Subversion hinter polierten Oberflächen

Von Volkhard App · 05.07.2011
Guido Westerwelle mit Pinocchionase, Angela Merkel in Tarnuniform, Hitler als Pin-up-Modell: Der Karikaturist Georg Haderer schreckt vor nichts zurück. Seine meist im Magazin "Stern" veröffentlichten Zeichnungen nehmen die Hochglanzästhetik auf und bieten beißende Satire. In Frankfurt ist nun eine umfassende Werkschau zu sehen.
Worüber mögen die Priester auf Haderers Ausstellungsplakat wohl so ausgiebig lachen? Einige sind schon zu Boden gegangen, die anderen können sich mit aufgerissenen Mündern nur mühsam auf den Beinen halten. Vielleicht haben die entfesselten Kirchenvertreter ja einen direkten Draht zum Cartoonisten Gerhard Haderer gefunden, zu seinen Bildern von Gott und der Welt, die zum Lachen ganz einfach reizen.

Aus dem Buch "Das Leben des Jesus", an dem Geistliche einst Anstoß nahmen, hängt keine der Abbildungen an den Wänden. Aber über den derzeit amtierenden Papst und dessen Fitnesstraining wird übermütig erzählt.

Und selbstverständlich geben sich bei Haderer die Politiker die Klinke in die Hand – von Guido Westerwelle mit Spaßgesicht und Pinocchionase bis zu Angela Merkel. Haderer hat sie mal als seine "beste Mitarbeiterin" bezeichnet. Ist sie das immer noch?

"Beste Mitarbeiterin ist zu kurz gegriffen. Ich bin dieser Dame haltlos verfallen (lacht). Eine einseitige Liebe. Ich bekomme kein Zeichen von ihr, warte aber seit Jahren darauf. Ich zeichne sie auch immer hübscher, als sie in Wahrheit ist, ich habe sie beinahe sogar engelsgleich porträtiert. Also ich tue alles, um diese Frau zu erobern (räuspert sich), aber im Augenblick ist das relativ hoffnungslos, und das schmerzt mich sehr."

Ganz so vorteilhaft kommt Angela Merkel aber doch nicht weg: Ob sie nun mit dem offenbar aufdringlichen kleinen Sarkozy badet, als "Eiserne Lady mit Blechdach" auftritt oder die Tarnuniformen vorführt, mit denen die Freiheit nicht nur am Hindukusch verteidigt werden soll – fast immer zieht die Kanzlerin eine Schnute, hinter der selbst die Wirklichkeit als blasse Kopie zurückbleibt.

Gerade auf dem Feld der Politik aber zeigen sich auch die Halbwertzeiten kritischer Cartoons: Ob sich da Gerhard Schröder mit blauem Auge aus dem Kanzleramt verabschiedet oder ein mäßig intelligent wirkender George W. Bush über die Ölvorkommen auf der Erde und die nächsten möglichen Kriege nachdenkt.

Seine Blätter unterzeichnet Haderer mit "Hades" – vielleicht weil er als kritischer Beobachter immer wieder in Abgründe blickt – vielleicht aber auch, weil er die karikierten Zeitgenossen, allen voran die Politiker, in die Hölle wünscht:

"Das ist absolut die Absicht. In eine 'Hölle' kann ich sie allerdings nicht schicken, weil ich mit dem Begriff keinerlei Vorstellungen verbinde. Aber weil ich ein Zeichner bin, der der Wahrheit auf der Spur ist, kann ich mich nicht an der Oberfläche einer Persönlichkeit aufhalten, sondern muss manchmal auch in die Abgründe schauen. Und wenn man ganz ehrlich sein will, dann hat das jeder Künstler erstmal mit sich selber zu machen - und das mache ich auch: Haderer ist sein bestes Model. Und dass es nicht nur Sonnenseiten in dieser Persönlichkeit gibt, sondern auch Abgründe: Das ist mein Bild vom Menschen insgesamt."

In Frankfurt fällt auf, welchen Raum neben der unmittelbaren Politik die Sittenbilder einnehmen, die alltäglichen Ernst- und Störfälle des gesellschaftlichen Lebens: eine familiäre Weihnachtsfeier entwickelt sich zum Inferno, unglaublich dicke Zeitgenossen fiebern der nächsten Diät entgegen, und die Verwandtschaft steht drohend vor der Wohnungstür:

"Ich halte mich - mit allem Respekt - für einen politischen Kopf, und ich halte auch diesen Rückzug ins quasi-private, man kann auch sagen: in dieses Neo-Biedermeier für eine politische Haltung. Eine Demokratie benötigt mündige Bürger, sonst kann sie nicht funktionieren. Und wenn die sich mit ihrem Wohlstandsmüll zufrieden geben und sich zu Tode unterhalten, dann ist das eine politische Entwicklung. Und als Demokrat hat man sensibel genug zu sein, um das nicht positiv zu finden, sondern muss dagegen antreten. Und ich mach's mit meinen Zeichnungen."

Von bürokratischer Absurdität bis zum Veteranentreffen 40 Jahre nach Woodstock: Haderer ist nichts Menschliches fremd.

Immer wieder richtet er sein Augenmerk auch auf die mediale Entwicklung: In einem Internetcafé wirkt ein Mann wie ein Außerirdischer, weil er eine Zeitung aufgeschlagen hat; und ein vormaliger "Bücherwurm" im Geiste Spitzwegs besitzt inzwischen gar keine Bände mehr, sondern müht sich vor leeren Regalen mit E-Books ab.

Und kein Cartoon verdichtet die Gefahren unserer Medienwelt so sehr wie die "Facebookparty mit Hunderten Freunden". Ganz alleine hockt dieser Bursche mit seinem Laptop zu Hause auf der Matratze, um sich herum Dosen mit Energy-Drinks und ein Pizza-Karton. Das Fenster ist zugemauert.

Man kann solchen Bildern nicht ausweichen, weil Haderer es vortrefflich versteht, diesen Szenen mit schichtweise aufgetragener Acryltusche und plastisch herausgearbeiteten Formen Eindringlichkeit zu geben. Ein Verfahren, das sehr aufwendig ist:

"Wenn man für Hochglanzillustrierte arbeitet, dann sollte man die Leser auch dort abholen, wo sie zu Hause sind: in dieser Ästhetik, dieser Sehweise. Manche meiner Bilder erscheinen in der ersten Anmutung wie Fotos, hinter diesen polierten Oberflächen aber - genau das ist Teil meines subversiven Spiels - finden sich sehr sperrige und stachlige Inhalte. Und das macht es spannend."

Ein handwerklich herausragender und sehr produktiver Künstler. Und die präsentierten fast 200 Originalblätter sind ja nur ein Ausschnitt aus seiner Produktion für den "Stern" in den vergangenen zehn Jahren. Mehr als 60 Skizzen veranschaulichen zudem, wie genau Haderer seine Motive vorbereitet.

Diese Ausstellung im "Caricatura Museum" ist mit ihrer hohen Pointendichte und der technischen Meisterschaft ein wahres Glanzlicht. Der vom Lob durchaus verwöhnte 60-jährige Zeichner und Maler sprach nach einem Gang durch diese Schau ganz ohne Ironie vom "schönsten Tag in seinem Leben."

Service:
Die Ausstellung "Haderer" ist vom 7. Juli bis 27. November 2011 im Caricatura - Museum für Komische Kunst Frankfurt zu sehen.
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