Suche nach Intensität

Von Vanja Budde · 04.03.2009
Jan Costin Wagner schreibt stille, melancholische Kriminalromane mit Sogwirkung. "Im Winter der Löwen" heißt sein fünftes Buch, das gerade herausgekommen ist. Der 37-jährige Autor hat die Geschichte über die mörderischen Folgen einer Talk-Show wieder in seiner zweiten Heimat Finnland angesiedelt. Zuvor schaffte er mit "Eismond" den Durchbruch.
Jan Costin Wagner sitzt im zugigen Treppenhaus der Berliner Volksbühne auf einem ausgemusterten Stuhl und denkt nach. Eigentlich ist er ziemlich sauer, und er müsste aufgeregt sein: Gleich steht die erste Lesung aus seinem neuen Buch "Im Winter der Löwen" bevor und das gewünschte Keyboard ist nicht da.

Jan Costin Wagner komponiert nämlich auch und wollte die Lesung musikalisch gestalten. Daraus wird nun nichts. Aber falls es in ihm brodeln sollte, lässt Wagner sich – wie die Figuren in seinen Büchern - nichts anmerken. Er nimmt sich Zeit fürs Interview, wie auch fürs Schreiben.

Wagner: "Die Ideenfindung allein dauert bei mir sehr lange und die Schreibprozesse sind immer wieder unterbrochen dann von längeren Phasen des bewussten oder auch unterbewussten Nachdenkens. Es ist schwer zu erklären."

Jan Costin Wagner schreibt oft in Finnland, im Sommer, in einer Holzhütte am See. In Finnland spielen sie auch, seine Krimis um den jungen, traurigen Kommissar Kimmo Joentaa, der ebenso intensiv wie wortkarg unter dem frühen Krebstod seiner Frau Sanna leidet.

Wagner: "Wahrscheinlich ist das überhaupt der Antrieb für mich zu schreiben: Menschen in extremstmögliche Situationen zu bringen und dann eine Sprache zu finden für ihre Versuche, das zu bewältigen, das hat mich gefesselt. Ja: Diese grundlegenden Ängste in Sprache zu bringen und in gewisser weise unter Kontrolle zu bringen, dass ist glaube ich der Antrieb meines Schreibens."

Wie er da im Treppenhaus sitzt, passt Jan Costin Wagner gut in eine Holzhütte im Wald: Nicht groß, das glatte, dunkle Haar in der Mitte gescheitelt und hinter die Ohren geschoben. Schmale Lippen, nachdenkliche, grün-braune Augen.
Seinen ersten Finnen-Krimi "Eismond" hat er geschrieben, nachdem ein Freund von ihm gestorben war.

Seinem Debut. "Nachtfahrt" über einen mordenden Schriftsteller, das 2002 erschien, hatte er sich vorsichtig genähert: Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte und einer journalistischen Ausbildung hat er erst eine eigene Sprache entwickeln müssen. Eine schmerzhaft wehmütige Grundstimmung durchzieht Wagners Bücher, sein Stil ist auf das Nötigste reduziert, kristall-klar wie die Seen in Finnland. Das nordische Land birgt für ihn die Intensität, die er suchte.

Wagner: "Diese Intensität wiederum resultiert aus meiner Bindung an Finnland: Ich bin seit 17 Jahren mit meiner Frau zusammen, die Finnin ist, und Finnland war für mich von Beginn an an diese sehr schöne Begegnung gebunden. Und für mich sollen die Schauplätze immer korrespondieren und Projektionsflächen sein, auf denen sich die Figuren bewegen."

Wagner selbst lebt mit seiner Frau Nina, die Malerin ist, und der vierjährigen Tochter in einem hessischen Dorf vor den Toren Frankfurts, wo er auch aufgewachsen ist. Großstädte mag er nicht, denn sie bieten keinen weiten Blick, sagt er.

Dann steht er auf und geht zu seiner Lesung. Der Schauspieler Matthias Brandt sitzt mit ihm auf der Bühne, das von ihm eingesprochene Hörbuch ist zeitgleich mit "Im Winter der Löwen" erschienen. Der Saal ist ausverkauft. Jan Costin Wagner kommt gut an beim Publikum.

Im "Winter der Löwen" geht es um eine Frau, die Mann und Sohn bei einem Unglück verloren hat und angesichts einer menschenverachtenden Talkshow zur Mörderin wird. Kimmo Joentaa, der sich tiefer als die Kollegen in die Abgründe ihres Schmerzes hinein denken kann, klärt den Fall auf. Und findet nach einem überraschenden Ende selbst – vielleicht – einen Ausweg aus lähmender Einsamkeit. Larissa tritt in sein leben: Ein junge Frau, mit der - vielleicht - eine Zukunft möglich ist. So genau weiß Jan Costin Wagner das selber noch nicht.

Die letzten Worte jedenfalls sind seine Lieblingsstelle in seinem jüngsten Buch.

Ausschnitt aus dem Hörbuch "Im Winter der Löwen":
"Als sie zurück kehrte lag er splitternackt auf dem Sofa und streckte demonstrativ und mit einem vermutlich albernen Lächeln die Arme nach ihr aus. ‚Äh – Kimmo?’ sagte sie. Er lachte Minuten lang über ihr verwirrtes Gesicht, bevor er endlich die Freude spürte und zu weinen begann."