprache wurde Antjie Krog durch einen deutschen Lyriker inspiriert: Paul Celan. Natürlich, es gibt einen fundamentalen Unterschied, sagt Krog später im Bühnengespräch:
"Celan war Opfer und ich bin Täter."
Trotzdem: Celan zeigte Krog einen Weg, ihrem Afrikaans wieder etwas von seiner Menschlichkeit zurückzugeben.
"Er benutzte großartige Techniken, um die Sprache so zu verhunzen, bis sie auseinander bricht und dann etwas Neues entsteht."
Krog liest nicht einfach, sie lässt ihre Texte lebendig werden. Besonders eindrücklich gelingt ihr das im zweiten Teil des Abends: Krog hat alte Lieder der Xam - oder Buschmänner -, wie die Buren die Ureinwohner Südafrikas nannten in Afrikaans übersetzt. Lautmalerische Texte, die an Ernst Jandl erinnern. Im Lied der Katze etwa. Mit ihren Übersetzungen bekennt sich Krog zu einem Erbe, das ihre Vorfahren ganz wörtlich fast ausgerottet haben.
"Es gab in Afrikaans immer Gedichte ohne Reim. Mit meinen Übersetzungen wollte ich zeigen, dass diese Tradition auf die Ureinwohner Südafrikas zurückgeht, auf die Buschmänner, die von den Farmern zu Tode gejagt wurden, weil sie man sie nicht für Menschen, sondern für etwas darunter hielt."
Dichter zwischen Mensch und höheren Mächten
Und dann kommt Krog doch noch auf ihre politische Vergangenheit zu sprechen:
"Ich wuchs auf mit der Vorstellung, dass Dichter einsame Menschen sind, die die Massen verachten. Aber die Apartheid wurde schlimmer. Ich unterrichtete damals an einem College in einer Kleinstadt und einige der schwarzen Studenten baten mich, auf einer Kundgebung zur Befreiung Nelson Mandelas aus der Haft eines meiner Gedichte vorzulesen. Jemand drückte mir ein Megafon in die Hand. Ich hatte vorher noch nie in ein Megafon gesprochen, also fing ich ziemlich schüchtern an: 'Mandela ist bei uns.' Aber mein Nebenmann wiederholte die Zeile: 'Mandela ist bei uns!'"
Damals lernte sie, die Zuhörer ernst zu nehmen. Es gibt keine Kunst um der Kunst willen. Dichter haben eine Funktion. In der afrikanischen Kultur agiert der Dichter zwischen den Menschen und höheren Mächten.
Am Ende langer Applaus für Werk und Dichterin. Danach lädt die südafrikanische Botschaft zu Wein und Käsestangen ins Foyer. Es wird ein langer Abend. Keiner will den Ort verlassen, wo gerade eine hagere grauhaarige Frau mit nichts als ihren Worten das Hebbel-Theater in eine Welt verwandelt hat, in der alles möglich ist: Versöhnung durch Erinnerung, eine neue Sprache und sprechende Tiere.